Die Radsport-Nation Frankreich trauert um eine Legende einer vergangenen Ära: Raphaël Géminiani iist tot.
Tod einer schillernden Tour-Ikone
Die 8. Etappe der Rundfahrt begann am Samstag mit einer Gedenkminute für den früheren Berg-Spezialisten, Teamdirektor und schillernden Strippenzieher, der am Freitagmorgen im Alter von 99 Jahren verstorben war.
Verbunden mit Anquetil, Altig, Merckx
Der als extrovertiert und temperamentvoll bekannte Géminiani war der Sohn italienischer Eltern, die vor dem faschistischen Regime Benito Mussolinis nach Frankreich geflohen waren.
Er gewann in den vierziger und fünfziger Jahren insgesamt sieben Tour-Etappen und dreimal das gepunktete Trikot für den besten Bergfahrer und Edelhelfer. 1951 landete Géminiani auch auf Platz 2 der Gesamtwertung, hinter Sieger Hugo Koblet, vor den italienischen Ikonen Gino Bartali (4) und Fausto Coppi (10). Er ist bis heute der einzige Fahrer, der im selben Jahr bei allen drei großen Rundfahrten (Tour, Giro d‘Italia, Vuelta) in den Top 10 beendete.
Géminiani trug den Spitznamen „Le Grand Fusil“ (das Große Gewehr) - Ex-Toursieger Louison Bobet taufte ihn nach der Tour 1955 wegen seines attackierenden Fahrstils.
Noch größeren Einfluss auf das Radsport-Geschehen übte er danach als Sportdirektor seines eigenen Teams Saint Raphael-Géminiani-Dunlop, mit dem er unter anderem den späteren Tour-Rekordsieger Jacques Anquetil zu großen Erfolgen führte. Géminiani agierte auch als persönlicher Manager diverser Legenden, unter ihnen Eddy Merckx und das 2016 verstorbene, frühere deutsche Radsport-Idol Rudi Altig. (Jacques Anquetil: Warum die Tour-Ikone heute verstört)
Géminiani gab nach seiner aktiven Karriere offen zu, Doping-Stimulanzien eingenommen zu haben - und vertrat die Ansicht, dass dies legitim sei, solange es unter ärztlicher Aufsicht und in geordnetem Maß geschehe (“Wenn niemand es tun würde, könnte keiner die Tour de France beenden“). In einer 2017 veröffentlichten Biografie über Ex-Schützling Anquetil kritisierte er auch die Aberkennung der sieben Tour-Siege von Lance Armstrong, die er für „skandalös“ hielt.
Géminiani überlebte die Coppi-Tragödie
Eine schicksalhafte Verbindung hatte Géminiani zu der Tragödie um seinen früheren Teamkollegen Fausto Coppi: 1959 bestritt er gemeinsam mit dem zweimaligen Tour- und fünfmaligen Giro-Sieger ein Rennen im heutigen Burkina Faso. Coppi und Géminiani infizierten sich bei einer gemeinsamen Wildjagd nach der Rundfahrt mit Malaria. Géminiani überlebte, Coppi starb im Alter von nur 40 Jahren.
Géminiani starb am Freitagmorgen in seiner Heimatstadt Clermont-Ferrand in der Auvergne.