Ging beim großen Tour-de-France-Gigantenduell zwischen Sieger Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar alles mit rechten Dingen zu?
„Mutanten“: Attacke auf Tour-Giganten
Es ist die Frage, die sich viele stellen angesichts der Extraklasse der beiden zweimaligen Tour-Sieger und der langen Doping-Historie des Radsports.
Speziell der dänische Champion Vingegaard und sein Team Jumbo-Visma wurde sich in diesem Jahr immer wieder mit Argwohn und kritischen Fragen konfrontiert, wie sich sein Leistungsniveau und seine Überlegenheit erklären ließe.
Vingegaard versicherte wiederholt, dass er sauber sei. Ein bekannter Doping-Experte aus der Heimat der Tour glaubt ihm allerdings nicht - und auch Pogacar nicht.
„Vingegaard ist ein Mutant“
„Vingegaard ist nicht mehr menschlich, was er tut, ist auch jenseits des Wundersamen. Er ist ein Mutant“, sagt der Sportwissenschaftler Antoine Vayer bei Radio Canada, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Kanadas: „Wie kann ein 60-Kilo-Typ mit durchschnittlich 450 Watt durch die Bergpässe jagen?“
Vayer ist in Frankreich ein bekannter Anti-Doping-Aktivist mit eigener Vergangenheit im System: Er war einst Arzt im bei der Tour 1998 spektakulär aufgeflogenen Skandal-Teams Festina mit Richard Virenque.
Er schwieg damals über die Umtriebe, die er mitbekommen hatte und ist inzwischen auf einer persönlichen Mission, Doping zu erforschen und bekämpfen, mit immer wieder lautstarken und scharfen Anklagen (auch Pogacar nannte er wiederholt „Mutant“) und oft unorthodoxen Ideen.
In der Vergangenheit schlug er unter anderem vor, ausgerechnet Lance Armstrong zum Präsidenten des Weltverbands UCI zu machen - ausgehend vom selben Gedanken, mit dem Computerfirmen Hacker engagieren, um Software-Sicherheit zu verbessern.
„Eine Tour de France mit zwei Armstrongs“
Aus Sicht von Vayer sind alle natürlich Erklärungsansätze für die an die Ära Armstrong erinnernden Leistungen Vingegaards und Pogacars - technischer Fortschritt, besseres Training, größere Disziplin, genetische Überlegenheit - nicht überzeugend. Er hält es für Gewissheit, dass sie betrügen.
Der 60-Jährige verweist exemplarisch auf das entscheidende Bergeinzelzeitfahren in Combloux, bei dem Vingegaard die Konkurrenz inklusive Pogacars deklassierte.
„1:38 vor Pogacar, 2:51 vor dem Teamkollegen Wout van Aert, dem großen Spezialisten in dieser Disziplin, der mit 8 Prozent weniger Leistung als der Däne fuhr“, führt Vayer aus: „Die Zahlen bestätigen, dass Vingegaard und Pogacar mit 10 Prozent mehr Leistung als alle Konkurrenten unterwegs sind, dass sie konstant 450 Watt entwickeln können.“
Eine natürliche Erklärung für die errechneten Leistungsdaten von Vingegaard und Pogacar gebe es nicht, ist Vayer sicher: „Das alles ist sehr traurig für den Radsport und die ehrlichen Fahrer. Wir haben eine Tour de France mit nicht nur einem, sondern zwei Armstrongs.“
Sarkastische Reaktion auf Vingegaards Sauberkeits-Schwur
Vingegaard hat auf viele Nachfragen hin wiederholt versichert, dass er keine leistungssteigernden Mittel einnehme, Jumbo-Visma-Boss Richard Plugge erklärte am Ende der Tour auch, dass Vingegaard selbst die legalen und von Jumbo erklärtermaßen gebrauchten Ketone persönlich ablehne.
Vingegaard schwor vorher sogar: „Ich nehme nichts und ich werde nichts nehmen, was ich nicht meiner zweijährigen Tochter geben würde.“
Vayer reagierte darauf schon damals via Twitter mit einer sarkastischen Erinnerung an den früheren Skandal-Fahrer Laurent Jalabert: „Laurent Jalabert hat auch nichts ‚genommen‘. Er konnte denen vertrauen, die es ihm gaben.“
„Doping ist den Tests immer einen Schritt voraus“
Vayers aktuelle Anwürfe bei Radio Canada werden flankiert von dem französischen Physiotherapeuten, Ernährungsberater und Kolumnisten Stéphane Demorand.
Der geht mit seinen Beschuldigungen zwar nicht so weit wie Vayer, äußert aber ebenfalls große Skepsis in Bezug auf Vingegaard und Pogacar.
„Die Messung der Watt-Leistungen, die das einzige Vergleichsmaß zwischen den Fahrern ist, hat gezeigt, dass sie viele Rekorde von Lance Armstrong, Miguel Indurain oder Marco Pantani gebrochen haben“, sagt er.
Dies und die Überlegenheit gegenüber dem Rest des Feldes würde Fragen aufwerfen: „Doping ist den Tests, die es aufdecken sollen, immer einen Schritt voraus, und es ist bedauerlich, dass angesichts so außergewöhnlicher Leistungen wie denen von Vingegaard für Pogacar Zweifel bestehen. Die Zukunft könnte Antworten auf die Fragen geben.“ Wie bei Armstrong und Co.