Die erste Pyrenäen-Etappe schien ein böses Omen für Tadej Pogacar zu sein - doch mit einem spektakulären Ritt über den legendären Tourmalet hat er die 110. Tour de France wieder zu seinen Gunsten gewendet.
Die spektakulär-irre Tour-Wende
Unter den faszinierten Blicken der Radsport-Fangemeinde strafte der von einem Handbruch im Frühjahr gehandicapte Slowene alle Lügen, die ihn schon abgeschrieben hatten, nachdem Titelverteidiger Jonas Vingegaard ihm am Vortag mehr als eine Minute abgenommen hatte.
Mit seinem Etappensieg bei der ersten Bergankunft hat sich Pogacar beeindruckend zurückgemeldet, die Taktik von Vingegaards Team Jumbo-Visma, die dem Konkurrenten von UAE Emirates mit einem weiteren Angriff den Rest geben wollte, ging nach hinten los. Stattdessen machte der zweimalige Tour-Champion Pogacar 24 Sekunden plus einen Zeitbonus von zehn Sekunden für den Etappensieg gut und bugsierte sich machtvoll zurück in die Favoritenrolle.
Obwohl Vingegaard das Gelbe Trikot eroberte, war er der Verlierer des Tages und erinnerte historisch Bewanderte an den antiken Feldherrn Pyrrhus nach dem berühmten, mit dem Verlust vieler Leben erkauften Triumph gegen die Römer in der Schlacht bei Asculum. Noch so ein Sieg und er ist verloren.
Wie hat Pogacar das gemacht?
Pogacar schockt Vingegaard mit Husarenritt
Bis 2,7 Kilometer vor dem Ziel ging Pogacar mit, als Vingegaard und Co. vorauseilten, dann griff er den Dänen plötzlich selbst an. Vingegaard und sein bis dahin furioser Edelhelfer Wout van Aert, den von einem Moment auf den anderen die Kraft verließ, sahen geschockt zu, wie Pogacar den Husarenritt begann, den ihm Jumbo-Visma offensichtlich nicht mehr zugetrautr hatte. Er selbst auch nicht unbedingt.
„Wer wäre nicht besorgt gewesen?“, sagte Pogacar mit Blick auf den Vortag: „Die Leistung, die Jonas gestern gezeigt hat, war unglaublich. Als Jumbo am Tourmalet so schnell fuhr, dachte ich: ‚Scheiße, das wird heute wie gestern, wir können unsere Sachen packen und nach Hause fahren.‘“
Was m Donnerstag anders war? „Zum Glück hatte ich heute gute Beine. Am Tourmalet konnte ich recht gut folgen. Zum Schluss habe ich den richtigen Moment abgewartet und angegriffen.“
Ob er die Rache an Vingegaard genossen hätte? „Ich würde es nicht Rache nennen, aber es ist süß, heute zu gewinnen und ein bisschen Zeit zurückzuholen. Ich bin schon etwas erleichtert. Es geht mir besser.“ Vingegaard blieb nur das trockene Fazit: „Das wird jetzt eine spannende Tour de France für die verbleibende Zeit.“
Gelbes Trikot für Vingegaard jetzt eher eine Bürde
Das deutsche Team Bora-Hansgrohe erlebte derweil nach dem traumhaften Pyrenäen-Auftakt am Mittwoch mit Gelb und Tagessieg für den Australier Jai Hindley sowie Platz vier für Emmanuel Buchmann einen ernüchternden Tag. Die beiden Topfahrer waren chancenlos, Hindley kam mit 2:39 Minuten Rückstand als Sechster ins Ziel und fiel im Gesamtklassement auf Rang drei zurück (+ 1:39 Minuten). Buchmann, der mit aufopferungsvoller Arbeit am Schlussanstieg noch für Schadensbegrenzung zugunsten Hindleys sorgte, lag noch weiter hinten und verlor den vierten Gesamtplatz.
In der Gesamtwertung führt der 26 Jahre alte Däne Vingegaard noch mit 25 Sekunden Vorsprung vor dem zweimaligen Champion Pogacar.
Was Vingegaards Gelb-Gewinn unter diesen Umständen zusätzlich beunruhigend für ihn macht: Das Maillot jaune von einem so frühen Zeitpunkt an ununterbrochen bis ins Ziel nach Paris zu tragen, war zuletzt 1981 dem großen Bernard Hinault und zuvor Eddy Merckx (1969 und 1970) gelungen, die ebenfalls auf Etappe sechs die Gesamtführung übernahmen und nicht mehr hergaben.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)