Nur noch wenige Meter trennten Mark Cavendish vom Sprint-Olymp, nur noch wenige Sekunden vom historischen 35. Etappensieg bei der Tour de France.
Neue Details: Drama um Sprint-Ikone
Doch dann schoss auf der ewig langen Zielgeraden von Bordeaux der Belgier Jasper Philipsen als erneuter Spielverderber am großen alten Mann des Massenspurts vorbei und vollendete seinen Hattrick. Und „Cav“ verpasste ausgerechnet in seinem „Wohnzimmer“ die Krönung.
„Ich habe gebetet, ich habe gehofft“, sagte der bereits 38 Jahre alte Brite, der in der Hauptstadt des Sprinter schon 2010 gesiegt hatte, als die Tour zum zuvor letzten Mal in Bordeaux Station gemacht hatte: „Jetzt müssen wir es eben weiter versuchen.“
Philipsen tat sein eigener Coup fast ein wenig leid: „Ich hätte Cav den Sieg gegönnt, das hätte jeder hier. Er ist der beste Sprinter der Geschichte.“ Dennoch: „Das ist die Tour, und wir verteilen hier keine Geschenke.“
Tour de France: Cavendish mit Ketten-Drama
Was noch dazukam: Cavendish räumte später ein, auf den letzten 100 Metern technische Probleme gehabt zu haben. „Als ich losgesprintet bin, ist meine Kette von der 11 auf die 12 gesprungen“, so der Routinier bei Eurosport-Interview über den Moment, als er in Führung liegend mit Philipsen am Hinterrad wieder in den Sattel ging und dazu bereits schwächelnde Beine oder ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vermutet worden war.
Cavendish fügte an: „Ich habe wieder auf die 11 geschaltet und wollte weitersprinten, aber sie fiel wieder auf die 12 und ich musste wieder in den Sattel. Da kann man nichts machen außer vielleicht hoffen.“
Kurios: Er sei „ein bisschen früher angetreten, als ich eigentlich gewollt hätte. Aber eigentlich war es die gleiche Stelle, an der ich auch 2010 losgefahren bin.“
Cavendish hadert - und hofft
Platz zwei war für Cavendish, einst für das längst untergegangene T-Mobile-Team aktiv, dennoch ein höchst beachtliches Ergebnis.
Doch es reichte eben nicht zum alleinigen Siegrekord: Den muss sich die „Manx Missile“, mittlerweile in Diensten der kasachischen Astana-Mannschaft weiter mit einem der Allergrößten teilen: Auch der belgische Kannibale Eddy Merckx hat 34-mal triumphiert.
Während der deutsche Spitzensprinter Phil Bauhaus nach zwei Top-10-Platzierungen diesmal Siebter wurde und den harten Pyrenäen-Tagen Tribut zollte, war Philipsen auch für den drittplatzierten Biniam Girmay der Spielverderber - der Eritreer hätte erster schwarzer Etappensieger der Tour werden können.
Bauhaus unterstreicht starke Form
Der 25 Jahre alte Alpecin-Profi Philipsen scherte sich nach seinem insgesamt fünften Tageserfolg nach 169,9 km an der Gironde freilich weniger um das verpasste Glück der anderen als um das vollendete eigene.
„Es ist eine absolute Traumwoche“, sagte Philipsen, der im dritten Sprint der 110. Tour zum dritten Mal triumphierte und seinen Kapitän Mathieu van der Poel zunehmend zum Domestiken degradiert, „ich könnte nicht stolzer sein.“
Philipsens Stimmung konnte auch nicht mehr davon getrübt werden, dass sein nunmehr dritter Tageserfolg hinterher noch einmal kurzzeitig in Gefahr schien.
Philipsen siegt - UCI-Jury weist Einspruch ab
Die UCI-Jury in Bordeaux entschied, dass sich am Ranking nichts mehr zu Ungunsten des Belgiers ändern werde, nachdem Medienberichten zufolge sowohl das Team Intermarché – Wanty – Gobert vom Drittplatzierten Girmay als auch Astana Qazaqstan von Cavendish Protest eingelegt hatten.
Der Vorwurf lautete offenbar, Philipsen habe Girmay in Richtung Bande gedrängt.
In der Gesamtwertung führt weiter der dänische Titelverteidiger Jonas Vingegaard, der bis in die Schlussphase ganz vorne im Feld fuhr, mit 25 Sekunden Vorsprung auf den zweimaligen Champion Tadej Pogacar aus Slowenien. Die Kletterer sind erst am Sonntag am Puy de Dome wieder gefragt - am Samstag bekommt Cavendish in Limoges seine nächste Chance.
Am Tag nach der spektakulären Etappe über den Tourmalet war die lange Zeit eher gemütliche Fahrt durch den Norden der Gascogne eine willkommene Wohltat für die Favoriten auf den Gesamtsieg. Die einzige Bergwertung des Tages - ein Hügel der 4. Kategorie - lag 43 km vor dem Ziel.
Tour-Favoriten schonen sich auf Flachetappe
Vingegaard, der am Donnerstag das Gelbe Trikot erobert hatte, und Pogacar, am Vortag Etappensieger, schonten ihre Kräfte und die ihrer Mannschaften und ließen den einzigen Ausreißer lange gewähren.
Der tapfere Franzose Simon Guglielmi vom Team Arkea-Samsic, der gleich nach dem scharfen Start auf die Reise gegangen war, durfte zeitweise mit siebeneinhalb Minuten Vorsprung daherradeln.
Am Ende kam es aber so, wie es meistens kommt: Für Ausreißer ist die Chance aufs Durchkommen bei der Tour gering.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)