An seinen wertvollsten Sieg, das wusste Fabio Jakobsen auf dem Podium, reichte nicht einmal die Erfüllung eines Kindheitstraums heran.
Tour-Märchen nach künstlichem Koma
Was ist schon ein Etappensieg bei der Tour de France gegen den Triumph über den Tod? „Es war ein langer Weg für mich, es bis hierhin zu schaffen“, sagte Jakobsen sichtlich bewegt nach dem Gewinn der zweiten Tour-Etappe am Samstag in Nyborg.
Wie schwer und lang der Weg zurück ins Leben war, wie mühsam die täglichen Kämpfe in der Reha, wie kräftezehrend alle Rückschläge waren, wissen letztlich nur Jakobsen und sein engster Kreis im Detail. Sicher ist: Nur den Ärzten ist es zu verdanken, dass der 25-Jährige dem Tod entrinnen konnte.
Dass er wieder auf höchstem Niveau Rad fährt, gleicht gar einem Wunder. Jakobsen nennt es ein „zweites Leben“.
Gewinn einer Tour-Etappe Kindheitstraum
Ein starker Sprinter war der Niederländer schon immer. 181 cm groß, knapp 80 kg schwer. Kommt Jakobsen in Fahrt, ist er wie auf der zweiten Tour-Etappe in Dänemark nur schwer zu stoppen.
Am 5. August 2020, diesem persönlichen Schicksalstag, geht aber alles mächtig schief. Es war die erste Etappe der Polen-Rundfahrt in Kattowitz, eines der ersten Rennen nach dem Corona-Restart. Die Fahrer waren überehrgeizig und ohne Rennpraxis, das Finale hektisch.
Im Sprint um den Sieg drängt der Niederländer Dylan Groenewegen seinen Landsmann auf der zuvor schon wegen ihrer Gefährlichkeit kritisierten abschüssigen Zielgeraden in die Streckenbegrenzung, Jakobsen kracht mit Tempo 80 gegen die Zielaufbauten. Trümmer fliegen.
Jakobsen kämpfte gegen den Tod
Die Ärzte kämpfen gegen Jakobsens Tod. Zunächst auf dem glühenden Asphalt an der Kreuzung von Korfantego- und Rozdzienskigo-Allee, schließlich im Krankenhaus von Sosnowiec.
Jakobsen liegt zwei Tage im künstlichen Koma, danach ist die unmittelbare Lebensgefahr gebannt, die Spuren seines Unfalls bleiben aber unübersehbar. Das Gesicht war entstellt, er hatte nur noch einen einzigen Zahn im Mund. „In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben“, sagte er.
Das Peloton leidet mit. „Der Sturz war heftig damals. Ich freue mich nun sehr“, sagte der deutsche Radprofi Max Schachmann, bei Quick-Step einst Jakobsens Zimmerkollege.
Der Belgier Wout van Aert, am Samstag Zweiter hinter Jakobsen und Träger des Gelben Trikots, sprach von „Respekt für Fabio. Wir alle sind glücklich, dass er sich erholt hat und wieder ein normales Leben führen kann.“
In Gedanken bei Cavendish
Spuren seiner Verletzungen lassen sich bei Jakobsen noch heute erkennen. Sein mit 130 Stichen geflicktes Gesicht etwa wirkt einen Hauch unnatürlich. Was zählt, ist das Leben. „Der Unfall hat mich demütiger gemacht“, sagte Jakobsen am Samstag: „Ich werde diesen Tag heute nie vergessen und bin glücklich und dankbar.“
In Gedanken war er dabei auch bei Mark Cavendish. Der Tour-Rekordetappensieger war von Jakobsen aus dem Aufgebot von Quick-Step Alpha Vinyl verdrängt worden.
„Cavendish ist eine Legende. Er hat mir geholfen, einen Vertrag zu bekommen - und ich bin sicher, dass er sich über meinen Sieg gefreut hat“, sagte Jakobsen.