Für Marcel Kittel war es eine "neue, sehr enttäuschende Erfahrung".
Das sagt Kittel zu seiner Zukunft
Nach einer bärenstarken Tour de France 2017 blieb der deutsche Top-Sprinter bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt ohne Tageserfolg und schied auf der 11. Etappe aus, weil er das Zeitlimit verpasste. Dazu musste der 30-Jährige Egoismus-Vorwürfe seines Sportdirektors einstecken.
Im SPORT1-Interview spricht Kittel, der den Frust mit einem Wohnwagen-Trip durch Frankreich verarbeitete, über seine Zukunft nach dem Zwist. Dazu erklärt er das "Sprintersterben" bei der Tour und was er den Veranstaltern rät (SERVICE: Die Gesamtwertung).
SPORT1: Herr Kittel, außer Ihnen sind unter anderem bereits Andre Greipel, Dylan Groenewegen und Fernando Gaviria ausgeschieden. Wie erklären Sie sich das Sprintersterben?
Marcel Kittel: Das waren die extremen Etappen in den Alpen. Ich war sehr überrascht, als ich gehört habe, dass Leute wie Groenewegen oder Greipel oder selbst Gaviria, der eigentlich recht bergfest ist, aus dem Rennen ausgeschieden sind. Das ist ein Ausrufezeichen in Richtung Veranstalter. Da muss man nicht nur die Schuld bei den Sportlern, sondern auch bei der Schwierigkeit der Etappe suchen.
SPORT1: Inwiefern müssen sich die Veranstalter Gedanken machen? Es kann nicht das Ziel sein, dass am Ende keine Sprinter mehr in Paris dabei sind.
Kittel: Die ASO (Amaury Sport Organisation, Tour-Veranstalter, Anm. d. Red.) versucht immer wieder, etwas Neues zu probieren, neuen Schwung reinzubringen. Dieses Jahr war es sehr, sehr schwer. Ich gehe davon aus, dass die Tour aus solchen Dingen lernt. Ich glaube nicht, dass die ASO das Interesse hat, die Sprinter rauszuhauen. Vielleicht haben sie es in der Kombination unterschätzt. Am Ende machen auch die Fahrer das Rennen. Wir sind sehr, sehr schnell gefahren. Gerade am Anfang wurde viel attackiert.
SPORT1: Früher war der Kampf ums Grüne Trikot bis zum Ende spannend, inzwischen gibt Peter Sagan den Alleinunterhalter. Wie sehen Sie das, dass ein reiner Sprinter wie Sie fast überhaupt keine Chance mehr auf das Grüne Trikot hat?
Kittel: Schwieriges Thema. Mit Peter Sagan haben wir ein absolutes Ausnahmetalent. Er holt Punkte in den Etappensprints und auf den schwierigeren Etappen. Das macht ihn perfekt, um das Grüne Trikot ständig zu gewinnen.
SPORT1: Würden Sie sich denn wünschen, dass es wieder ein reines Sprintertrikot wird?
Kittel: Es macht Sinn, den reinen Sprintern noch mehr Anreiz zu geben. Wenn man auf 2017 blickt: Da habe ich fünf Etappen gewonnen und man hätte sechs gewinnen müssen, um eine Chance zu haben. Das ist für einen reinen Sprinter unerreichbar. Ich denke, die ASO hat sich ihre Gedanken dazu gemacht. Ich will da auch nicht reinquatschen. Aber ich weiß, dass es für mich und andere Sprinter eine schwierige Wertung ist, um gegen Rennfahrer wie Peter Sagan zu bestehen.
SPORT1: Bei Ihnen lief es bereits vor den Bergen nicht so richtig rund. Sie haben gesagt, Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Aber ist das im Hinterkopf ein bisschen drin, dass man denkt: 'Es läuft nicht so richtig, vielleicht will es dieses Jahr einfach nicht'?
Kittel: Ich habe da auch ein bisschen darüber nachgedacht. Aber ich bleibe dabei: Ich bin definitiv fit und motiviert in die Tour gestartet und hatte Lust. Das hat auch der dritte Platz auf der ersten Etappe gezeigt. Das hat mir viel Rückenwind gegeben. Aber es ist sicherlich ein anderer Start, wenn man mit einem Etappensieg und dem Gelben Trikot beginnt. Was mir aufgefallen ist: Ich habe mich schwer getan in diesem Jahr, mich in den wichtigen Rennen pudelwohl zu fühlen. Es hat immer irgendwo ein wenig geklemmt. Ich weiß nicht, woran das genau liegt. Ich musste mich immer wieder durchkämpfen. Das hat sich auch durch die Tour gezogen.
SPORT1:Ihr Sportdirektor hat Ihnen mehr oder weniger Egoismus vorgeworfen. Mit ein paar Tagen Abstand: Wie denken Sie über die Kritik - können Sie diese in Ansätzen nachvollziehen?
Kittel: Meine Meinung hat sich nicht geändert. Ich lehne das kategorisch ab. Die Leute, die mich kennen, waren sehr überrascht. Wir haben uns zu einem kleinen Gespräch zusammengesetzt und uns die Meinung gesagt. Jetzt ist es erst mal für mich gegessen. Aber ich war schon sehr erstaunt, dass der sportliche Leiter den Weg über die Medien sucht und nicht den direkten Kontakt teamintern.
SPORT1: Gab es in dem Gespräch eine Erklärung für sein Vorgehen?
Kittel: Er hat seine Meinung gesagt. Er hat versucht, eine Erklärung zu finden. Das habe ich mir angehört und entsprechend meine Meinung gesagt. Mehr will ich öffentlich dazu nicht sagen. Das ist nicht der richtige Weg, um Dinge, die sich teamintern abspielen sollten, zu klären. Ich würde mich schon als kritikfähig bezeichnen. Ich rede auch gerne mit Leuten sehr offen darüber, um Dinge zu klären, weil ich der Meinung bin, dass das gerade in der Mannschaft der einzige Weg ist, um Missverständnissen vorzubeugen oder sie auszuräumen. Das klärende Gespräch hat stattgefunden, jetzt ist es so.
SPORT1: Ihr Vertrag läuft bis zur Saison 2019. Werden Sie trotz des Zwists auch nächstes Jahr für Katusha fahren?
Kittel: Ich werde zu 100 Prozent für Katusha fahren. Es ist kein Geheimnis, dass das Interview hohe Wellen geschlagen hat. Das wurde teamintern auch mit den Entscheidungsträgern besprochen. Nur weil jemand eine Meinung über mich hat, die mir nicht passt, geht für mich die Welt nicht unter. Okay, wie sie kommuniziert wurde, ist eine andere Sache. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber das sollte teamintern passieren. Am Ende ist es eine Einzelmeinung, da rechne ich nicht das ganze Team damit ab. Ich hatte danach gute Gespräche mit den anderen Jungs im Team, das ist mir auch wichtig. Ich glaube, dass wir das für uns ausgeräumt haben.