Jan Ullrich ist bislang der einzige Deutsche, der die Tour de France gewinnen konnte. Seine Erfolge wurden allerdings überschattet, als 2006 seine Verbindungen zu dem Doping-Arzt Eufemiano Fuentes veröffentlicht wurden.
So geriet Ullrich in den Doping-Strudel
Infolgedessen wurde er von seinem Team suspendiert und trat ein Jahr später offiziell zurück. Erst 2023 gestand die Radsportlegende, gedopt zu haben.
In seiner neuen Autobiografie „Himmel, Hölle - und zurück ins Leben“ erzählt er über seine Erfahrungen und darüber, wie alles begann. Das Buch erscheint am 25. Juni, die Bild veröffentlichte aber erste Auszüge.
Vor seiner ersten Tour de France 1996 plagten ihn Zweifel über seinen Leistungsstand. In seinem Buch schildert er, wie er damals in Kontakt mit einem Mediziner und Doping kam.
„So ein Quatsch“
„Als ich mich auf meine erste Tour de France vorbereitete, kam am Abend ein Mediziner auf mich zu... ‚Was hast du denn?‘, fragte er mich. Ich fing an, ihm von meinen Sorgen zu erzählen. Von dem Gefühl, dass ich es auf lange Sicht nicht schaffen würde, mitzuhalten. ‚So ein Quatsch‘, sagte er und schüttelte den Kopf. ‚Red dir das nicht ein. Du bist ein Talent. Du bist verdammt gut.‘ Dann ließ er eine kurze Pause. ‚Für die gegebenen Umstände.‘ Für die gegebenen Umstände? Was sollte das denn bedeuten? ‚Na ja, die meisten anderen Fahrer haben dir gegenüber einen Vorteil.‘ ‚Was denn für einen Vorteil?‘ ‚Die meisten hier fahren auf EPO‘, sagte der Mediziner.“
EPO (Erythropoetin) ist ein Glykoprotein-Hormon, was die Bildung roter Blutkörperchen und damit die Sauerstoff-Aufnahme und Ausdauerfähigkeit fördert. Es wird häufig als Dopingmittel verwendet.
Ullrich: Als hätte man lange ausgeschlafen
Zunächst zögerte Ullrich, dann griff er doch zu EPO, das ihm der Mediziner gab. Über die Wirkung des Dopingmittels sagte er: „Schnell merkte ich, dass das EPO eine ganz spezielle Wirkung hatte. Es war nicht so, dass ich übermenschliche Kräfte entwickelte, nachdem ich es mir injiziert hatte. Es war nicht so, dass man sich stärker fühlte. Man war auch nicht berauscht. Man fühlte sich einfach nur gesund, so, als hätte man lange ausgeschlafen.“
„Ich fühlte mich jedes Mal schlecht dabei“
„Das EPO hatte keinen kurzzeitigen Effekt. Aber auf Dauer, auf langen Strecken half es einem, länger durchzuhalten. Es war so, als würde der Körper noch eine zusätzliche Energiereserve bekommen, die er davor nicht gehabt hatte“, erklärte der heute 50-Jährige weiter.
„Es gab keinen Moment in meinem Leben, in dem ich das als normal empfunden hätte. Ich fühlte mich jedes Mal schlecht dabei“, gestand Ullrich. Gleichzeitig habe er sich endlich gleichberechtigt gefühlt und rechtfertigte so seinen Drogenmissbrauch: „Plötzlich fühlte ich, dass wir alle wieder die gleichen Voraussetzungen hatten. Ich war wieder auf einem Level mit ihnen... Und so begann das Doping. Nicht aus dem Bewusstsein, dass ich mir einen Vorteil verschaffen wollte. Nein, ich wollte einfach nur Chancengleichheit herstellen. Wenn alle das machten, dachte ich mir, dann hatte ich ja keine andere Wahl.“
„Wie in einem ganz, ganz falschen Horrorfilm“
2003 ging Ullrich einen Schritt weiter. In Madrid lernte er Doping-Arzt Eufemiano Fuentes kennen und begann mit Eigenblut-Doping.
Zunächst war er auch bei dieser Form des Dopings skeptisch: „Sich EPO zu spritzen, war das eine, aber sich gleich Blut abnehmen zu lassen, nur um es sich ein paar Wochen später wieder in den Körper zu transferieren? Das klang unheimlich. Das klang wie in einem ganz, ganz falschen Horrorfilm.“
Ullrich: „Gemischte Gefühle“
„Aber man beruhigte mich. Man sagte mir, dass man so etwas schon in den 1970er-Jahren gemacht hätte... Ich rang mit mir, ich hatte wirklich gemischte Gefühle. Ich wollte das nicht machen. Aber wer will das schon? Ich glaube, dass es keinen Sportler auf dieser Welt gibt, der bei dem Gedanken an eine solche Prozedur keine Bauchschmerzen hätte. Auf der anderen Seite wusste ich auch, dass ich kaum eine Wahl hatte. Es gab schlichtweg keine andere Möglichkeit, um weiter an der Spitze mitzufahren“, erinnerte er sich.
Doping-Geständnis viele Jahre später
Dass der ehemalige Rad-Profi erst 2023 zum öffentlichen Geständnis kam, lag unter anderem an der Angst davor, nicht mehr für seine Verdienste verehrt zu werden: „Wenn ich gesagt hätte, dass ich gedopt gewesen war, ohne zu erklären, dass Doping systematisch verbreitet war, dann wäre der Eindruck entstanden, dass meine Erfolge keine echten Erfolge waren. Dass ich die anderen Sportler betrogen hätte. Aber das stimmte so nicht. Wenn ich allerdings erklärt hätte, dass es ein systematisches Doping gegeben hätte, dann hätte ich damit andere Leute angeschwärzt. Und das wollte ich ebenfalls nicht.“