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"Selten ist ein deutscher Ausnahmesportler tiefer gefallen"

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"Selten ist ein deutscher Ausnahmesportler tiefer gefallen"

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Die Tragödie eines Olympia-Helden

Fredy Schmidtke war als junger Radsportler eine Ausnahmeerscheinung, holte Gold bei Olympia - und hatte mit dem Leben danach schwer zu kämpfen. Vor sieben Jahren endete sein Leben tragisch früh.
Fredy Schmidtke bei der Siegerehrung in Los Angeles
Fredy Schmidtke bei der Siegerehrung in Los Angeles
© IMAGO / Sven Simon
Fredy Schmidtke war als junger Radsportler eine Ausnahmeerscheinung, holte Gold bei Olympia - und hatte mit dem Leben danach schwer zu kämpfen. Vor sieben Jahren endete sein Leben tragisch früh.

Es dauerte etwas mehr als ein Jahr, dass Fredy Schmidtke vom gefeierten Gold-Helden zum Verspotteten wurde.

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In Los Angeles feierte der damals 23-Jährige 1984 den größten Erfolg seiner Karriere, wurde Olympiasieger im Bahnrad-Zeitfahren über die 1000-Meter-Distanz.

Der gelernte Rohrschlosser aus dem Kölner Stadtteil Worringen hatte den ihm vorauseilenden Ruf als größtes deutsches Radsport-Talent seit dem großen Dietrich Thurau bestätigt – zum zweiten Mal nach seinem WM-Titel in Leicester zwei Jahre zuvor. Nun stand er in einer Reihe mit „Albatros” Michael Groß, Ulrike Meyfarth, Dietmar Mögenburg, den anderen BRD-Stars, die sich vor den Toren Hollywoods vergoldeten.

Auf den Coup von L.A. folgte jedoch ein jäher sportlicher Absturz und ein von Höhen und Tiefen geprägtes, zu kurzes Leben nach der Athletenkarriere. Am Sonntag jährt sich zum siebten Mal der frühe Tod Schmidtkes.

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Tiefer Absturz nach Olympiasieg 1984

Schmidtkes Ruf hatte sich schon im Jahr nach seinem Olympiasieg radikal gewandelt: Nach dem lang und hart erarbeiteten Coup von L.A. geriet Schmidtke sportlich und körperlich außer Form, häufte Übergewicht an und hatte bald den Spitznamen „Der fette Fredy“ weg - entlehnt einem damals bekannten Lied des österreichischen Sängers Georg Danzer. Bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer 1985 stürzte der eben noch beste der Welt auf Platz 10 (!) im nationalen Vergleich ab.

Bundestrainer Udo Hempel kommentierte das Desaster damals sarkastisch mit der Aussage, dass Schmidtke ja immer noch in den Top 10 gelandet sei, „darüber wäre die Nena zum Beispiel sehr froh“.

Als Schmidtke sich wenige Monate später beim Münchener Sechstagerennen weiter völlig außer Form präsentierte, flog Schmidtke aus dem Nationalkader.

„Die Leute saufen und ich soll arbeiten"

Schmidtkes Leumund litt nicht nur unter seinen nachlassenden Leistungen, sondern auch an der Unbedarftheit, mit der er öffentlich über sein Leben plauderte - ungefiltert durch PR-Ratgeber und offensichtlich ohne jede Sorge um sein Image.

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Freimütig offenbarte er zum Beispiel, dass sein erster Gedanke nach der Zielankunft in L.A. lautete: „Junge, jetzt beginnen die goldenen Zeiten!“ – dass er sich deswegen nun aber auch nicht „allen möglichen Stress aufhalsen“ hätte wollen. Die Absage einer Einladung zu professionell vergüteten Sechstagerennen begründete Schmidtke mit den Worten: „Die Leute in der Halle saufen und amüsieren sich, und ich soll arbeiten.“

Schmidtke machte keinen Hehl daraus, dass er im Leistungssport nie seinen einzigen Lebenssinn sah. Doch so erfrischend Schmidtkes schlagfertige Ehrlichkeit war, sie brachte ihn immer wieder auch in Teufels Küche. Bald kursierten Berichte über einen noch wilderen Lebenswandel – zum Ärger auch seiner Jugendliebe Brigitte, die er kurz nach seinem Olympiasieg geheiratet hatte.

„Das war alles erstunken und erlogen. Während Journalisten von Bordellbesuchen schrieben, saß Fredy hier zu Haus und hat Monopoly gespielt“, sagte sie nach Schmidtkes Tod dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Auch Geschäftsprojekt wurde zum Desaster

Im Jahr seines sportlichen Niedergangs träumte Schmidtke im Spiegel noch davon, dass er sich „bei Gelegenheit” wieder in Topform bringen und 1988 in Seoul „vielleicht sogar zwei Goldmedaillen holen“ würde. Es klappte nicht - und auch der Versuch, sich ein berufliches Leben nach dem Sport aufzubauen, lief nicht nach Plan.

Schmidtke eröffnete ein Sportwarengeschäft, ohne das kaufmännische Wissen zu haben, es zu führen. Schon bei der Einrichtung hörte Schmidtke auf schlechte Ratgeber und gab dreimal so viel Geld wie geplant aus.

Auf den Alltag im Laden blickte er später lakonisch zurück: „Ich habe morgens einen Squashball verkauft, mittags wurde es dann etwas ruhiger.“ Schmidtke musste sein Geschäft letztlich hochverschuldet aufgeben.

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„Selten ist ein deutscher Ausnahmesportler tiefer gefallen“, konstatierte der Stadt-Anzeiger nach dem Tod Schmidtkes in einem berührenden Nachruf - der in aller Trübsal auch einiges geraderückte.

Schmidtke berappelte sich - doch dann die Tragödie

Bei allem, was in Schmidtkes Leben falsch gelaufen sei, sei er auch jemand gewesen, der immer wieder aufgestanden sei – „taumelnd, am Ende seiner Kräfte, fluchend, zerbeult, mit künstlichen Kniegelenken und zu vielen Kilos, aber nie zynisch, nie klagend, sondern mit jungenhaftem Glanz in den Augen nach dem nächsten Strohhalm greifend“.

Schmidtke zog sich und seine Familie nach der Aufgabe des Sportgeschäfts aus der existenziellen Not, nahm einen Job als Schichtarbeiter an und schuftete aufopferungsvoll, um seine Schulden zu bezahlen. Parallel dazu ließ der Vater zweier Söhne sich zum Chemikanten ausbilden und verdiente am Ende wieder gutes Geld.

Die nächste bittere Wendung: Die Gesundheit forderte ihren Tribut. Schmidtke war in seinen letzten Lebensjahren von einer Stoffwechselerkrankung und Arthritis geplagt, auch der Kampf mit den Pfunden blieb ein Thema.

Schmidtke gab sich trotzdem nicht auf, trieb zuletzt wieder vermehrt Sport und verlor viel Gewicht. „Es ging ihm richtig gut“, berichtete Witwe Brigitte: „Leider war es wie ein Gesetz in seinem Leben, dass er wieder unter Wasser gezogen wurde, sobald er gerade wieder nach Luft schnappen konnte.“

Bei einem Urlaub in Gran Canaria im November 2017 erlitt Schmidtke zum wiederholten Mal einen Sturz und ging auf Krücken. In der Nacht auf dem 1. Dezember machen ihm Schlafprobleme zu schaffen. Am Morgen erliegt er im Alter von 56 Jahren einem tödlichen Herzinfarkt.