Wie wichtig es ist, das Thema Depressionen zu enttabuisieren: Der Fall Mikael Ljungberg zeigt es in schmerzhafter Deutlichkeit.
Tragödie eines Olympia-Helden
Vor 24 Jahren wurde der Ringer mit seinem Olympiasieg in Sydney zum populären Sporthelden, heute vor 20 Jahren nahm er sich das Leben. Und die Scham, mit seiner Krankheit offen umzugehen, spielte dabei eine Rolle.
„Was sollen die Leute denken? Der Ringer Mikael Ljungberg braucht keine psychische Behandlung“: So zitierten schwedische Medien eine Aussage, die er im privaten Familienkreis getätigt haben soll.
Ljungberg brauchte die Behandlung. Und auch wenn niemand weiß, ob er heute noch am Leben wäre, wenn die Gesellschaft damals schon weit gewesen wäre: Dass es ihm eine Hilfe gewesen wäre, wird aus seiner Geschichte aber sehr deutlich.
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Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie sich selbst von Depressionen und Suizidgedanken betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in zahlreichen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
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Olympia-Gold machte Ljungberg zum Volkshelden
Die schwedische Öffentlichkeit lernte den am 13. Juni 1970 in Göteborg geborenen Ljungberg als erfolgreichen Leistungssportler kennen.
In der Klasse bis 97 Kilo im griechisch-römischen Stil holte Ljungberg in den Neunzigern je zweimal WM- und EM-Gold, dazu Bronze bei den Olympischen Spielen von Atlanta 1996. In Sydney folgte die Krönung seiner Karriere. Am 26. September 2000 - demselben Tag, an dem Tommy Haas sich mit einem Triumph über Roger Federer den Weg zu Tennis-Silber ebnete - besiegte Ljungberg im Finale den Ukrainer David Saldadze.
Es war das erste olympische Ringer-Gold für Schweden seit 48 Jahren. Weil es in Sydney insgesamt „nur“ vier Olympiasiege für Schweden gab, war die freudige Anteilnahme umso größer. Das Foto, auf dem der massige Ljungberg mit König Carl Gustaf und Königin Silvia feiert und dabei vom Regenten umarmt wird wie von einem stolzen Papa, ging um die Welt und war in der Heimat eines der Bilder der Spiele.
Schicksalsschläge verschlimmerten Depression
Zwei Jahre nach dem großen Sieg erlebte Ljungberg ein persönlich furchtbares Jahr, das ihn schwer mitnahm: Wegen einer Schulterverletzung musste Ljungberg seine Karriere beenden, kurz darauf starb seine Mutter Gudrun unerwartet an einer Hirnblutung. In seiner eigenen Ehe fand Ljungberg nach dem Schicksalsschlag keinen Halt, trennte sich wenige Wochen später von seiner Frau.
Das Selbstbild Ljungbergs war schwer erschüttert, auch vom Ende seiner Sportkarriere, wie sein Freund und Agent Kent Carlzon nach Ljungbergs Tod berichtete: „Er sagte sich: Ich tauge zu nichts.“
Im November 2003 verbrachte Ljungberg mehrere Wochen in der Psychiatrie, im Jahr darauf schien sich seine Situation aufzuhellen: Er verliebte sich im Frühjahr neu, bewarb sich dann im Sommer erfolgreich für einen neuen Beruf als Sportchef des schwedischen Ringerverbands.
Rückfall endet tödlich
Ljungberg sah sich dort allerdings gleich Gegenwind ausgesetzt, es gab öffentliche Diskussionen um seine Eignung für den Posten. Unter anderem äußerten Ringerinnen Skepsis, ob er mit seiner Prägung auch die weiblichen Athletinnen ausreichend beachten würde.
Die Kritik ging dem sensiblen Ljungberg nahe, wie seine Freundin später berichtete. Wie gefährlich nahe, konnten seine KritikerInnen nicht wissen. Ljungberg hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Suizidversuche hinter sich.
Ljungbergs neue Freundin beobachtete in seinen letzten Lebenswochen verstärktes Rückzugsverhalten, am zweiten November-Wochenende 2004 musste Ljungberg akut erkrankt in eine Klinik eingeliefert werden. Weil er nicht konsequent beaufsichtigt wurde, nahm ihm die Krankheit dort am 17. November 2004 sein Leben. Er wurde nur 34 Jahre alt.
Zehn Jahre nach Ljungbergs Tod wurde er posthum in die internationale Hall of Fame der Ringer aufgenommen. Sein Vermächtnis lebte auch in einer Stiftung zur Förderung von Sportlern, die sich durch Fairness und Bescheidenheit auszeichnen. Letzter Profiteur war 2018 der inzwischen zum Superstar aufgestiegene Stabhochspringer Armand Duplantis.