Deutschland gehört bei den Olympischen Spielen in Paris beim Dressurreiten zu den klaren Gold-Favoriten. Sönke Rothenberger konnte mit der Mannschaft bereits 2016 bei den Spielen in Rio de Janeiro triumphieren - mit Goldmedaillen kennt er sich also bestens aus!
Eklat! Deutscher Star mit Klartext
Wer soll die deutschen Dressurreiter jetzt noch stoppen? Nach dem Eklat um Charlotte Dujardin und dem damit verbundenen Rückzug scheint Gold zum Greifen nahe. Doch Rothenberger warnt vor der Konkurrenz, insbesondere den Dänen.
Auch zum Peitschen-Eklat vertritt der 29-Jährige eine klare Meinung. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht Rothenberger von den Trainingsmethoden der Deutschen und warum Pferde für ihn wie Familienmitglieder zu behandeln sind.
SPORT1: Herr Rothenberger, wie groß ist die Vorfreude auf Olympia? Wie steht es um die Euphorie im deutschen Team?
Sönke Rothenberger: Die Vorfreude ist riesengroß. Bei mir kam alles ‚Last Minute‘, aufgrund des Ausfalls von Ingrid Klimke. Wir freuen uns natürlich riesig, sind jetzt gerade im Trainingslager und am Freitag geht es dann endlich los zur Wettkampfstätte vor dem Schloss von Versailles. Das wird bestimmt historisch und schön.
SPORT1: Wie haben Sie von der Teilnahme erfahren?
Rothenberger: Ich bekam einen Anruf von unserem Equipechef Klaus Roesner, der mir gesagt hat: Leider, leider ist das Pferd von Ingrid Klimke ausgefallen und ob ich jetzt nachrücken könnte? Ich habe natürlich nicht eine Sekunde gezögert, das ist eine einmalige Chance. Ich habe sofort angefangen, meine Koffer zu packen und alles auf „Hau-Ruck“ vorbereitet.
SPORT1: 2016 konnten Sie bereits mit der Mannschaft die Goldmedaille gewinnen. Was sind Ihre Ziele und Erwartungen für die kommenden Spiele? Welche Rolle spielen Sie in der deutschen Mannschaft?
Rothenberger: Dieses Jahr habe ich ja eine andere Rolle. Das Reglement hat sich geändert: Die anderen drei Reiter im Team (Jessica von Bredow-Werndl, Isabell Werth und Frederic Wandres, Anm. der Red.) werden erst mal starten und die Mannschaftsaufgabe bestreiten. Die Bundestrainerin hat aber jederzeit die Chance zu switchen, ich könnte also theoretisch noch eingewechselt werden. Meine Rolle besteht jetzt aber erst mal darin, mich und mein Pferd so gut wie möglich vorzubereiten, sodass wir angreifen können, wenn – wieso auch immer – getauscht werden sollte. Wir werden uns so fit wie möglich halten, dass die anderen ruhiger reiten können und falls etwas sein sollte, die Mannschaft nicht direkt platzt.
Deutsches Team vom Dujardin-Eklat schockiert!
SPORT1: Der Aufschrei nach dem prominenten Eklat um Charlotte Dujardin ist groß. Wie groß ist die Gefahr, dass die gesamte Sportart dadurch in Verruf gerät?
Rothenberger: Es war für uns alle ein Riesenschock – keine Frage. Wir hoffen auf eine schnelle und transparente Entscheidung seitens der FEI (International Federation for Equestrian Sports, Anm. d. Red.), aber bei so etwas herrscht auch bei uns null Toleranz. Was auf dem Video zu sehen ist, hat nichts mit pferdegerechtem Training zu tun! In der Öffentlichkeit kommt die Bindung zwischen Reiter und Pferd schwer rüber, unsere Pferde sind Familienmitglieder! Den Vorfall um Dujardin unterstützen wir überhaupt nicht, das sind keine pferdegerechten Trainingsmethoden und wird somit von uns auch nicht praktiziert. Wir hoffen, dass die FEI ihre Konsequenzen daraus zieht. Wir haben am Dienstag davon erfahren, aber jetzt liegt der Fokus voll auf unsere Leistungen und auf die anstehenden Spiele.
SPORT1: Der Vorfall ereignete sich bereits vor vier Jahren. Muss sich Charlotte Dujardin vorhalten lassen, erst auf zunehmenden Druck und unfreiwillig reagiert zu haben?
Rothenberger: Das kann ich so nicht beurteilen, dafür sind wir nicht nah genug dran. Ich habe nur gelesen, was auch von den Medien berichtet wurde. Wir stehen nicht im direkten Austausch mit Dujardin, ich habe es nur so wahrgenommen, dass der Vorfall sich entweder vor vier oder zweieinhalb Jahren ereignet hat. Aber egal wann es stattgefunden hat, selbst wenn es gestern war: So etwas ist absolut zu verabscheuen und hat nichts mit pferdegerechtem Training oder Training in irgendeiner Art und Weise zu tun. So geht man nicht mit seinen Pferden beziehungsweise Familienmitgliedern um.
SPORT1: Sieht das deutsche Dressur-Team das Aus von Dujardin auch positiv, schließlich steigen die Chancen auf Gold bzw. eine Medaille?
Rothenberger: Natürlich müssen wir am Tag X erst mal abliefern. Es ist eine enorme Schwächung der Briten, aber es gibt auch andere Nationen, die sehr stark sind wie die Dänen zum Beispiel. Keiner hat sich das gewünscht. Für den ganzen Pferdesport ist sowas unschön. Jeder hätte sich gewünscht, dass solche Bilder niemals zustande gekommen wären. Nicht, dass solche Bilder nicht auftauchen, sondern dass solche Trainingsmethoden einfach nicht stattfinden. Jeder sollte pferdegerecht an den Start gehen und dann möge der Beste gewinnen. Aber ich sehe an dieser Geschichte gar nichts Positives.
Was den Dressursport vom Modernen Fünfkampf unterscheidet
SPORT1: Schon vor vielen Jahren geriet das Barren durch Paul Schockemöhle in negative Schlagzeilen, vor drei Jahren standen die modernen Fünfkämpfer nach dem Vorfall um Annika Schleu am Pranger. „Wir wurden zu Pferdeschlächtern gemacht, in Reitschulen passieren noch viel schlimmere Sachen“, sagte Fünfkampf-Bundestrainerin in einem tz-Interview jüngst. Was ist Ihre Reaktion dazu?
Rothenberger: Ich weiß nicht, was die Bundestrainerin meint. Die Bilder damals haben für sich gesprochen. Moderner Fünfkampf hat nichts mit unserem Verband zu tun. Wir bauen mit unserem Pferd über Jahre hinweg eine Partnerschaft und enge Bindung auf. Im Fünfkampf werden die Pferde zugelost und die Athleten kennen die Pferde nicht. Die Bilder waren sehr schockierend und für mich hört sich das nach „Whataboutism“ (wenn vom eigentlichen Thema abgelenkt wird, Anm. d. Red.) an. Wenn in Reitschulen wirklich solche Gräueltaten stattfinden, dann sollten die Leute aufgeklärt und Konsequenzen gezogen werden.
SPORT1: Können Sie mit Sicherheit ausschließen, dass es solche Methoden unter Deutschlands Top-Dressurreitern und -reiterinnen nicht gibt?
Rothenberger: Ich bin schon in einigen Reitschulen gewesen, gebe viele Lehrgänge und habe so etwas glücklicherweise noch nie gesehen. Das sind nicht unsere Methoden. So gehen wir mit unseren Familienmitgliedern nicht um. Ich kann nur für das sprechen, was ich selbst sehe. Das Training aller Reiter hier im Trainingslager der Deutschen war absolut Pferdegerecht und toll anzuschauen, wie unsere Pferde Spaß an den Übungen hatten.
SPORT1: Waren Sie schon im Olympischen Dorf?
Rothenberger: Noch nicht, aber ich freue mich tierisch darauf, alles dort zu sehen. Es sollen ja die nachhaltigsten Spiele überhaupt werden, was ich grundsätzlich begrüße. Ich freue mich total, aber hoffe, dass es nicht zu kuschelig wird (wegen der fehlenden Klimaanlagen, Anm. d. Red.).
„Alle sollen wieder gesund nach Hause kommen“
SPORT1: Corona ist spätestens seit Gina Lückenkemper wieder ein Thema und bei einem Ausfall in Ihrem Team wären Sie der Profiteur. Treffen Sie besondere Schutzmaßnahmen?
Rothenberger: Es ist natürlich nicht meine Absicht nachzurücken, weil jemand anderes krankheitsbedingt ausfällt. Wir sind hier als Mannschaft aufgeschlagen, haben ein gutes Klima, keiner wünscht dem anderen etwas Schlechtes. Alle sollen wieder gesund nach Hause kommen. Die Lage um Corona ist seit Jahren bekannt. Das ist nicht Neues mehr. Wir werden die Standardhygienemaßnahmen einhalten und auf Reisen dann auch zur Schutzmaske greifen. Ein bisschen vorsichtiger ist man schon, aber bis zu der Frage habe Ich mir ehrlich gesagt kaum Gedanken darüber gemacht.
SPORT1: 2016 gingen Sie noch mit „Cosmo“ an den Start. Neben der Team-Goldmedaille reichte es im Einzel zum 19. Platz. In Paris treten Sie aber mit „Fendi“ an. Wieso?
Rothenberger: Ich habe mit „Fendi“ jetzt ein jüngeres Pferd – ein Pferd, in das ich sehr viel Hoffnung habe. Er soll in Zukunft in die großen Fußstapfen von „Cosmo“ treten. „Cosmo“ ist ein einzigartiges Pferd, dem ich alles zu verdanken habe und dass meine Karriere überhaupt so verlaufen ist. Jetzt ist die jüngere Generation dran und da gehört „Fendi“ nun mal dazu. Ich freue mich die Reise mit ihm mitzuerleben, wie schon 2016 in Rio de Janeiro mit Cosmo.