Wenige Wochen vor Olympia in Paris herrschte große Unruhe beim Deutschland-Achter, Trainerin Sabine Tschäge griff knallhart durch.
Ein deutscher Mythos wankt
Der zweimalige Olympia-Zweite und dreimalige Weltmeister Hannes Ocik, der Anfang des Jahres eigentlich als Hoffnungsträger zurückgeholt worden war, wurde als Schlagmann durch Mattes Schönherr ersetzt. Und das ausgerechnet bei einem großen deutschen Mythos, bei dem es auch auf die feinste Orchestrierung geballter Kraft ankommt.
„In der kurzen Zeit ging es für uns darum, Konstanz und eine gute Abstimmung reinzubekommen. Das Potenzial ist aber da und groß“, sagte Schönherr zu SPORT1.
In Paris konnte das Potenzial bisher nur bedingt abgerufen werden. Im Vorlauf kam der Achter auf Platz drei ins Ziel und muss auf dem Weg ins Finale den Umweg über den Hoffnungslauf nehmen.
Schönherr, der von Position 4 quasi aus dem Maschinenraum des Bootes auf die Position des Taktgebers rückt, weiß um seine Verantwortung: „Man muss technisch vorangehen.“
Der letzte Olympiasieg des Deutschland-Achters 2012 in London sei für ihn eine „große Faszination“ gewesen. Im Anschluss zog er ins Sportinternat und begann mit dem Rudern. Nun führt er das erfolgsverwöhnte Flaggschiff, das zuletzt 2008 in Peking ohne Olympia-Medaille geblieben war, an.
1960 wurde der Mythos geboren
Der Druck ist immens und die Aufgabe im Olympia-Vorlauf mit den Gegner Niederlande, Rumänien und die USA schwierig.
Dem Deutschland-Achter umgibt ein ganz besonderer Mythos – geboren beim Olympia-Sieg 1960 gegen die Jahrzehnte übermächtigen US-Amerikaner. Sechs Jahre nach dem Fußball-Wunder von Bern war das Wunder von Rom weiterer Balsam für die deutsche Seele.
Um im Boot sitzen zu dürfen, nehmen Deutschlands Ruderer eine schier endlose Schinderei auf sich. Jeden Tag Training, kein Tag frei. 44 Kilometer jeden Tag auf dem Dortmund-Ems-Kanal, verteilt auf zwei Einheiten, je anderthalb Stunden bei Wind und Wetter, zwischen der Ödnis der rostigen Spundwände links und rechts. Zwischendurch zusätzliches Krafttraining im Dortmunder Leistungszentrum.
50 Kilogramm pro Zug – 220 Züge pro Rennen
Und es zählt nicht nur die unbändige Kraft. Das ist ja die Kunst: Acht Athleten, alle etwa zwei Meter groß und 100 Kilogramm schwer, die das schlanke, fast 18 Meter lange Boot in perfekter Synchronität durch das Wasser gleiten lassen. Die Harmonie der Körper, die auf ihren Rollsitzen vor- und zurückgleiten, die Perfektion beim zeitgleichen Eintauchen der Blätter. All das bei höchster Anstrengung.
50 Kilogramm pro Zug auf dem Paddelblatt. 220 Züge pro Rennen. Schmerzen vorprogrammiert. Reine Willenskraft treibt sie dann an, acht Hünen in einem Tunnel. Bis ins Ziel.