So viel Chaos war nie - und die Reaktionen hinterher entsprechend emotional aufgeladen. „Der größte Zirkus, den ich je in meinem Leben gesehen habe“, wütete Argentiniens Trainer Javier Mascherano.
Argentinien-Wut: Selbst Messi in Rage
Und Superstar Lionel Messi, der seine Knöchel-Verletzung aktuell während eines Familienurlaubs auskuriert, zückte fern seiner Landsleute sofort sein Smartphone und schrieb auf Instagram: „Unfassbar!“
Erst vier Stunden (!) nach dem Anpfiff, nach einem vermeintlichen Schlusspfiff, einem Platzsturm und einem Wiederanpfiff für drei Minuten Spielzeit herrschte endlich Klarheit: Marokko hatte Argentinien zum Auftakt der olympischen Wettbewerbe von Paris mit 2:1 (1:0) besiegt. Dabei war das Spiel bereits für beendet erklärt worden - nach einem späten Treffer zum 2:2 der Argentinier in der 16. Minute (!) der Nachspielzeit.
Abseits-Entscheidung nach VAR
Und genau deshalb fordert Argentinien jetzt Konsequenzen. Der Präsident des argentinischen Fußballverbands Claudio Tapia verriet bei X, dass bereits eine formelle Beschwerde bei der FIFA eingereicht wurde, „damit die entsprechenden regulatorischen Maßnahmen ergriffen werden können und eine Sanktion gegen wen oder was auch immer verhängt werden können.“
Dieser Last-Minute-Treffer löste eine heillose Verwirrung aus. Aufgebrachte marokkanische Anhänger stürmten umgehend aus Protest das Spielfeld im Stade Geoffroy-Guichard von Saint-Etienne, im großen Chaos ertönte ein Pfiff, die Mannschaften rannten in die Kabinen - das Spiel schien beendet. Selbst der offizielle Olympia-Liveticker vermerkte zunächst „end of play“, Spielende, vier Minuten später dann aber auch: „interrupted“ (unterbrochen).
Gut zwei Stunden nach diesen bizarren Szenen tauchten die beiden Mannschaften dann plötzlich wieder auf, vor mittlerweile leeren Rängen. Das Spiel sollte fortgesetzt werden - doch der erfahrene schwedische FIFA-Schiedsrichter Glen Nyberg, dessen Pfiff nach dem Treffer tatsächlich nicht das Spielende signalisiert hatte, konsultierte erst einmal den VAR. Und entschied nach Ansicht der Videobilder auf Abseits, das Tor zählte nicht. Nyberg ließ noch einmal drei Minuten nachspielen, dann war endgültig Schluss.
Von einem „historischem Skandal“ schrieb hinterher die spanische Marca. Auch Mundo Deportivo und Sport sprachen von einem „Skandal“ und einem „verrückten Ende“.
Den vermeintlichen Ausgleich hatte nach kuriosen Billard-Szenen Cristian Medina erzielt. Am Ende aber zählten nur die beiden Treffer von Soufiane Rahimi (45.+2 und 51./Foulelfmeter) sowie jener von Giuliano Simeone (68.): Der Sohn von Diego Simeone (Trainer Atlético Madrid) war erst kurz zuvor eingewechselt worden.
Auch Argentiniens Routinier Nicolás Tagliafico (Olympique Lyon) zeigte sich als Beobachter der absurden Situation hinterher bedient und schrieb angesäuert wie kryptisch auf X: „Wenn wir den Zirkus beendet haben, werden wir dann über den Grund für die Unterbrechung sprechen oder uns weiterhin dumm stellen? Wenn es andersherum gewesen wäre, kann ich mir nicht vorstellen, was sie dann sagen würden.“
Nächster Tiefschlag für Argentiniens Fußball
So oder so markierte der Vorfall einen neuerlichen Dämpfer der Albiceleste: Nach dem jüngsten Rassismus-Skandal im Anschluss an den Triumph bei der Copa América war Argentinien bereits während des Spiels zum Start in das olympische Turnier von vielen der 35.000 Fans ausgebuht worden. Nach dem vermeintlichen Ausgleich waren zudem Plastikflaschen, Becher und andere Gegenstände in Richtung der feiernden Argentinier geflogen.
Mascherano verriet obendrein noch, dass sein Team tags zuvor Opfer eines dreisten Diebstahls geworden war: „Gestern wurde bei uns eingebrochen und man hat uns ausgeraubt.“
Vor allem Jungstar Thiago Almada (Botafogo) erwischte es dabei: „Dem fehlt eine Uhr, Ringe, alles... und das während einer Trainingseinheit bei den Olympischen Spielen“, echauffierte sich der Coach.
Zuletzt war ein Video von der Siegesfeier der A-Mannschaft Argentiniens nach dem Gewinn der Südamerika-Meisterschaft aufgetaucht. Darin stimmen einige Spieler um Mittelfeldstar Enzo Fernandez vom FC Chelsea rassistische Sprüche gegen das französische Team an. Bereits nach dem WM-Triumph 2022 gegen Les Bleus hatten argentinische Fans jene Gesänge angestimmt, das Lied richtet sich gegen Frankreichs Stürmerstar Kylian Mbappé und enthält homophobe Beleidigungen. Der Fußball-Weltverband FIFA hat eine Untersuchung eingeleitet.
-----
Mit Sport-Informations-Dienst (SID)