427 deutsche Athleten streben bei den Olympischen Spielen in Paris nach Medaillen. Lilly Stoephasius ist nach Turnerin Helen Kevric die Zweitjüngste im Team Deutschland. Das Besondere: Die 17-Jährige nimmt bereits an ihren zweiten Spielen teil.
Von der Schulbank zu Olympia und zurück
Die Berlinerin debütierte im Alter von 14 Jahren auf der olympischen Bühne, bei den „Corona“-Spielen von Tokio 2021 konnte sie sich im Skatepark auf den neunten Platz tricksen. Nun will sie mehr!
Stoephasius träumt bei Olympia von einer Medaille
Im exklusiven SPORT1-Interview erzählt die Schülerin, wie sie zum Skateboard-Fahren gekommen ist, schildert ihre Erinnerungen an das Olympia-Debüt – und verrät, was sie sich für Paris vorgenommen hat.
SPORT1: Frau Stoephasius, was ist Ihre erste Erinnerung an das Skaten?
Lilly Stoephasius: Manchmal habe ich in meinem Kopf so eine Art Erinnerung an die ersten Male auf dem Skateboard. Aber da war ich noch sehr jung. Es sind vielleicht auch nur Erinnerungen an Videos von mir beim Skaten, die ich mir im Nachhinein angesehen habe. Da war ich in der Skatehalle zusammen mit meiner Schwester, meinem Vater und meiner Mutter.
SPORT1: Wie haben Sie sich in Ihren Anfängen geschlagen?
Stoephasius: Ganz am Anfang war es auf jeden Fall noch nicht abzusehen, dass ich irgendwann zu Olympia fahre oder generell bei Wettkämpfen antreten werde. Aber mein Vater, der selbst skatet und mich zum Skaten gebracht hat, meint rückblickend, dass ich mit sieben besser war als er (lacht). Für mich war es eher schwierig, mich zu vergleichen, weil es keine anderen Mädchen gab und auch überhaupt wenig Jungs in meinem Alter, die geskatet sind.
SPORT1: Wie wurden Sie denn damals von den Jungs im Skatepark behandelt? Auf einmal stand da ein siebenjähriges Mädchen, das besser war als sie…
Stoephasius: Ich wurde immer ganz normal behandelt. Egal, wo ich hingekommen bin. Ob da Leute in meinem Alter waren oder Leute, die 40, 50 Jahre alt waren. Nie wurde ich anders behandelt als jemand, der 20 Jahre alt war oder ein Mann. Ich wurde mit sehr viel Unterstützung in die Skate-Community aufgenommen und niemals komisch behandelt. Ich war damals auch noch nicht so viel besser als alle anderen (lacht).
SPORT1: Gab es irgendwann den Punkt, an dem Ihnen klar wurde, dass Sie ihr Hobby zum Beruf machen können und sogar eine Teilnahme bei Olympia möglich ist?
Stoephasius: Als beschlossen wurde, dass Skateboard-Fahren bei den Olympischen Spielen dabei sein würde, das war 2016. Damals hat man darüber philosophiert, wie das überhaupt funktionieren soll. Ich bin nicht viele Contests gefahren: ein paar Mal in Berlin, Hamburg und Bonn – und war da aber auch immer das einzige Mädchen. Dann gab es die deutsche Meisterschaft, die ich gewonnen habe. Da war ich elf. Damit ging es dann los, dass ich rein theoretisch in einem Olympia-Team wäre, weil ich deutsche Meisterin bin. Es war das erste Mal, dass wir darüber geredet haben und uns dann auch dazu entschieden haben, diese Olympia-Quali gemeinsam als Familie auf uns zu nehmen, obwohl wir wussten, dass es wahrscheinlich sehr stressig wird.
„Ich wusste nicht, was Olympia eigentlich bedeutet“
SPORT1: Es ist Ihnen letztlich geglückt. War die Olympia-Qualifikation die Erfüllung eines Traumes? Und wie haben Sie zuvor die Olympischen Spiele überhaupt verfolgt?
Stoephasius: Damals war es sicher schon ein Ziel von mir, aber eben noch kein Traum – weil ich einfach nicht wusste, was Olympia eigentlich bedeutet. Die einzigen Olympischen Spiele, die ich bewusst von außen wahrgenommen habe, waren die in Rio 2016. Davor war ich zu jung, um wirklich zu verstehen, was Olympia ausmacht. Und was es bedeutet, welche Leute da im Fernsehen schwimmen oder rennen. Ich war so jung, als ich mich selbst dazu entschieden habe, irgendwie zu versuchen, bei Olympia mitzumachen. Ich wusste damals gar nicht, wie groß das Ganze eigentlich ist.
SPORT1: In Tokio haben Sie dann mit Abstrichen selbst erlebt, wie groß Olympia ist. Es waren Ihre ersten Spiele – mit 14 Jahren. Wie blicken Sie auf die Erfahrung zurück?
Stoephasius: Leider sind die Covid-Restriktionen am prägnantesten in den Erinnerungen. Es war damals schon extrem stressig, überhaupt die Erlaubnis zu kriegen, nach Tokio zu fliegen. Dann gab es jeden Tag unzählige Tests, man musste natürlich immer Masken tragen, dazu gab es keine Zuschauer. Das Erlebnis war für mich natürlich trotzdem unglaublich toll, weil ich es ja nicht anders kannte. Ich habe damals schon wahrgenommen, wie groß das ist - alleine durch die Größe des Olympischen Dorfes und als ich gesehen habe, wie viele Sportler aus wie vielen Ländern vor Ort sind. Das ist eine der schönsten Erinnerungen, die ich habe. Aber Corona hat es eben ein bisschen kaputt gemacht, das muss man leider so sagen.
SPORT1: Ist die Freude auf Ihre ersten Olympischen Spiele außerhalb einer weltweiten Pandemie deswegen umso größer?
Stoephasius: Definitiv! Dass Fans vor Ort sein können und, dass ich meine Familie dahaben kann, ist das, worauf ich mich in Paris am meisten freue.
Druck? Die Vorfreude überwiegt!
SPORT1: Sie fahren mitten in Paris auf einem Platz, der an die Champs-Élysées grenzt. Es werden sehr viele Fans anwesend sein, die Tickets sind längst restlos vergriffen. Macht Ihnen das Druck oder überwiegt die Vorfreude, vor vielen Zuschauern zu skaten?
Stoephasius: Auf jeden Fall überwiegt die Vorfreude. Ich freue ich mich immer über Fans. Während meines Runs kann ich sie zum Glück gut ausblenden und spüre deshalb auch keinen Druck. Ich nehme Fans immer nur positiv wahr, vor und nach meinem Run. Während dem Wettkampf nehme ich nur meinen Vater an der Seite wahr. Das Einzige, was ich merke, ist, wie Fans mich feiern, wenn ich meinen Run stehe. Aber auch wenn ich bei Olympia nicht so gut sein sollte, bin ich glücklich darüber, dass Leute uns Skater sehen und wir den Sport auf so einer großen Bühne präsentieren können.
SPORT1: Das deutsche Augenmerk liegt dabei unumstritten auf Ihnen – auch, weil sie als 17-Jährige bereits zum zweiten Mal dabei sind. Wie sind Sie so früh mit der medialen Aufmerksamkeit umgegangen?
Stoephasius: Es hat mich nicht wirklich gestört. Von den Medien habe ich noch nie viel Druck gespürt, ich habe ja lediglich das gemacht, wozu ich auch Lust hatte, und meine Eltern haben mich dabei voll unterstützt. Ich habe die Aufmerksamkeit immer nur als etwas Positives für mich wahrgenommen. Ich habe es insofern genossen, als dass ich eine Stimme hatte und sie nutzen konnte, um den Fokus auf das Skateboarden zu lenken und auf die guten Aspekte davon, die nicht wirklich immer in der Gesellschaft so anerkannt werden.
SPORT1: Was sind denn diese positiven Aspekte, die die breite Öffentlichkeit bei den Olympischen Spielen wahrnehmen soll?
Stoephasius: Zuallererst, dass Skateboarden ein Leistungssport sein kann. Ich wurde von unglaublich vielen Leuten schief angeguckt, als ich gesagt habe: ‚Ich fahre Skateboard und ich bin so gut, dass ich zu Olympia fahre.‘ Selten haben mir die Leute das geglaubt. Auch Lehrer haben mich komisch angeguckt. Ich will ich den Fokus darauf legen, dass Skaten ein Leistungssport sein kann. Das ist aber eben nur eine Seite dieses vielseitigen Sports. Selbst auf diesem hohen Niveau, auf dem es um olympische Medaillen geht, herrschen weiterhin freundschaftliche Verhältnisse untereinander. Man freut sich füreinander, das gibt es in vielen anderen Sportarten nicht. Ich will zeigen, dass dieser Leistungssport so viele schöne Seiten hat.
Was ist nun das Ziel für Paris?
SPORT1: Ihre Leistungen waren bereits in jungen Jahren herausragend. Bei den Spielen in Tokio sind Sie Neunte geworden. Was ist nun das Ziel für Paris?
Stoephasius: Ich will mein Bestes geben! Das ist mein Ziel bei jedem Wettkampf. Ich möchte mir noch im Vorfeld einen Run zusammenstellen, der meine Stärken zeigt und ich möchte einen fehlerfreien Wettkampf hinstellen, mich sozusagen auf dieser großen Bühne von meiner besten Seite zeigen. Natürlich habe ich dann, wenn ich meinen Run stehe, gewisse Erwartungen. Wenn man dann auf das Scoreboard guckt, hat man eine Punktzahl im Kopf.
SPORT1: Hand aufs Herz: Gab es schon den Traum vom olympischen Podest?
Stoephasius: Sicherlich, ja, den gab es. Aber ich muss auch ganz ehrlich zugeben: In einem so großen, internationalen Park-Contest stand ich noch nie auf dem Podium. Bei den X-Games wurde ich Vierte, die gleichen Starterinnen sind auch bei Olympia mit von der Partie. Bei den vergangenen Weltmeisterschaften habe ich den sechsten Platz geholt. Wenn ich ein Ergebnis erreiche, das sich in diesem Rahmen bewegt, bin ich darüber schon überglücklich.
SPORT1: Die X-Games haben in der Funsport-Szene einen hohen Stellenwert. Was ist eigentlich wichtiger: X-Games oder Olympia?
Stoephasius: Ich würde schon sagen Olympia. Bei den X-Games kommt man mit anderen Extremsportarten zusammen, das ist eher etwas Lockeres. Es ist schon wichtig, so professionell wie möglich zu skaten, aber es geht lockerer zu. Für die X-Games kann man sich auch nicht qualifizieren, man muss eingeladen werden. Bei Olympia ist das anders. Deswegen würde ich sagen, dass Olympia sicherlich einen höheren Stellenwert hat als die X-Games. Und trotzdem: Olympia ist nur alle vier Jahre und das Skateboarden geht weiter. Nach dem Contest ist vor dem Contest! Und man muss in den vier Jahren dazwischen ja auch irgendetwas machen (lacht). Wir leben ja nicht von Olympia. Skateboarden hat vor Olympia existiert und es wird nach Olympia existieren. Ich glaube, Olympia braucht das Skateboarden mehr, als das Skateboarden Olympia braucht.
Wie geht es nach Olympia weiter?
SPORT1: Wie bereiten sie sich denn aktuell auf Olympia vor?
Stoephasius: Ich habe mein Training auf jeden Fall erhöht, aber ich war bis in der vergangenen Woche noch jeden Tag in der Schule. Deshalb geht es rein zeitlich eigentlich nicht, mehr als einmal am Tag auf dem Board zu stehen. Danach bin ich in ein Trainingslager nach Skandinavien gefahren. Das hat den einfachen Grund, dass alle Athleten das Profil des Parks in Paris zugeschickt bekommen haben. Anhand der Elemente hat man geguckt, wo auf der Welt es noch ähnliche Parks gibt. Das ist die unmittelbare Vorbereitung, ehe es nach Paris geht.
SPORT1: Und nach Olympia geht es mit der zwölften Klasse im Gymnasium weiter?
Stoephasius: Ja, auf jeden Fall! Meinen Eltern ist es natürlich wichtig, dass ich mein Abitur mache. Aber sie hätten mich auch unterstützt, hätte ich gesagt, ich möchte für ein Jahr Pause machen oder nach der zehnten Klasse aufhören. Das war letztlich meine Entscheidung, weil ich einfach sehr motiviert bin in der Schule. Ich möchte die Schule ohne Pause weiterziehen und nicht länger in der Schule sein als ich muss (lacht).