Der Anblick der Szene schmerzt noch immer, auch dreieinhalb Jahrzehnte danach.
Das Drama hinter einem Olympia-Schock
Am 19. September 1988 - heute vor 35 Jahren - passierte dem US-Amerikaner Greg Louganis eines der berühmtesten Missgeschicke der Olympia-Historie.
Ein Missgeschick, das sich speziell in seiner Heimat ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, weil sich daraus eine Heldengeschichte entspann, wie Sport-Amerika sie liebt.
Erst Jahre später erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Geschichte noch viel dramatischer war, als damals bekannt war.
Greg Louganis war die Ikone der Kunstspringer
Der im kalifornischen El Cajon geborene Louganis war im Spätsommer 1988, zu Beginn der Olympischen Sommerspiele in Seoul bereits einer der profiliertesten Athleten, der nach Südkorea angereist war.
Schon bei Olympia 1976 in Montréal und bei der Schwimm-WM 1978 im geteilten Berlin hatte Louganis erst Silber, dann Gold vom 10-Meter-Turm geholt, vier weitere Weltmeister-Titel folgten, zum gefeierten Star und Nationalhelden wurde er spätestens mit dem Doppel-Gold beim Olympia-Heimspiel in Los Angeles 1984.
Louganis, der sein Bewegungstalent seit frühester Kindheit mit Tanz-, Turn- und Akrobatikkursen geschult und von einer Karriere als Schauspieler geträumt hatte, vollführte seine Kunst mit einer Eleganz und Anmut, die bis heute als unerreicht gilt - umso ironischer, dass ein schmerzhaft missglückter Sprung sein berühmtester ist.
Blutiger Unfall bei Olympia in Seoul 1988
Es passierte bei der Vorausscheidung für das Finale am Drei-Meter-Brett, der damals 28 Jahre alte und seit sechs Jahren unbesiegte Louganis setzt zu einem Sprung an, den er schon tausende Male erfolgreich ins Becken gesetzt hatte.
Ein zweieinhalbfacher Salto rückwärts, gehechtet, ist die Variante, die diesmal heftig schiefgeht: Louganis federt zu weit zurück, sein Kopf prallt an den Rand des Brettes, der große Sprungkünstler plumpst unbeholfen ins Becken.
Die Zuschauer im Olympic Park Seoul und an den TV-Bildschirmen halten erschrocken den Atem an, als Louganis blutend dem Becken entsteigt.
Louganis erleidet eine Gehirnerschütterung, wird mit vier Stichen genäht. Aber er kehrt zurück, holt am nächsten Tag mit einem atemberaubenden Schraubsprung den Sieg - und schafft mit einem weiteren Triumph vom Turm erneut Doppel-Gold.
Der Mythos Louganis ist noch größer geworden, der US-Sender ABC kürt ihn zum Sportler des Jahres, er tritt damit in die Fußstapfen von Ikonen wie Muhammad Ali und Wayne Gretzky.
Louganis war bei Sprung HIV-positiv - und fürchtete Schlimmes
Erst Jahre später enthüllte Louganis, dass noch mehr hinter seinem berühmtesten Moment steckte.
Louganis outete sich im Jahr 1994 als homosexuell und enthüllte im Jahr darauf, dass er sechs Monate vor Beginn der Spiele 1988 als HIV-positiv diagnostiziert worden war. Er verschwieg die damals - drei Jahre vor der wegweisenden Offenbarung von NBA-Legende Magic Johnson - noch stark stigmatisierte Krankheit.
Der Held von Seoul musste sich danach kritische Fragen stellen lassen, ob er mit der Verheimlichung andere Beteiligte der Konkurrenz in Ansteckungsgefahr gebracht hatte.
Louganis selbst gestand, dass er nach seinem Kopf-Crash „gelähmt vor Furcht“ war, dass sich einer der behandelnden Ärzte oder ein Konkurrent durch das Blut infizieren würde und er eine unauslöschliche Schuld auf sich geladen hätte.
Diverse bekannte Mediziner - unter anderem auch der durch die Corona-Pandemie berühmt gewordene Anthony Fauci - meldeten sich nach der Enthüllung zu Wort und ordneten ein, dass nur Gefahr bestanden hätte, hätte auch ein anderer eine offene Wunde gehabt. Und dass das Chlor im Wasser das Risiko zusätzlich vermindert hätte.
Partner starb an AIDS - auch Louganis sah sich todgeweiht
In diversen Interviews und seine Bestseller-Autobiografie „Breaking the Surface“ offenbarte der in einer Adoptivfamilie aufgewachsene Louganis viele weitere Details seiner bewegten Vita.
Er selbst hatte die HIV-Infektion von seinem früheren Manager und Lebensgefährten Jim Babbitt, dem er toxisches Verhalten und eine Vergewaltigung vorwarf, sowie auch, dass er sich 80 Prozent seiner Einnahmen unter den Nagel gerissen hätte. Louganis - der trotz seiner Erfolge nicht so viele Sponsorengelder kassierte wie andere Stars - geriet nach der Karriere mehrfach in finanzielle Probleme.
Babbitt starb 1990 an AIDS, im Jahr darauf verlor Louganis auch seinen an Krebs erkrankten Vater, zu dem er ebenfalls ein zwiespältiges Verhältnis hatte.
Auch Louganis war zwischenzeitlich schwer erkrankt und sah sich todgeweiht: An seinem 33. Geburtstag im Jahr 1993 feierte er eine „Last Birthday Party“, in der er sich schon von Freunden und Angehörigen verabschiedete.
Schauspieler, Hundefreund, Aktivist
Louganis erholte sich jedoch mit Hilfe der fortschreitenden Medizin und arbeitete in den vergangenen Jahrzehnten als Trainer und Mentor für junge Springer, absolvierte auch diverse Auftritte in TV-Shows und Theaterstücken.
Eine kuriose neue Leidenschaft fand Louganis auch in dem Hobbysport „Dog Agility“, wo der liebevolle Hundefreund seine Vierbeiner durch Hindernis-Parcours geleitet.
Louganis ist auch stark engagiert als Aktivist für die Rechte Homosexueller und HIV-Infizierter. In diesem Jahr versteigerte er drei seiner Olympia-Goldmedaillen zu Gunsten eines AIDS-Hilfecenters.