Man kann sich Claudia Pechstein von verschiedenen Seiten nähern. Vielleicht muss man das auch, um eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen aller Zeiten etwas besser zu verstehen. Dieses Polarisierende ein wenig zu erklären.
Der ewige Kampf mit einem Makel
Da ist die Rekord-Winterolympionikin. Neun Olympiamedaillen hat sie gewonnen in ihrer langen, einzigartigen Karriere. Fünfmal Gold, je zweimal Silber und Bronze. Als „ganzen Stolz“ bezeichnet Pechstein ihre Medaillensammlung. Sie macht keinen Hehl daraus, wie wichtig ihr der sportliche Erfolg immer war.
Mit dreieinhalb Jahren begann Pechstein mit dem Eislaufen, die sportliche Karriere der (Ost-)Berlinerin begann noch in der untergegangenen DDR - Platz 1 bei der Kinder- und Jugendspartakiade 1985.
Bei Olympia ging Pechstein fürs vereinte Deutschland erstmals 1992 in Albertville bei Olympia an den Start, vor 30 Jahren! Peking werden ihre achten Winterspiele, so viele Olympiateilnahmen hat keine andere Frau vorzuweisen. Ihr Rennen findet nur wenige Tage vor ihrem 50. Geburtstag statt.
Claudia Pechstein: Dunkler Fleck sorgt für Kritik
Es hätte sogar ihre neunte Olympiateilnahme sein können. Wäre da nicht die Sperre 2009 gewesen. Das Urteil, das sie des Blutdopings für schuldig befand, basierte auf Indizien. Olympia in Vancouver fand ohne Pechstein statt. Noch heute spricht sie von einer „Unrechtssperre“, erklärt die erhöhten Werte mit einer vererbten Anomalie.
Bestimmend und streitbar, das war Deutschlands Vorzeige-Eisschnellläuferin schon immer. Ihr Motto: „Siegen oder sterben!“ So sagte sie es wortwörtlich zuletzt in einem Interview mit t-online. Ironiefrei, voller Pathos.
In solchen Momenten weiß man nicht, ob man sie für schlichtweg ehrlich oder befremdlich halten soll. Oder beides zusammen.
Selbstmordgedanken nach Doping-Sperre
Zumal, wenn man einen anderen Abschnitt ihres Lebens kennt. Nach ihrer Sperre war es, als sie von Selbstmordgedanken getrieben wurde. „Ich war damals kurz davor, mir das Leben zu nehmen! Ich hatte mir eine hohe Brücke ausgesucht in Thüringen, wo man es auf jeden Fall schafft, wenn man runterspringt“, erzählt Pechstein ganz unverblümt.
„Ich saß schon im Auto auf dem Weg dorthin und habe meinem Manager eine SMS geschrieben, dass ich jetzt meinem Leben ein Ende bereite, weil ich keinen Sinn mehr darin sehe. Ich weiß bis heute nicht, warum ich ans Telefon gegangen bin, als er noch mal zurückgerufen hat.“
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Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie sich selbst von Depressionen und Suizidgedanken betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in zahlreichen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
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Dass Pechstein wieder zurück aufs Eis fand, hat sie auch ihrem Lebensgefährten Matthias Große zu verdanken. Der Unternehmer baute sie wieder auf, auch als sich ihr damaliger Ehemann von Pechstein trennte, half ihr beim Comeback.
Pechstein wollte in den Bundestag
Pechsteins politisches Engagement fiel zuletzt weniger erfolgreich aus als ihre sportliche Karriere. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr kandidierte sie für die CDU, musste sich im Wahlkreis 84 in Berlin Treptow-Köpenick dem langjährigen Linken-Abgeordneten Gregor Gysi geschlagen geben. Ihre Hoffnung, in den Bundestag einzuziehen, zerschlug sich.
Dafür erfüllt sich nun in Peking ein großer Traum. Gemeinsam mit Francesco Friedrich wird Pechstein bei der Eröffnungsfeier am Freitag (ab 13 Uhr im Liveticker) die deutsche Fahne tragen. Für Pechstein eine „riesen Ehre“.
Perücke im Haus der Geschichte
Ihre Erfolge, das hatte Pechstein zuvor bekräftigt, habe sie „nie nur für sich selbst, sondern auch für Deutschland“ gefeiert. In Erinnerung sind die Bilder von 2002, als sie sich nach dem Olympiasieg in Salt Lake City eine Deutschland-Perücke aufsetzte.
Die Perücke - getragen im TV-Rennen mit Entertainer-Legende Stefan Raab, mit dem sie im selben Jahr ihre Bekanntheit weiter steigerte - ist inzwischen im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt.
Ihre Wahl zur Fahnenträgerin 20 Jahre danach macht Pechstein auch deshalb „stolz“, weil es eine Abstimmung unter Sportlern und Fans war.
In den Sozialen Netzwerken sorgte die Entscheidung für ein unterschiedliches Echo.
Eine Userin adelte Pechstein als „Elisabeth II. des deutschen Wintersports“.
Andere Reaktionen fielen weniger wohlwollend aus.
Da ist es wieder, das Polarisierende an Claudia Pechstein.