Auf den ersten Blick können sie verführerisch einleuchtend klingen, die Rechtfertigungen aus Russland.
Der Umgang mit ihr ist zynisch
Eiskunstlauf-Wunderkind Kamila Walijewa, die mit erst 15 Jahren in Peking bereits ihr erstes Olympia-Gold errungen hat, ist im Dezember positiv auf ein verbotenes Herz-Medikament getestet worden. (News: Alle aktuellen Infos zu Olympia 2022)
Aber die Menge soll doch sehr gering gewesen sein, heißt es. Davor und danach nichts, von Doping im eigentlichen Sinne könne da doch nicht die Rede sein.
Müsse man da jetzt nicht eine minderjährige Sportlerin schützen, statt sie zur Hauptfigur eines global beachteten Dramas zu machen?
An dieser Argumentationslinie stimmt so viel: Es wäre besser, wenn Kamila Walijewa erspart geblieben wäre, was nun über sie hereinbricht, eine erst 15-Jährige sollte beschützt werden. Der springende Punkt ist allerdings die Frage: Vor wem?
Fall Walijewa: Harte Konsequenz kaum vermeidbar
So wie sich der Fall Waljewa aktuell darstellt, kommen die zuständigen Instanzen nicht daran vorbei, der russischen Mannschaft das Team-Gold abzuerkennen und Waljewa nach Hause zu schicken. (SERVICE: Der Medaillenspiegel)
Eine positive Dopingprobe in der Olympia-Vorbereitung muss eine Suspendierung für genau das Ereignis haben, auf das mutmaßliche Betrüger hinarbeiten. Die geringe Menge spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie negative Tests, die gefolgt sind. Die Erfahrung lehrt, dass Positivtests vor und während Olympia ohnehin nur die Spitze des Doping-Eisbergs freilegen. (DATEN: Alle Ergebnisse bei Olympia 2022)
Verstoß ist Verstoß, es muss Konsequenzen geben - andere Athletinnen und Athleten haben einen Anspruch darauf, dass eine Konkurrenz, die auf fragwürdige Weise mit verbotenen Substanzen herumexperimentiert, aus dem Spiel genommen wird.
Ganz zu schweigen von den moralischen Implikationen, einer 15 Jahre alten Athletin Herzmedikamente zu verabreichen, die nicht als Nahrungsergänzungsmittel für Teenager gedacht sind. (Wie Doping-Experte Fritz Sörgel den Fall bei SPORT1 bewertet)
Umso zynischer ist vor diesem Hintergrund, wenn Walijewas Jugend nun auch noch als Schutzschild missbraucht wird, um vom Verdacht eines fortlaufend betrügerischen Systems abzulenken, das einschlägig vorbelastet ist.
Die Schwäche der Russland-Strafe wird deutlich
Die neutrale Flagge, unter der die „Olympic Athletes of Russia“ in Peking noch immer antreten, ist aktuell eine hilfreiche Erinnerung an den Staatsdoping-Skandal von 2014 und seine Folgen. Der Fall Walijewa scheint aber auch eine Bestätigung für den Schwachpunkt der gegen Russland verhängten Strafe zu sein.
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Der (im Prinzip berechtigte) Versuch, unbescholtenen Athleten eine Chance zu geben, einer Kollektivstrafe für das System zu entgehen, öffnet zwangsläufig wieder die Tür für das System, von dem das Athleten-Umfeld geprägt ist.
Die handelnden Personen des Systems sind die, die eigentlich die härteste Strafe verdienen würden. Dass nun stattdessen eine nicht schuldfähige Teenagerin die Haupt-Leidtragende sein wird, ist bitter. Es gibt jetzt aber wohl keinen Ausweg mehr, der das verhindert.