Einmal mehr legt sich kurz nach Olympia 2021 ein Doping-Schatten über die Königsdisziplin der Leichtathletik.
Silber-Sprinter unter Verdacht: Das sagt Reus
Bedeutet: Sollte die B-Probe den Befund bestätigen, verlieren die Briten ihre Medaille. Silber hinter Italien mit Überraschungs-Olympiasieger Lamont Marcell Jacobs ginge dann an Kanada, Bronze an China.
Damit nicht genug: Auch die deutsche Staffel mit dem deutschen Rekordhalter Julian Reus aus Hanau, für den der Staffel-Wettbewerb das letzte Rennen seiner Karriere war, würde auf Rang 5 vorrücken.
Ein Grund zum Jubel oder schlichtweg zwangsläufige Konsequenz, die man eher beschämt zur Kenntnis nehmen sollte? Im SPORT1-Interview spricht der 33-jährige Reus über den Skandal und seine generelle Wahrnehmung des Anti-Doping-Kampfs in seiner oft von Betrug erschütterten Disziplin.
SPORT1: Herr Reus, der deutschen Staffel winkt wegen des Doping-Falls CJ Ujah die Beförderung von Platz 6 auf 5 bei Olympia. Kann man sich darüber freuen?
Julian Reus: Zunächst muss man festhalten, dass hier noch keine endgültige Entscheidung feststeht und es sich im Fall Ujah um ein laufendes Verfahren handelt. Das finale Urteil muss erst noch abgewartet werden. Sollte es sich bewahrheiten, ist es natürlich immer schöner, wenn man sagen kann, man ist Olympia-Fünfter und nicht Sechster.
Es ist aber auch auffällig, dass in diesem Jahr bei Olympia neue Kontrollmechanismen wirken, weil neben dem Fall Chijindu Ujah noch andere Sprinter positiv getestet worden sind. Auch auf Mittel, die nicht mehr - wie in der Vergangenheit - etwas mit Verschleierung zu tun haben, sondern auf Testosteron-Ersatz und Wachstumshormone. Das ist eigentlich eine gute Nachricht.
Ich hoffe, dass die Kontrollen immer besser werden. Aber für den Sprint selbst sind positive Dopingfälle natürlich nicht so gut in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber wenn man sich mit der Disziplin genauer beschäftigt, weiß man, dass dieses Thema immer eine Rolle spielt. Daher ist jeder positive Befund ein Schritt in Richtung saubererer Sport.
SPORT1: Sind Sie denn überrascht, wie viele Negativschlagzeilen zum Sprint rund um Olympia publik geworden sind?
Reus: Im Sprintbereich ist das Thema immer dabei. Für andere Disziplinen kann ich nicht sprechen, aber im Sprintbereich muss man ja nur in die Vergangenheit schauen oder mal die zehn schnellsten Zeiten anschauen und wie viele da nachträglich überführt wurden. Das schwingt leider immer mit, aber so ist nun mal die Realität - auch wenn es wehtut.
SPORT1: Es gab den Fall Ujah, dazu die Suspendierung von Mitfavoritin Blessing Okagbare bei den Frauen, der verdächtige Kontakt von Sieger Lamont Marcell Jacobs zu einem Ernährungsberater, der ins Visier von Dopinghandel-Fahndern geraten ist. Wie geht man als Kollege damit um?
Reus: Zu Lamont Jacobs kann man eigentlich nichts Seriöses sagen, das ist reine Spekulation. Ich konzentriere mich lieber auf die Fälle, die Fakt sind. Bei Olympia gab es vier oder fünf positive Sportler im Sprintbereich. Aber, auch wenn es sich hart anhört: Jeder positive Fall ist hoffentlich eine Warnung an alle anderen und ein Schritt in die Richtung hin zum saubereren Sport. Daher nehme ich das als Athlet eher positiv wahr - auch wenn es für die Disziplin natürlich eine Schattenseite hat. (So bewertet Doping-Experte Fritz Sörgel den verdächtigen Kontakt von Lamont Marcell Jacobs)
SPORT1: Und wie sehen Sie speziell den Fall Ujah?
Reus: Wie bereits erwähnt, handelt es sich noch um ein laufendes Verfahren. Sollte es sich bewahrheiten, dann hat er betrogen. Und wenn das bestätigt wird, muss er mit den Sanktionen leben. So sind die Regeln.
SPORT1: Als Athlet, der schon lange recht offensiv für sauberen Sport eintritt: Regt man sich über solche Fälle überhaupt noch auf oder hat man da schon ein Stück weit resigniert?
Reus: Aufregen ist vielleicht das falsche Wort. Es ist eher eine Art Bestätigung, dass man einfach damit leben muss, dass in unserer Disziplin nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht. Aber es ist wichtig, dass man das Gefühl hat, man hinkt nicht komplett im Anti-Dopingkampf hinterher, die Athleten kommen nicht mit allem durch.
SPORT1: Haben Sie aktuell denn den Eindruck, dass von verantwortlicher Seite alles getan wird, um Betrüger zu ermitteln? Ist der Kampf gegen Doping vorangekommen?
Reus: Es geht da vor allem um die Test- und Kontrollverfahren. Da kann ich relativ wenig zu sagen, weil ich mich da nicht gut genug auskenne. Aber es ist schon ein Zeichen, wenn vier oder fünf Sprinter bei Olympia positiv getestet werden - vor allem auf Mittel, die man so in der Vergangenheit noch nicht gehört hat, die aber trotzdem Testosteron oder Wachstumshormone simulieren sollen. In dem Bereich hat man dann schon das Gefühl, dass man da einen kleinen Schritt nach vorne gemacht hat. Zumindest in Sachen der Nachweisbarkeit.
SPORT1: Kugelstoßer David Storl, bei Olympia letztlich nicht dabei, hatte sich sehr skeptisch gezeigt, dass bei Olympia Chancengleichheit herrschte - auch mit Blick auf die Folgen von Corona auf das Testregime, das ebenso von vielen Experten als Problem gesehen wird. Teilen Sie den Eindruck?
Reus: Ich glaube, dass es immer - unabhängig von Corona - Lücken und Möglichkeiten gibt, die die Athleten finden. Corona hat nur die Bandbreite der Möglichkeiten erweitert. So gesehen hat Corona also schon einen Einfluss. Aber unabhängig davon gibt es für Athleten, Trainer und Manager immer Wege, das System zu umgehen. Corona ermöglicht nur mehr Wege für diejenigen, die betrügen wollen.
SPORT1: Wie empfinden Sie das deutsche Doping-Testsystem? Ist es transparent, fühlen Sie sich gut aufgehoben?
Reus: Was die Möglichkeiten der Kontrollen angeht, wird das bei uns weltweit mit am striktesten verfolgt. Da nehmen wir eine gewisse Vorreiterrolle ein. Aber das ist nur das Gefühl, das ich habe. Aber ja, ich denke, wir haben da eine sehr gute Position.
SPORT1: In der deutschen Olympia-Staffel waren Sie neben dem 22 Jahre alten Joshua Hartmann, Deniz Almas (24) und Lucas Ansah-Peprah (21) der Routinier. Was können wir in der Zukunft von den jungen deutschen Sprinter-Kollegen erwarten, mit denen Sie sich sehr achtbar geschlagen haben?
Reus: Mir persönlich steht es nicht zu, Erwartungen an meine jungen Sprint-Kollegen zu haben. Aber ich denke schon, dass sie sehr, sehr viele Möglichkeiten in den nächsten Jahren haben werden, wenn sie weiterarbeiten und sich weiter so entwickeln wie bisher. Da arbeiten auch gute Trainer im Hintergrund. Damit werden sie bestimmt im Einzel schneller, womit dann automatisch auch die Staffel schneller wird. Daher können wir da für die nächsten Jahre positiv in die Zukunft blicken.
SPORT1: Wie steht es um Ihre eigene weitere Karriere-Planung?
Reus: Wie meine Zukunft ausschaut, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Da habe ich noch keine konkreten Dinge, die ich äußern könnte. So in zwei, drei Monaten werde ich wohl genauer wissen, wie ich mich in der Zukunft mit dem Thema Sport beschäftigen werde. Ich gehe stark davon aus, dass ich dem Sport beruflich verbunden bleiben werde.