Drama auf dem Rücken von Saint Boy - und ein bitter-aufwühlender Anblick für Millionen TV-Zuschauer: Fünfkämpferin Annika Schleu aus Berlin muss ihren Traum von einer Medaille bei den Olympischen Spielen nach einem völlig missglückten Reiten begraben.
Fünfkampf-Drama: Auch ARD-Moderator verstört
Die auf Goldkurs liegende Olympia-Vierte von Rio blieb am Freitag ohne Punkte und fiel vor dem abschließendem Laser-Run mit 551 Zählern vom ersten auf den 31. Platz zurück. Schleu brach ebenso in Tränen aus wie die mit ihre befreundete Peking-Olympiasiegerin Lena Schöneborn auf der Tribüne (News: Alles zu Olympia).
Gold holte am Ende Kate French (Großbritannien) mit dem Olympiarekord von 1385 Punkten vor Laura Asadauskaite (Litauen/1370) und Sarolta Kovacs (Ungarn/1368), auch die zweite deutsche Starterin Rebecca Langrehr landete auf Platz 28 (1248 Punkte) am Ende fernab der Medaillenränge. Schleu schloss den Wettkampf mit 1088 Punkten auf Rang 31 ab.
Mitleid mit Schleu - und auch Pferd Saint Boy
Sportsoldatin Schleu hatte das Reiten mit 24 Punkten Vorsprung auf die ROC-Athletin Juliana Bataschowa in Angriff genommen. Auf dem Rücken von Saint Boy, auf dem Bataschowas Landsfrau Gulnas Gubaidullina vor Schleu bereits ohne Punkte geblieben war, lief dann aber nichts mehr.
Nur mit Mühe brachte Schleu das ihr - wie in diesem Wettkampf üblich - zugeloste Pferd überhaupt auf den Parcours. Dort verweigerte Saint Boy mehrfach. “Weiter, weiter”, rief Bundestrainerin Kim Raisner. Es nützte nichts.
Unter Tränen versuchte Schleu, Saint Boy auf Kurs zu bringen und lieferte einen Anblick, der neben Mitleid auch Unverständnis auslöste. “Auch aus Tiersicht verstörend” nannte ARD-Moderator Alexander Bommes die Szenen, auch in sozialen Medien regte sich Kritik, dass Tierquälerei betrieben werde - unter anderem auch wegen Raisners Aufforderung “Hau richtig drauf!”
Raisner stand im Gespräch mit dem SID zu ihrer Aussage. “Ich hab gesagt, hau drauf. Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise”, sagte die Bundestrainerin: “Dass man mal mit der Gerte hinten draufhaut, ist jetzt keine Quälerei. Sie hat dem Pferd nicht im Maul gerissen. Sie hatte keine scharfen Sporen dran. Pferde quälen sieht anders aus.”
Seit Jahren ist das als antiquiert kritisierte Regelwerk und seine Anwendung mit den zugelosten Pferden umstritten. Es sorgte dafür, dass Sportlerin und Tier in diese für alle bittere Situation gebracht wurden.
Am Abend äußerte sich auch der DOSB zur Thematik und drängte den Verband zu einer Regeländerung.
Schleu berichtet von “fiesen Nachrichten”
“Ich habe schon fiese Nachrichten bekommen”, berichtete Schleu nach dem Wettkampf bei Eurosport: “Aber ich denke schon, dass ich eigentlich gut mit Pferden umgehen kann. Wir wissen alle, dass im Fünfkampf ein bisschen Losglück dabei ist für alle. Es ist natürlich sehr hart und unglaublich traurig. Es hat allen aus dem Team das Herz gebrochen.”
Lena Schöneborn leidet mit Freundin Annika Schleu
Im deutschen Fünfkampf-Team und um es herum überwog logischerweise das Mitgefühl für Schleu.
“Es kann keiner besser nachempfinden als ich. Es ist Eins-zu-Eins die Situation, die ich in Rio hatte”, sagte Schöneborn, die 2016 in Brasilien ihre Medaillenchance auf dem Rücken von “Legende” verloren hatte, in der ARD, nachdem sie sich erstmal selbst sammeln musste und zunächst Schleus Teamkollegen Patrick Dogue das Mikro überließ (”Wir sind gerade fassungslos”).
“Es ist der Worst Case, der jetzt eingetreten ist. Mit allen anderen Punktzahlen hätte sonst was passieren können, hätte man Annika keine Medaille mehr nehmen können. Das ist sehr erschütternd”, ergänzte Schöneborn, die ihre eigene Karriere 2018 beendet hatte.
Nach Schleu und Schöneborn brach schließlich auch Bundestrainerin Raisner im TV-Interview in Tränen aus. Es gehe Schleu “nicht gut”, auch sie selber könne “nur heulen”, berichtete sie: “Das Pferd muss ein Problem mit dieser Arena haben, es wollte ja nicht mal angaloppieren.” Sie könne “nicht glauben, dass es uns zweimal bei Olympia hintereinander passiert”.
Schleu nach starkem Start noch euphorisch
Schleu war am Donnerstag mit 29 Siegen in 35 Fecht-Duellen glänzend in den Wettkampf gestartet. “Das hatte ich in meinem Leben noch nie. Heute hat irgendwie alles gepasst”, hatte sie im Anschluss in der ARD gesagt.
Im Bonusfechten am Freitag verlor sie im Tokyo Stadium ihr Duell gegen die Südkoreanerin Kim Sehee. Zuvor hatte sie beim Schwimmen über 200 m Freistil nach 2:16,99 Minuten als 24. angeschlagen, ihre Führung aber behauptet. Dann folgte das Reit-Drama.