Gefrustet ging Angelique Kerber zu ihrer Tennistasche. Keine Minute brauchte die 28-Jährige, um nach einem eisigen Handschlag mit Monica Puig ihre Sachen zu packen und zu flüchten. Mit gesenktem Kopf vorbei an der Konkurrentin, die mit einer Puerto-Rico-Fahne über den Platz tänzelte.
So lief der bittere Kerber-K.o.
Dabei war gar nicht klar, wo Kerber so schnell hin wollte. Die Deutsche sollte eigentlich wenige Minuten später bei der Siegerehrung ihre Silbermedaille entgegennehmen.
Kerber brauchte aber einen Moment für sich. Einfach weg. Weg von diesem Center Court, auf dem sie gerade diese bittere Niederlage erlebt hatte.
Silber nicht die erhoffte Medaille
SPORT1 entdeckte die Weltranglisten-Zweite wenige Minuten später im Bauch des Tennisstadions. Die Augen leicht gerötet, las man in ihrem versteinerten Gesichtsausdruck vor allem eines: Frust.
"Natürlich bin ich sehr enttäuscht", sagte Kerber nach ihrer Niederlage im Olympia-Finale gegen die Puero-Ricanerin Monica Puig. "Ich fahre mit einer anderen Medaille nach Hause, als ich es mir vorgestellt hatte."
Kerber hatte verdient gegen Puig verloren. 4:6, 6:4 und 1:6 - die Südamerikanerin spielte hochkonzentriert, variabel und vor allem druckvoll. Eigenschaften, die Kerber zum ersten Mal in diesem olympischen Turnier vermissen ließ.
"Ich habe es heute einfach nicht gut hingekriegt. Und Monica hat ein perfektes Spiel gemacht", konstatierte Kerber nach dem Spiel. Die Niederlage konnte sie selber nicht richtig erklären. Einzig: "An der Kondition und der Konzentration hat es ganz sicher nicht gelegen - und an der Verletzung auch nicht."
Rückenschmerzen bremsen Kerber aus
Gleich zu Beginn hatte Kerber ein Ziehen im unteren Rücken verspürt. Nach beiden Sätzen ließ sie sich deshalb in den Katakomben behandeln. Das Handicap beeinträchtigte sie aber. Immer wieder drehte sich Kerber weg, fasste sich an den Rücken, ging in die Hocke. Sie haderte mit sich und blickte hilfesuchend zu Trainer Torben Beltz und DTB-Teamchefin Barbara Rittner.
Nur kurz konnte sich Deutschlands Top-Spielerin aufbäumen: Im zweiten Satz kämpfte sich Kerber furios zurück und zeigte ihr dominantes Spiel. Doch kurze Zeit später verlor sie erneut die Linie. "Die Probleme kamen zurück", so Kerber. Wieder haderte sie, wieder war sie klar unterlegen.
Zum Kerber-K.O. führten auch zu viele einfache Fehler. Hier konnte sie eine Rückhand von Puig nicht retournieren, da landete ein Stop im Netz, dann schenkte sie zwei Aufschlagspiele her. Die Folge: Frust und Enttäuschung.
Großer Traum ist geplatzt
Mit der bitteren Olympia-Niederlage ist einer ihrer größten Träume geplatzt. Die 28-Jährige hatte schon nach ihrem Viertelfinale zu SPORT1 gesagt: "Ich habe als Kind von Olympia geträumt. Für mich ist dieses Turnier etwas ganz besonders." So besonders, dass Kerber sich ganz diesem Ziel unterordnete.
Zwar beschrieb auch sie wie andere Athleten die "besondere Atmosphäre hier bei Olympia". Weil Kerber aber fast jeden Tag spielte, zog sie sich zurück, las ein Buch, hörte Musik und bereitete sich in Ruhe auf den nächsten Wettkampf vor. Kein Besuch bei anderen Sportarten wie die Kollegen. Alles für den Olympiasieg.
Diese Einstellung brachte die gebürtige Kielerin bis ins Finale. Dort scheiterte sie aber an einer starken Gegnerin und dem eigenen schwächsten Olympia-Auftritt.
Enormer Druck auf Kerber
Möglicherweise war der Druck für die Kielerin auch zu enorm. Immer wieder wurde Kerber in Rio auf die Goldmedaille angesprochen. Immer wieder verwies sie geduldig darauf, sich aufs nächste Spiel konzentrieren zu wollen.
Innerlich wird aber auch sie gewusst haben, dass sie die erste deutsche Spielerin seit Steffi Graf (1988) hätte sein können, die olympisches Tennis-Gold für Deutschland holt.
"Ich weiß, was Druck mit mir machen kann", so Kerber schon nach dem Halbfinale. Im Finale hatte man nun das Gefühl, dass dieser Druck ihr vielleicht doch zu nah gekommen war.
"Das ist ein grandioses Jahr"
Immerhin: Knapp eine Stunde nach ihrem Spiel hatte sich Kerbers Gesichtsausdruck zumindest etwas aufgehellt.
Die Deutsche mit der Medaille um den Hals: "Ich habe nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen." Um dann anzufügen: "Ich habe in dieser Saison schon einen Grand Slam gewonnen und stand bei einem im Finale. Das ist bislang ein grandioses Jahr - und das lasse ich mir nicht kaputt machen."
Wer Kerbers Einstellung zu ihrem Sport kennt, weiß, dass das einerseits Taktik ist, um die Enttäuschung zu unterdrücken. Es darf aber auch als Kampfansage für die nächsten Turniere gewertet zu sein.