Es dauert keine Minute, bis der erste Brasilianer ein Foto will vor dem Beachvolleyballstadion an der Copacabana. Julius Brink lässt sich nicht lange bitten, parliert in passablem Portugiesisch mit dem Fan.
Olympia-Held: "Das hat mich verstört"
Er wird schnell erkannt in Rio de Janeiro als eines der Gesichter des Beachvolleyballs, auch vier Jahre nach dem sensationellen Olympiasieg von London zusammen mit Jonas Reckermann.
In Rio, wo er einst seine ersten Schritte als professioneller Beachvolleyballer machte, ist er für die ARD als Experte vor Ort, produziert zudem sein eigenes Format "Brinkst Du's?", in dem er andere deutsche Olympia-Stars trifft.
Und er macht sich Gedanken über das große Ganze. Mit einem kritischen Facebook-Post zu den Zuständen hinter den olympischen Kulissen sorgte er am Freitag für Aufsehen. Weit über 1000 Mal wurde der Beitrag geteilt, fast 8000 Menschen drückten den Like-Button.
Im Interview mit SPORT1 erklärt Brink seine Gedanken, spricht über das Misstrauen gegenüber Olympia, den Dopingkampf und das Beachvolleyballturnier an der Copacabana.
SPORT1: Herr Brink, haben Sie die Einblicke, die Sie in Ihrem neuen Job bei Olympia bekommen haben, erschrocken?
Brink: Erschrocken hat mich tatsächlich, dass der eigentlich positive Ansatz der "grünen" Spiele hier überhaupt nicht gelebt wird. Ich fand die Idee, die bei der Eröffnungsfeier dargestellt wurde, super. Aber davon findet hier nichts statt. Die Einzelheiten habe ich ja geschildert. Wir sitzen hier und frieren, weil die Klimaanlage auf vollen Touren läuft. Wobei draußen eigentlich eine angenehme Temperatur herrscht. Das alles hat mich verstört, das wollte ich kundtun.
SPORT1: Sie schrieben auch, das Klima unter den Athleten habe gelitten.
Brink: Beim Schwimmen mit Julia Jefimowa hat die ganze Welt hingeschaut. Und das hatte für mich eine neue Dimension. Die Ablehnung der Konkurrenz hat zu Bildern geführt, wo ich sage: Das kann nicht die Zukunft des Olympischen Sports sein, wo Werte wie Völkerverständigung im Vordergrund stehen. Es gibt Betrugsvorwürfe, die Verweigerung eines Handschlags, die einen wollen mit den anderen nicht im Bus fahren. Da frage ich mich schon, wie weit wir gekommen sind und wo das hinführt.
SPORT1: Wie stehen Sie zu IOC-Präsident Thomas Bach?
Brink: Ich will das gar nicht auf seine Person reduzieren. In der Causa Russland betonte er, es habe ein Gremium entschieden. Die Entscheidung dieses Gremiums kann ich persönlich aber nicht nachvollziehen. Man sollte die Werte der olympischen Gemeinschaft hoch hängen und alles dafür tun sie zu schützen. Doping ist Betrug. Und meiner Meinung nach sollte Betrug zu einem Ausschluss führen. Und zwar nicht auf Zeit, sondern auf Lebenszeit. Es gibt einfach zu viele Betrüger. Das beschränkt sich nicht auf Russland.
SPORT1: Was muss aus Ihrer Sicht passieren?
Brink: Wenn wir das Thema Doping in den Griff bekommen wollen, müssen wir das ganz anders angehen. Der Antidopingkampf sollte über eine komplett unabhängige, vom IOC gelöste, Institution laufen. Die Verantwortlichkeiten dürften nicht bei den Weltverbänden liegen. Die schneiden sich ja ins eigene Fleisch, wenn sie ihre besten Athleten sperren. Und es kommt immer wieder zu unterschiedlichen Sperren bei gleichen Vergehen und zu Tricksereien. Das hat ein wahnsinniges Ausmaß angenommen.
SPORT1: Weshalb die Leute immer misstrauischer werden.
Brink: Wir erleben immer mehr, dass Zuschauer den Sportlern nicht mehr über den Weg trauen. In Deutschland auch aufgrund einer sehr kritischen Berichterstattung, die ich aber gut finde. Es ist ja nicht nur ein Betrug an den Konkurrenten, sondern auch am Zuschauer. Der fragt sich: Warum soll ich mir das anschauen, wenn drei Jahre später eh alle überführt werden?
SPORT1: Wollen daher die Leute in Deutschland auch keine olympischen Spiele mehr?
Brink: Klar macht sich das bemerkbar. Ich war immer ein Befürworter und habe immer noch den Traum, Olympia im eigenen Land zu erleben, egal, in welcher Funktion. Aber wenn du mit den Kritikern sprichst und die Argumente anführen wie Doping, Betrug, Korruption - was willst du denen sagen?
SPORT1: Haben Sie das Gefühl, dass die Brasilianer die Spiele hier annehmen?
Brink: Da bin ich etwas zwiegespalten. Grundsätzlich sind die Brasilianer sehr begeisterungsfähig, was Sport angeht, und auch nicht nur Fußball. Aber wenn nicht gerade ihre Landsleute spielen, lassen sie auch mal Tickets verfallen und gehen vorzeitig heim. Beim Fair-Play-Gedanken gibt es teilweise Luft nach oben, gerade hier beim Beachvolleyball.
Und was das Ticketing angeht, ist es teilweise eine Farce wie internationale Kontingente irgendwo versanden und wie viele Plätze frei bleiben. Die könnte man doch dann freigeben für die Bevölkerung oder an Schulen oder soziale Einrichtungen geben.
SPORT1: Im deutschen Team gab es offene Beschwerden darüber, dass keine Politiker hier sind um ihre Wertschätzung zu zeigen. Wie sehen Sie das?
Brink: Ich finde es auch schade. Für mich ist Olympia das größte Sportereignis der Welt, und nicht die Fußball-WM. Hier fließen unfassbare finanzielle Mittel rein. Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Politiker sich zeigen bei der Mannschaft, die wirklich viel für die Gesellschaft tut.
SPORT1: Wie sehen Sie die deutschen Leistungen beim Beachvolleyball-Turnier hier?
Brink: Ludwig/Walkenhorst liegen ja noch aussichtsreich im Rennen, denen traue ich alles zu. Gut, dass sie jetzt immer stärkere Gegnerinnen hatten. Borger/Büthe sind im Achtelfinale gegen die topgesetzten Brasilianerinnen raus, das ist aller Ehren wert. Und bei den Männern sind Böckermann/Flüggen sicher etwas unter den Erwartungen geblieben, aber man sollte sie jetzt auch nicht in die Pfanne hauen. (Der Olympia-Zeitplan)
SPORT1: Für viele sind Sie wegen 2012 untrennbar verbunden mit Jonas Reckermann, der ja auch hier ist als Experte. Wie stehen Sie heute zueinander?
Brink: Unser Draht ist nach wie vor sehr gut. Wir haben beide die gleiche Mission, unsere tolle Sportart zu vermitteln, für die wir sicherlich auch noch mit unseren Gesichtern stehen. Das macht uns riesig Spaß. Natürlich verbindet uns das noch, was damals passiert ist. Und gerade hier, wo wir unser vierjähriges Jubiläum haben, blickt man dann schon noch einmal zurück und sagt sich: Wahnsinn, was wir geschafft haben.