45 Tage vor dem Start der Olympischen Sommerspiele in Rio (5. bis 21. August) sind Russland und Kenia wegen latenter Dopingvorwürfe vom Olympischen Gipfel in Lausanne unter Sonderbewachung gestellt worden.
Trotz Bewachung: IOC kommt Putin entgegen
In sämtlichen olympischen Sportarten ist die Aufsicht über Rio-Kandidaten aus beiden Ländern bei der Konferenz am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unter Leitung von IOC-Chef Thomas Bach an die internationalen Fachverbände delegiert worden.
"Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Unschuldsvermutung zugunsten russischer und kenianischer Athleten", begründete Bach die einstimmige Entscheidung der insgesamt 18 Gipfelteilnehmer aus der IOC-Exekutive und weiteren verschiedenen internationalen Institutionen. Nach dem beispiellosen Beschluss sind Dopingtests durch anerkannte und bestätigte Institutionen außerhalb beider Staaten bei russischen und kenianischen Aktiven vor einem Rio-Start nunmehr obligatorisch.
IOC kommt Russland entgegen
In Bezug auf die spektakuläre Olympia-Sperre für russische Leichtathleten durch den Weltverband IAAF kamen Bach und seine Gesprächspartner Russlands Staatschef und Bach-Freund Wladimir Putin allerdings weit entgegen: Mutmaßlich saubere Leichtathleten aus dem Riesenreich, die "ohne Verbindung zum System" sind, können in Rio nach erfolgter Zustimmung der IAAF unter ihrer eigenen Flagge starten und müssen nicht wie bislang geplant unter einem neutralen Banner antreten.
Spekulationen über einen vorherigen Deal mit Putin in dieser Frage wies der IOC-Chef allerdings zurück. "Was ich da immer lese, zaubert mir nur ein Lächeln aufs Gesicht", sagte der Fecht-Olympiasieger von 1976. Putins Sportminister Witali Mutko wich jedoch prompt vom jüngsten Konfrontationskurs zum internationalen Sport ab und begrüßte die Gipfel-Maßnahmen ausdrücklich: "Bei Olympia sollen gewissenhafte Sportler teilnehmen. Wir müssen jetzt alles unternehmen, dass es so bleibt."
Versöhnliche Töne von Mutko
Insbesondere Bachs durchgesetzte Forderung nach einer Nominierung von Leichtathleten durch Russlands Olympia-Komitee dürfte bei Whistleblowerin Julia Stepanowa für Ernüchterung gesorgt haben. Die russische Mittelstrecklerin, durch deren Enthüllungen der Doping-Skandal in ihrem Heimatland ins Rollen gekommen war, hatte sich zuletzt Chancen auf einen Rio-Start durch die Ausnahmeregel erhofft. Doch das russische NOK dürfte die mittlerweile in den USA lebende Sportlerin für die Spiele kaum nominieren.
Erwartungsgemäß positiv kam die Entscheidung des IOC bei Russlands Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa an. Die Hoffnung auf den Olympiastart sei "noch nicht gestorben", sagte die zweimalige Olympiasiegerin und lobte Bach für dessen "Besonnenheit".
Issinbajewa schöpft Hoffnung
Wie die Maßnahmen gegen Russland und Kenia mit vermutlich zahlreichen Verfahren in der Kürze der Zeit bis Rio koordiniert werden sollen, ließ Bach offen. Dennoch lobte Vorstandschef Michael Vesper vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die "tiefgreifenden" Maßnahmen. "Das ist der nächste Schritt im weltweiten Anti-Doping-Kampf", sagte Vepser: "Es ist gut, dass der Blick geweitet wurde und nicht alleine auf Russland gerichtet wird."
Auch Präsident Clemens Prokop vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) begrüßte das Gipfel-Ergebnis: "Es ist konsequent, dass diese beiden Länder nicht mehr direkt zu Olympia zugelassen sind."
Sanktionen bei Dopingfall ausgeweitet
Generell beschloss der Gipfel auch eine Ausweitung der Sanktionen auf weitere Personenkreise. So sollen nicht nur gedopte Athleten, sondern auch in Dopingfälle verwickelte Funktionäre, Ärzte und Trainer bestraft werden und für Rio keine Akkreditierung erhalten.
Russlands Olympisches Komitee (ROC) kündigte unterdessen in Lausanne an, dass es gegen den Rio-Ausschluss seiner Leichtathleten beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne klagen werde. Der Einspruch erfolge zum Schutz der Interessen und Rechte aller russischen Aktiven, die nie eines Dopingvergehens überführt worden seien, teilte Russlands NOK-Chef Alexander Schukow den Gipfelteilnehmern mit.
Russlands CAS-Klage wenig aussichtsreich
Allerdings sind Russlands Erfolgsaussichten gering. Der CAS hatte erst kürzlich eine Entscheidung des Gewichtheber-Weltverbandes bestätigt, wonach keine bulgarischen Athleten wegen Doping-Verstößen in Rio starten dürfen.
Ungeachtet der Gipfel-Beschlüsse dürfte allerdings die seit dem Wochenende laufende Debatte über Russlands Generalausschluss von Olympia spätestens am 15. Juli an Gewicht gewinnen. Dann wird der WADA-Report zu möglichen Manipulationen von Doping-Proben bei den Winterspielen im russischen Sotschi 2014 veröffentlicht.
Sollten sich die Aussagen von Whistleblower Gregori Rodtschenkow, dem früheren Leiter des Doping-Labors in Moskau und Sotschi, bewahrheiten, wird der "Fall Russland" neu verhandelt. WADA-Präsident Craig Reedie kündigte schon an, dass bei weiteren Belegen die Grundlagen für einen Präzedenzfall wie den Ausschluss Russlands geschaffen sein könnten.