Das höchste Lob kam von einer Formel-1-Legende. Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone (93), der schon etliche Rennen der Königsklasse gesehen hat, sagte zu SPORT1 nach dem legendären Auftritt von Weltmeister Max Verstappen beim GP in Sao Paulo: „Es war unglaublich, Max wirkte so, als könne er übers Wasser laufen. Seine Leistung ist vergleichbar mit Ayrton Sennas Siegen in Portugal 1985 und Donington 1993 oder Michael Schumachers brillanter Regenfahrt in Barcelona 1996. Was alle gemein haben: Alle gewannen überlegen, obwohl sie nicht das beste Auto hatten.“
„Lächerlich“: Zoff wegen Regenrennen
Ecclestone weiter: „Im Regen wird oft das normale Kräfteverhältnis außer Kraft gesetzt. Daraus entstehen Sternstunden.“
Was aber macht das Fahren im Regen so besonders? Warum kann ein Fahrer auf nasser Piste so sehr den Unterschied machen - und andere gehen völlig unter? Zur Erinnerung: Während Verstappen, aber auch Esteban Ocon und Pierre Gasly (beide Alpine) glänzten, landeten andere Piloten in der Bande oder im Kiesbett.
Lance Stroll crashte sowohl im Qualifying als auch in der Einführungsrunde (!) des Rennens. Neuling Oliver Bearman (Haas) forderte ein Safety Car mit der Begründung: „Ich versuche hier nicht zu sterben.“ Shootingstar Franco Colapinto verlor seinen Williams hinter dem Safety-Car. Und Supertalent Oscar Piastri konnte nicht erkennen, ob da womöglich gerade ein Traktor neben der Strecke steht.
Es ist ein Problem der modernen Formel-1-Autogeneration. Die Ground-Effect-Autos wirbeln ungewöhnlich viel Wasser auf, das die Rennwagen dann als Gischt hinter sich herziehen. Die Sicht dadurch: gleich null. Dazu kommen die Pirelli-Regenreifen, die bei kaum einem Fahrer auf Gegenliebe stoßen.
Hamilton wird deutlich: „Das ist lächerlich“
Beispiel Lewis Hamilton: Der siebenmalige Weltmeister schleuderte Formel-1-Boss Stefano Domenicali während des zunächst abgesagten Qualifyings vor laufenden Kameras entgegen: „Das ist lächerlich. Wenn ihr uns bessere Regenreifen und Decken gebt, könnten wir in solchen Bedingungen fahren.“
Nach dem Rennen am Sonntag betonte Doppelchampion Fernando Alonso, der mit seinen 43 Lenzen ebenfalls neben der Strecke zu finden war: „Die Bedingungen waren nicht ideal. Aber wir haben auch keine Reifen, die für die Königsklasse des Motorsports geeignet sind. Sobald es etwas regnet, haben wir Aquaplaning und Unfälle und es ist sogar schwierig, dem Safety Car zu folgen.“
Pirelli-Sportchef Mario Isola winkt ab: „Der Grip im Nassen war begrenzt, teils aufgrund einer öligen Schicht, die entstanden war“, sagte der Italiener über den neuen Asphalt, der noch Bitumen ausschwitzte. „Insgesamt glaube ich, dass beide Regen-Reifentypen ihre Aufgabe erfüllt haben.“
Und weiter: „Wenn wir nur über das Fehlen von Leistung der Regenreifen sprechen, heißt das nur, dass die Autos langsamer fahren müssten. Wir wissen, dass wir die Leistung steigern müssen, aber das bedeutet nicht, dass unsere Regenreifen nicht fahrbar sind.“
Max Verstappen? „Natürlich ein Naturtalent“
Liegt es also doch am Talent des Fahrers? Ex-Jordan-Technikchef Gary Anderson nickt: „Der wichtigste Faktor ist das Fahrgefühl. Das Gefühl für die Haftung auf nasser Strecke ist entscheidend, denn jede Runde verändert sich die Strecke. Das Auto rutscht und bewegt sich ständig. Es geht um Gefühl und Naturtalent – und das kann man nicht lernen.“
Vater Jos Verstappen ergänzt bei SPORT1: „Natürlich ist Max ein Naturtalent. Aber es steckt auch harte Arbeit hinter dem Erfolg. Schon zu Kartzeiten fuhren wir immer wieder im Regen, oft mit Slickreifen, sogar im Schnee. Da lernst du, wie ein Rennauto unter extremen Bedingungen reagiert, auch ein Formel-1-Wagen. Weil es dir irgendwann in Fleisch und Blut übergeht.“
Franz Tost, Ex-Teamchef, der vielen mit jungen Fahrern arbeitete, unter anderem mit Michael und Ralf Schumacher, Sebastian Vettel, aber auch Max Verstappen, sieht noch einen Unterschied: „Nur die ganz Großen fahren im Regen mit dem Auto und nicht das Auto mit ihnen. Fahrer wie Verstappen, Senna oder Schumacher bleiben immer ruhig. Das traf übrigens auch auf Ralf Schumacher zu, auch wenn der keine Titel gewann.“
Diese Fahrer „finden immer den optimalen Grip und die beste Linie, die sich oft innerhalb weniger Runden ändern kann. Sie wissen vorher, was das Auto macht und nicht erst danach, wenn es zu spät ist. Das können nur ganz wenige und besonders unter extrem schwierigen Pistenverhältnissen trennt sich dann der Spreu vom Weizen. Im Trockenen spielt dagegen die Leistungsfähigkeit eines Autos eine wesentlich größere Rolle als im Nassen.“