Sie waren keine Freunde, es war kein Geheimnis. Aber der einst größte Rivale von Michael Schumacher bedauert, dass es nie dazu kam, dass sie es noch hätten werden können.
Schumachers kontroverser WM-Titel
Knapp sieben Jahre ist es her, dass Damon Hill beim damaligen Twitter offenlegte, dass der schwere Ski-Unfall des Rekordmeisters auch bei ihm tiefen Schmerz ausgelöst hat: „Mir gegenüber war er nicht so nett“, bekannte der Brite ehrlich: „Aber ich vergebe ihm. Schade, dass wir nie die Möglichkeit hatten, uns besser kennenzulernen. Eine große Schande.“
Michael Schumacher und Damon Hill: Das war eine komplizierte Geschichte. Mit dem negativen Höhepunkt vor genau 30 Jahren, am 13. November 1994, in Adelaide.
Die Formel 1 1994: Ein trauriges und kontroverses Jahr
Es war die Zuspitzung eines chaotisch-kontroversen Jahres mit Disqualifikationen und Sperren, dazu dem schwarzen Imola-Wochenende mit dem Tod von Legende Ayrton Senna und des Österreichers Roland Ratzenberger.
Imola hatte einer ganzen Szene, die sich unverwundbar fühlte, mit einem Schlag die eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt. Adelaide war aus sportlicher Sicht noch einmal ein Finale furioso, ein abenteuerlicher Abschluss, der zu der gesamten Saison passte.
Denn eigentlich schien die Sache klar: Nach zehn von 16 Rennen hatte Schumacher 31 Punkte Vorsprung, für den Sieg gab es damals bekanntlich noch zehn Zähler. Doch Benetton bewegte sich mit dem Boliden stets im Graubereich des Reglements.
Die Quittung: Durch eine illegale Bodenplatte verlor Schumacher den Sieg in Spa, außerdem war er in Monza und Estoril gesperrt, weil er in Silverstone eine Schwarze Flagge ignoriert hatte.
Vor dem Showdown stand es so nur noch 92:91 für den Deutschen, Kopf an Kopf rasten die beiden Rivalen Schumacher und Hill zum letzten Rennen. Nach einer Achterbahnfahrt mit zahlreichen Aufs und Abs war es dann eine Sekunde, ein Fehler, eine Kollision in der 36. Runde, die über Titel und Tragödie entschied.
Was nicht verwundert, denn beide fuhren mit dem Messer zwischen den Zähnen, auf der buchstäblich letzten Rille, am Limit. Und gingen auch ein wenig darüber hinaus - vor allem Schumacher.
Schumacher vs. Hill: Unfall oder Absicht?
Denn bis heute ist unklar, ob die entscheidende Szene Absicht oder einfach nur ein Rennunfall war. Schumacher war ausgangs Kurve fünf in Führung liegend mit beiden rechten Rädern in die Mauer gerauscht. „Scheiße, jetzt ist der Titel beim Teufel“ - Schumacher brachte später bei Motorsport aktuell seine Gedanken auf den Punkt. Die Lenkung war verbogen, was im Grunde gleichbedeutend mit seinem Aus war.
Hill jedoch hatte in seinem Williams als Zweiter Schumachers Crash nicht gesehen, sondern nur, dass Schumacher neben der Strecke war. Der wiederum wusste, dass der Brite kommen würde.
Die „Falle“ schnappte zu. Hill dachte, Schumacher würde straucheln und sich gerade wieder fangen wollen, als der Benetton hin und her zuckte. Er wollte die sich ihm bietende Chance nutzen, griff in der nächsten Rechtskurve an. Doch Schumacher fuhr beim Einlenken mit dem rechten Hinterreifen über das linke Vorderrad des Williams und landete in den Reifenstapeln - Schumacher war raus, Hill schleppte sich in die Box.
„Jetzt ist alles aus“
„Jetzt ist alles aus“, war sich Schumacher sicher, als er aus seinem Boliden kletterte und hinter dem Sicherheitszaun wie versteinert verharrte. „Ich wusste ja nicht, was mit Damon passiert war, ich wusste aber natürlich, dass wir beide viel Vorsprung auf die Viert- Fünft- und Sechsplatzierten hatten, dass es also für Damon kein Problem sein sollte, diesen einen Punkt Vorsprung, den ich hatte, aufzuholen“, erinnerte sich Schumacher.
Ein Wechselbad der Gefühle. Freude, Jubel, Enttäuschung, Frust, Furcht - alles gleichzeitig, durcheinander. „Ich wusste überhaupt nichts mehr, ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, in mir waren sämtliche Gefühle völlig vermischt.“ Auch gratulierende Streckenposten konnten ihn noch nicht wirklich überzeugen.
Die Zuschauer sahen live im Fernsehen, wie die Mechaniker verzweifelt versuchten, den Williams zu reparieren, bei dem die Aufhängung beschädigt war. Hill schüttelte immer wieder den Kopf. Er konnte es nicht fassen.
Parallel dämmerte auch Schumacher, was Sache war: Er ist der erste deutsche Formel-1-Weltmeister. Er hat Geschichte geschrieben.
Die Briten schäumen
„Es war schrecklich, da draußen warten zu müssen. Aber es war unbeschreiblich, als es dann endlich feststand. Obwohl ich damals so konfus war, dass ich das gar nicht richtig einordnen konnte. Dass ich Weltmeister geworden sein sollte, das habe ich lange nicht richtig kapiert“, sagte er.
Die Briten hingegen schäumten, die Medien verunglimpften Schumacher heftig und auch Hill fragte sich nach dem Studium der TV-Bilder, ob die Aktion nicht doch Absicht war.
Hinzu kam der Eindruck, dass Schumacher kurz vor dem Knall in den Rückspiegel geschaut hat. Er selbst hatte betont, Hill nicht gesehen zu haben.
Der frühere Williams-Teilhaber Patrick Head verriet später einmal, man sei sich sicher gewesen, dass es ein Schumacher-Foul gewesen sei, habe aber aufgrund der schrecklichen Ereignisse in Imola auf einen Protest verzichtet.
„Da 1994 ein so schreckliches Jahr war - wegen des Todes von Ayrton Senna in einem unserer Autos in Imola -, dachten wir, dass es nicht richtig gewesen wäre, wenn Damon Weltmeister geworden wäre, schon gar nicht auf dem grünen Tisch, also sparten wir uns den Protest“, sagte er F1 Racing.
Hill wird noch heute oft auf das Rennen angesprochen. „Viele denken, dass diese Episode keine gute Art und Weise war, eine WM zu entscheiden. Manche werden auf Michael schauen und sagen, das ist der beste Weg, die besten Resultate zu erreichen. Ich wünschte, ich hätte sein Talent gehabt. Aber ich denke nicht, dass ich deswegen auf genau die gleiche Art an den Sport herangegangen wäre“, sagte er dem Tagesspiegel.
Wie die Leidenschaft den Verstand verdrängt
Pat Symonds war damals Schumachers Renningenieur, er arbeitete auch mit Senna und Fernando Alonso zusammen. „Bei Michael hat diese flammende Leidenschaft für den Sieg manchmal seinen Verstand verdrängt“, sagte er motorsport.com.
Er war damals überzeugt davon, dass Schumacher nicht mit Absicht gehandelt hatte. „Doch wenn man Jahre später die Beweise zusammenzieht, dann fragt man sich schon: Was war das?“ Dass Schumacher drei Jahre später im WM-Duell mit Jacques Villeneuve eindeutig Grenzen überschritt, war ein weiterer Grund, warum sein Ruf speziell außerhalb Deutschlands lange ein zwiespältiger war.
Doch trotz oder gerade wegen der harten Bandagen, mit denen Schumacher fuhr und der Kontroversen, die er auf sich zog: Dass heute vor 30 Jahren der erste Meilenstein einer unvergleichlichen Formel-1-Karriere war, ist unbestritten.