Formel-1-Fans wurden am Sonntag Zeugen, wie ein ganz Großer seiner Zunft in Richtung seines vierten WM-Titels raste. Von Platz 17 nach ganz vorne fuhr Max Verstappen beim Großen Preis von Brasilien im Regen von Sao Paulo und holte damit seinen ersten Sieg seit Juni dieses Jahres. Ein Erfolg, der lange überfällig war. Vor allem aber einer, der zeigte, wer aktuell der beste Fahrer der Königsklasse ist.
Verstappen toppt sogar Schumacher
Nötig war die Demonstration im Regen der südamerikanischen Metropole, weil vor allem englische Experten und Rennkommissare die Fähigkeiten des Niederländers zuletzt angesichts des WM-Kampfes gegen Lando Norris immer häufiger infrage stellten.
Verstappen fahre im direkten Duell zu rücksichtslos, zu hart, zu unfair. Aus Verstappen-Sicht muss es sich angefühlt haben wie eine Hexenjagd, die da vom F1-Establishment veranstaltet wurde.
Strafe wegen Spannung?
Dazu passte der Eindruck, dass auch der Automobilweltverband FIA dem Titelverteidiger das Leben selbst am Vormittag im Qualifying noch mit einer sehr spät geschwenkten roten Flagge unnötig schwer machen wollte.
Denn so verpasste der Champion den Einzug ins dritte Qualifying-Segment und musste nach einer Startplatz-Strafe wegen eines Motorwechsels von Platz 17 aus losfahren. Nicht nur Verschwörungstheoretiker rochen eine Benachteiligung des Niederländers zugunsten eines spannenden WM-Finales.
„Aber wenn man Max ärgert, schlägt er erst recht zurück“, sagt sein holländischer Landsmann Guido van der Garde, selbst einst Formel-1-Pilot und jetzt TV-Experte.
Historische Aufholjagd
Fest steht: Verstappen hat am Sonntag in Interlagos Historisches erreicht. Konkret ist er erst der fünfte Fahrer, der von Platz 17 oder schlechter gewinnen konnte. Das schafften vor ihm nur John Watson (zwei Mal), Rubens Barrichello und Kimi Räikkönen. Schumi-Fans in Erinnerung ist auch das Rennen in Spa 1995, als sich der Kerpener im Regen von Platz 16 ganz nach vorne kämpfte.
„Das war definitiv ein sehr emotionaler Sieg“, jubelte am Sonntag nun der Red Bull-Star, der seinen Vorsprung in der WM auf 62 Punkte ausgebaut hat. „Ich habe mich selbst überrascht, hier zu gewinnen. Heute Vormittag wollte ich noch die Garage zerstören, danach bin ich das beste Rennen meiner Karriere gefahren.“
Die richtige Antwort
Helmut Marko war derjenige, der Verstappen im Alter von 17 Jahren in ein Formel-1-Auto gesetzt und seitdem immer an ihn geglaubt hat. „Max war in einer eigenen Welt“, betont der Red Bull-Motorsportchefberater aus Graz. „Er ist geflogen, hat seine Überholmanöver sensationell angesetzt. So eine Demonstration hat alles gesprengt und ist die richtige Antwort darauf, was sich zuletzt alles abgespielt hat.“
Verstappen, der Regengott. Ausgerechnet in der Heimatstadt des legendären Ayrton Senna setzt der dreimalige Weltmeister ein Zeichen. Während Lewis Hamilton Sennas Auto pilotiert und Sebastian Vettel am Rande des GP aus Recycling-Müll einen übergroßen Helm des Nationalhelden formt, fährt Verstappen einfach nur wie Senna.
„Er hat eine unglaubliche Fahrzeugbeherrschung und lotet das Limit im Regen mit viel Gespür weitaus stärker aus als jeder andere“, schwärmt Marko. „Der vierte WM-Titel ist jetzt in greifbarer Nähe.“
Vater Verstappen stolz
Besonders stolz ist Vater Jos Verstappen. Der ehemalige Teamkollege von Michael Schumacher hat seinem Sohn das Kartfahren unter schwierigsten Bedingungen beigebracht – bei Regen und Kälte. „Er hat heute gezeigt, wer der Beste ist“, betont der Niederländer bei Sky. „Ich glaube auch, dass er vor allem nach den negativen Kommentaren aus England sehr motiviert war. Ich bin sehr stolz darauf, was er heute gezeigt hat.“
Fest steht: Gegenwind macht einen wie Verstappen nur stärker. Entsprechend kann er sich in der Pressekonferenz nach dem GP auch eine kleine Spitze nicht verkneifen. „Ich sehe hier gar keine Engländer“, stellte er fest. „Sind die alle schon zum Flughafen?“
Die Königsklasse ist traditionell britisch geprägt. Ausländische Dominatoren tun sich schwer. Das bekamen schon Stars wie Ayrton Senna, Michael Schumacher oder Sebastian Vettel zu spüren. Die Antwort gaben sie genauso wie jetzt Verstappen auf der Rennstrecke.
Letzterer fühlt sich dank seiner Lebensgefährtin Kelly Piquet ohnehin wie ein halber Brasilianer. In der Presserunde nach dem GP gibt er sich selbst den Spitznamen „Maxinho“. Passt perfekt zu einem der ganz Großen seiner Zunft. Das hat er am Sonntag in Brasilien auch jenen bewiesen, die es bislang nicht wahrhaben wollten.