War es Zufall oder böse Absicht? Wie SPORT1 bereits im Vorfeld berichtet hatte, trennt sich Adrian Newey von Red Bull. Es ist ein Paukenschlag in der Formel-1-Szene, der am 1. Mai offiziell wurde.
Wer vom Red-Bull-Beben profitiert
Das Superhirn der Königsklasse, der Techniker mit den meisten WM-Titeln, verlässt das aktuelle Weltmeisterteam und wechselt zur wichtigsten Mannschaft der Formel 1 – wo gerade auch erst der siebenmalige Weltmeister Lewis Hamilton einen Vertrag unterschrieben hat.
Ja, Neweys Kontrakt bei Ferrari ist noch nicht offiziell, aber die Spatzen pfeifen es von den Formel-1-Dächern, dass das Technikgenie sich der Scuderia aus Maranello anschließen wird.
Wie die Gazzetta dello Sport berichtet, soll Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur am Dienstag deshalb statt nach Miami zum GP extra nach London geflogen sein, um den Deal perfekt zu machen. Es ist eine Traumstory für Formel-1-Boss Stefano Domenicali, der Newey als Ferrari-Teamchef ebenfalls nach Italien lotsen wollte – damals noch vergeblich. Es ist auch eine Traumstory für das Traditionsteam aus Maranello, das dem WM-Titel seit 2008 vergeblich hinterherjagt. Es ist aber absolut keine Traumstory für Red Bull und seinen Teamchef Christian Horner.
Für Horner ist es eine heftige Ohrfeige
Der hatte ausgerechnet an dem Tag, an dem sich der Unfalltod von Ayrton Senna zum 30. Mal jährte, die Pressemitteilung versandt. Der Williams des Brasilianers war von Newey designt worden.
Aus Insiderkreisen ist jedenfalls zu hören, dass Newey den Todestag der Formel-1-Lichtgestalt nicht mit einer schnöden Trennung von seinem langjährigen Team beschmutzen wollte – trotzdem wurde es erst am Mittwoch amtlich und nicht schon am Dienstag.
Für Red Bulls Teamchef ist es eine heftige Ohrfeige und die erste öffentliche Abwendung, seit dem Teamchef die sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin vorgeworfen wird. Nun geht der Mann, der die vier WM-Titel mit Sebastian Vettel und die bisher drei Meisterschaftstrophäen mit Max Verstappen dank seiner genialen Rennwagen mitzuverantworten hat.
Horner strebte nach zu viel Macht - und schmälerte Neweys Leistungen
Denn wenngleich man sich in der offiziellen Pressemitteilung Honig um den Mund schmiert (wir verzichten an dieser Stelle auf die entsprechenden Formulierungen, die Teil der Trennungsvereinbarung sind), hat erst die Horner-Affäre den Daniel Düsentrieb der Formel 1 in die Arme von Ferrari getrieben. Dazu gehört auch, dass sich Horner nicht nur seiner Mitarbeiterin gegenüber, die im Übrigen auch Neweys Assistentin war, unangemessen verhalten hat.
Seit dem Tod von Red Bull-Gründer Dietrich Mateschitz im Herbst 2022 hat sein Streben nach Macht teamintern Erzählungen von Insidern zufolge erstaunliche Züge angenommen. Das ging so weit, dass er in einem Interview Neweys Anteil am Erfolg schmälerte. Das kam vor allem bei dessen Ehefrau Amanda nicht gut an, die den entsprechenden Post mit „Was für ein Schwachsinn“ kommentiert hat.
Nun also könnte tatsächlich eintreten, was Max Verstappens Vaters Jos bereits angekündigt hatte: Das Team, das Dietrich Mateschitz mit den Milliarden aus seinen Dosenverkäufen 2005 aus dem Boden gestampft hatte, zerbricht am Höhenflug seines Teamchefs. Denn Newey wird nicht der einzige bleiben, der geht.
Ferrari und Mercedes als Nutznießer des Newey-Abschieds?
Allein: Das darf er sogar schon im ersten Quartal 2025. Damit wird er auch Einfluss haben auf den Ferrari der Generation 2026, wenn neue Chassis- und Motorregeln das Feld durcheinanderwirbeln. Neue Autos gelten seit jeher als Neweys Spezialität. Durchaus möglich also, dass Lewis Hamilton mit seinem Wechsel nach Maranello erneut das große Los gezogen hat wie schon 2013, als er von McLaren zu Mercedes übersiedelte, die ab 2014 dank des neuen Hybridreglements die Rennen bestimmten.
Ein weiterer großer Profiteur könnte auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff werden. Der Österreicher – aktuell gezeichnet von Sorgenfalten ob der schwachen Performance seines Silberpfeils – arbeitet intensiv an einer Verpflichtung von Max Verstappen.
Und wenn man dessen Vater Jos so zuhört, rückt die nach Neweys Wechsel in greifbare Nähe: „Das Team läuft Gefahr auseinanderzubrechen. Davor habe ich Anfang des Jahres schon gewarnt“, sagt der Niederländer jetzt zum Telegraaf. „Für den Frieden im Team ist es wichtig, dass die wichtigsten Leute bleiben. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Newey geht, und Anfang des Jahres sah es so aus, als würden sie auch Helmut (Marko, Anm. d. Red.) rausschmeißen. Das ist für die Zukunft nicht gut.“
Wer die Dynamik bei Red Bull Racing seit Saisonbeginn beobachtet, für den ist klar: Horner wird auch Verstappen nicht halten können. Der Absturz des einstigen Vorzeigeteams ist hausgemacht und scheint nicht mehr aufzuhalten.
Oliver Mintzlaff verhandelte mit Eddie Jordan
Im Windschatten der Red-Bull-Krise hat sich derweil ein ehemaliger Teambesitzer wieder in die Machenschaften der aktuellen Formel 1 hineingeschlichen. Kult-Teamchef Eddie Jordan wird in der Pressemitteilung als „Freund und Manager“ bezeichnet, bei dem sich Adrian Newey bedankt. Der Ire, der einst Michael Schumacher mit seinem Jordan-Team den Einstieg in die Königsklasse ermöglicht hat, war der Strippenzieher bei den Verhandlungen mit Red Bull-CEO Oliver Mintzlaff.
Genau. Der Deutsche war es, der Newey hat ziehen lassen. Auch das spricht nicht gerade für Horners aktuelles Standing im Red-Bull-Imperium. Der Unterstützung durch die thailändischen Mehrheitseigner zum Trotz laufen Horner die Getreuen davon.