Als Christian Horner am Mittwoch in Bahrain gelandet ist, konnte der Red Bull-Teamchef erst einmal aufatmen. Die Beschwerde gegen den Briten ist abgeschmettert worden, Horner damit praktisch freigesprochen. Das teilte die Red Bull GmbH mit.
Rächt dieser „Freispruch“ sich böse?
Doch ein genauer Blick auf das Statement und hinter die Kulissen offenbart: Der Freispruch könnte für Horner zum Pyrrhussieg werden. Und für Red Bull zur Zerreißprobe. Denn anders als in der Mitteilung des Energy-Drink-Konzerns suggeriert wird, hat Horner keinen Prozess vor einem unabhängigen Gericht gewonnen. Vielmehr war es eine interne Compliance-Untersuchung, die er zunächst unbeschadet überstanden hat.
Von der Transparenz, die unter anderem Red Bulls künftiger Motorpartner Ford, die Formel 1 selbst und der Automobilweltverband FIA gefordert hatte, keine Spur. Für jeden Außenstehenden ist es unmöglich nachzuvollziehen, warum die Vorwürfe einer Mitarbeiterin, Horner habe im Arbeitsumfeld gewisse Grenzen des Anstands überschritten, nun doch nicht so schlimm sein sollen. Die Anklage wurde einfach weggebügelt, so die Interpretation diverser Experten.
Und der langjährige Hauptkonkurrent Mercedes bohrt schon kräftig in der offenen Wunde und kritisierte die „ziemlich einfach gehaltene“ Red-Bull-Mitteilung: „Als Sport können wir es uns nicht erlauben, die Dinge im Ungenauen zu lassen“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff am Donnerstag in Bahrain: „Die Organisation hat die Pflicht zu sagen: Wir haben es uns angeschaut, und es ist okay.“
Worst-Case-Szenario für Red Bull?
Für Red Bull ist das, was passiert ist, eigentlich das Worst-Case-Szenario. Denn der Getränkekonzern vermittelt in der Öffentlichkeit so nicht gerade den Eindruck von Glaubwürdigkeit. Ein Image-Problem, das hausgemacht ist. Denn nach dem Tod von Gründer Dietrich Mateschitz im Herbst 2022 entzündet sich am Fall Horner ein gigantischer Kampf um die Macht beim Brause-Giganten.
Auf der einen Seite: die thailändische Familie Yoovidhya und deren Oberhaupt Chalerm. Ihr gehören 51 Prozent der Firma. Auf der anderen Seite Sohn und Erbe Mark Mateschitz, der 49 Prozent der Anteile hält. Zu hören ist, dass die Europäer die angeblichen Verfehlungen Horners ernst nehmen und bereit waren, Konsequenzen zu ziehen.
Doch der Brite pflegt eine „Ziehsohn“-Beziehung zum Thailand-Clan und wird von der Familie gestützt - die auf Ihre Mehrheitsanteile pocht und damit auch die operative Entscheidungsgewalt hat.
Allein: Das wiederum stellt den Job des englischen Anwalts infrage, der offenbar auf Vermittlung von Horners Trauzeugen, Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone, von den Red Bull-Mehrheitseigentümern aus Thailand beauftragt wurde, die Vorwürfe gegen den Teamchef der Formel-1-Mannschaft zu bewerten. Wie unabhängig kann so eine Untersuchung in der Realität sein?
Risse im Red-Bull-Team
Bleibt die Frage, wie es jetzt weitergeht. Sowohl bei Red Bull als auch im Rennteam. Im Zuge der Affäre wurde deutlich, dass an der Spitze von Red Bull Racing keine eingeschworene Truppe am gleichen Strang zieht, um den vierten WM-Titel in Folge zu sichern. Vielmehr wurden sowohl Risse in der Beziehung zwischen Horner und Chefdesigner Adrian Newey als auch im Verhältnis zu Superstar Max Verstappen und dessen Anhang sichtbar.
„Das Problem hier ist ein bisschen speziell“, analysiert Ralf Schumacher entsprechend im Interview mit Sky; „Man hatte fast den Eindruck, dass intern einige Leute Interesse daran hatten, Christian Horner loszuwerden.“ Hintergrund: Das Machtbewusstsein des Briten hat in den vergangenen Jahren durch den immer größer werdenden Erfolge neuen Schwung bekommen und stößt nicht bei jedem Mitstreiter auf Gegenliebe.
Das größte Fragezeichen indes steht hinter der Mitarbeiterin, die die Vorwürfe erhoben hat. Ihr wird nun offiziell das Recht eingeräumt, in Berufung zu gehen. Glaubt man dem niederländischen Telegraaf, hatte die Zeitung Einblick in Unterlagen, die Horners mutmaßliche Grenzüberschreitungen belegen.
In der internen Red Bull-Untersuchung sollen die laut der englischen Times allerdings keine Rolle gespielt haben. Der Dame bleibt deshalb nur der Weg vor ein ordentliches englisches Gericht, um ihre Anklage unabhängig untersuchen zu lassen.
Schwere Vorwürfe gegen Red-Bull-Besitzer in Thailand
In Thailand ziehen derweil ganz andere düstere Wolken auf. Die US-Tageszeitung Washington Post hat mit einem Artikel am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen den Clan erhoben. Hintergrund ist ein Fall von Fahrerflucht aus dem Jahr 2012.
Damals hatte der Enkelsohn des Red Bull-Erfinders laut Wikipedia einen Motorrad-Polizisten mit seinem Ferrari angefahren und war anschließend geflüchtet. Im Spiel sollen dabei auch Alkohol und/oder Drogen gewesen sein. Brisant: Die Anklage ist 2020 von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen worden.
Jetzt, so schreibt die Washington Post, soll gegen den damaligen Polizeichef Anklage erhoben werden. Grund: Er soll dem reichen Enkelsohn geholfen haben, sich der Justiz zu entziehen. Noch so ein Fall, der Red Bull derzeit nicht gerade Flügel verleiht.