Ist der Chef mal aus dem Haus, begehrt George Russell ziemlich auf! So oder so ähnlich lässt sich Mercedes‘ Japan-GP in Abwesenheit von Teamchef Toto Wolff zusammenfassen: Der Österreicher ließ sich in seiner Heimat ein neues Kreuzband im Knie einsetzen, verzichtete für die Operation auf den Trip nach Suzuka.
Pikanter Konflikt bei Mercedes
Spätestens in Runde fünf dürfte Wolff am Sonntag dann aber trotz der frühen Startzeit in Europa senkrecht in seinem Bett gesessen sein, denn da entbrannte zwischen seinen beiden Piloten ein Duell mit harten Bandagen.
Russell attackierte Teamkollege Lewis Hamilton mit einem späten Spurwechsel in der Zielschikane und ging an seinem Landsmann vorbei, der Rekordweltmeister konterte vor Kurve eins auf der Außenbahn und markierte mit einem kleinen Zucker in Richtung Russell zudem sein Revier als Platzhirsch – später nach dem Rennen dann auch verbal: „Ich habe die meisten Punkte für das Team geholt“, kommentierte Hamilton vielsagend, als wolle er seine Vormachtstellung und eine späte Stallorder gegen Russell rechtfertigen.
„Wen wollen wir hier bekämpfen“
Denn das Duell der beiden Schwarzpfeile fing in Runde fünf gerade erst an: Wenig später leistete sich Hamilton in der zweiten Degner-Kurve einen kleinen Ausritt, Russell hing ihm sofort wieder im Getriebe und attackierte erneut. In der Spoon-Kurve drückte Hamilton seinen Stallgefährten deshalb von der Piste und verließ dabei selbst etwas die Strecke. Die Rennleitung untersuchte den Vorfall in Runde 17 kurz, überließ die Mercedes dann aber sich selbst.
„Wen wollen wir hier bekämpfen? Uns oder die anderen?“, fragte Russell am Funk. „Das ist ein bisschen ein frecher Funkspruch, weil wenn hier bisher einer gekämpft hat, dann ist er es“, ordnete Ex-F1-Pilot Alex Wurz ein. Der ORF-Experte sagte: „Gerade zu Rennbeginn sind richtig die Boxhandschuhe rausgekommen. Das war schon eine Härte, wo wir einfach wissen und spüren, dass es hier teamintern eine Spannung gibt und einen Kampf, sich zu beweisen: Wer ist der Bessere und der Härtere? Da ist keine Freundschaft mehr dahinter. Aber solange sie sich nicht in die Kiste fahren und das Team es unter Kontrolle halten kann, ist es noch okay.“
Der Kommandostand machte genau das, reagierte umgehend und trennte die beiden Streithähne, indem er sie auf unterschiedliche Reifenstrategien setzte, wobei Russell es mit nur einem Stopp probierte – das ging am Ende nicht auf, fünf Runden vor Schluss saß Hamilton ihm mit frischeren Gummis wieder im Nacken: „Stellt sicher, dass ihr euch genug Platz lasst“, hieß es vom Team am Funk, ehe Russell per Stallorder angewiesen wurde, Hamilton durchzulassen, weil von hinten Carlos Sainz im Ferrari anfliegt. Gegen den Spanier zog Russell auf alten Reifen dann auch den Kürzeren, wurde am Ende nur Siebter. Hamilton brachte Rang fünf vor dem Ferrari ins Ziel.
Nach dem Aussteigen spielte Russell das Duell mit Hamilton und die Diskussionen am Funk runter: „Ich hatte am Anfang mehr Pace als Lewis, da hatten wir dann einen kleinen Moment. Aber wenn du Rennen fährst, dann pusht du einfach so hart wie du kannst“, sagte er und erklärte: „Der Funk ist dann auch dazu da, um Dampf und Frust abzulassen.“
Hamilton: „Sollten als Team zusammenarbeiten“
Trotzdem mimte der Brite den Teamplayer, auch wenn sein Verhalten am Sonntag auf der Strecke nur wenig dazu passt – Begründung: „Für mich persönlich ist die Fahrer-WM ja sowieso schon total aus dem Fenster, die Saison war dahingehend ein komplettes Desaster mit vielen vergebenen Chancen.“ Als WM-Achter liegt Russell schon 75 Punkte hinter seinem Stallgefährten: „Lewis ist aber noch in einer guten Position für Platz drei in der WM. Es ist also alles gut, wir arbeiten einfach weiter.“
Allein: Hamilton sah die ganze Angelegenheit im Nachgang offenbar nicht ganz so entspannt. „Ich habe noch nicht mit George gesprochen, aber im Debrief werden wir natürlich darüber reden. Das war aggressives Racing und ich musste mich ganz schön verteidigen“, fand der Rekordweltmeister und fügte an: „Das ist eigentlich nicht die Position, in der ich sein möchte. Heute haben wir eigentlich gegen Ferrari um die Positionen gekämpft, nicht gegeneinander. Da sollten wir mehr als Team zusammenarbeiten.“
Eine Meinung, die sicher auch Teamchef Wolff vom Krankenbett aus so unterschreiben würde...