Einen Großteil der 58 Runden plätscherte der Große Preis von Australien vor sich hin. Red-Bull-Star Max Verstappen hatte an der Spitze alles im Griff. Hinter ihm hatten auch Lewis Hamilton (Mercedes) und Fernando Alonso (Aston Martin) ihre Positionen bezogen.
Chaos: Schumacher kritisiert Rennleitung
Dann krachte es. Kevin Magnussen setzte seinen Haas ungestüm in die Mauer und löste so eine Verkettung von fragwürdigen Entscheidungen der Rennleitung der Formel 1 aus.
Resultat der Roten Flagge, die der deutsche Rennleiter Niels Wittich schwenken ließ: Chaos beim Re-Start, zwei Alpine in der Mauer, Alonso umgedreht von seinem Ferrari-Landsmann Carlos Sainz, Nico Hülkenberg plötzlich auf Rang vier - und die nächste Rote Flagge.
Viel Schrott für ein bisschen Show.
Fest steht: Die Rennleitung kann eigenständig sowohl über einen Rennabbruch als auch einen stehenden oder fliegenden Neustart entscheiden. Paragraph 58 des sportlichen Regelwerks gibt dem Rennleiter den nötigen Gestaltungsspielraum.
Wolff nimmt Rennleitung in Schutz
Mercedes-Teamchef Toto Wolff sieht die Situation, die das Rennende um eine halbe Stunde hinauszögerte, nüchtern: „Die Rennleitung muss nach Regelbuch vorgehen und hat das getan. Schade für die Alpines, aber die Regel spielt immer für die einen und gegen die anderen.“
Mit dieser Meinung steht der Österreicher indes ziemlich allein da. „Sie (die FIA, Anm. d. Red.) haben die Probleme selbst kreiert“, kritisiert Weltmeister und Rennsieger Max Verstappen: „Wir hätten nach dem Unfall von Kevin Magnussen keine Rote Flagge gebraucht. Ein Safety Car oder ein virtuelles Safety Car hätte gereicht.“
Tatsächlich lag zwar Magnussens rechter Hinterreifen auf der Rennstrecke, doch sein Auto konnte der Däne schnell aus der Gefahrenzone herausbringen.
Alonso springt Verstappen zur Seite: „Ich war überrascht von all den Roten Flaggen“, gestand der Aston-Martin-Pilot. „Auch beim Williams (von Alex Albon, Anm. d. Red.). Die Strecke war in allen Fällen aus meiner Sicht relativ okay. Aber am Ende muss die Rennleitung entscheiden.“
Schumacher: „Regeln sind das eine, Weitsicht das andere“
Sky-Kommentator Ralf Schumacher schüttelt im Gespräch mit SPORT1 den Kopf. Er plädiert klar gegen einen Neustart drei Runden vor Schluss bei tiefstehender Sonne auf einem superschnellen Kurs wie dem im Albert Park.
„Regeln sind das eine, Weitsicht das andere“, moniert der sechsmalige GP-Sieger. „Man hätte auch ein Safety Car nehmen können, um Chaos zu verhindern. In Australien ist so spät im GP Startchaos einfach programmiert. Die erste Schikane ist extrem schnell, jeder will noch mal seine Position verbessern und geht übermotiviert in die gefährliche erste Kurve. Ich weiß, wovon ich rede.“
Hintergrund: Ralf Schumacher war 2002 nach einem Startunfall mit Rubens Barrichello durch die Luft geflogen und hatte so eine Massenkarambolage ausgelöst.
Bei Sky hatte der Deutsche auch deshalb schon während des Rennens harte Worte gefunden: „Jetzt werden die Fahrer auch noch untersucht (für ihr Verhalten beim Re-Start, Anm. d. Red.). Die Rennleitung sollte sich selbst mal schämen. Man kann von den Fahrern nicht verlangen, sie sollen langsam machen, wenn man dann noch mal so eine Chance bietet. Tut mir leid, aber das ist ein schlechter Scherz.“
Alpine das leidtragende Team
Red Bulls Chefberater Helmut Marko ergänzt auch deshalb die Argumentation des Sky-Experten: „Alle hatten unterschiedlich frische Reifen, die hinter dem extrem langsamen Safety Car auch noch abgekühlt sind. Solche Faktoren muss die Rennleitung einbeziehen, wenn sie sich für einen späten Abbruch mit stehendem Re-Start entscheidet.“
Dazu kommen die enormen Kosten für eine Minute Show zum Finale. Beide Alpine sind Schrott - ein Millionenschaden für die Franzosen, die sich wie alle anderen auch an den Budgetdeckel halten müssen.
Nico Hülkenberg sieht den Fall differenzierter. „Das ist natürlich eine große Diskussion, die da jetzt losgehen wird, aber das überlasse ich mal lieber unseren Teammanagern. Zumindest gab es etwas Verwirrung - auch, warum es so lang gedauert hat, den finalen Re-Start zu machen, das war nicht ideal. Aus Sicht der Fans und des Entertainments kann man es natürlich komplett nachvollziehen, aus Fahrer- und Teamsicht ist es manchmal auch frustrierend.“
Der Haas-Star wägt das Für und Wider ab: „Ich habe heute nichts verloren, aber das kann auch anders laufen: Du fährst dir das ganze Rennen den Arsch aus der Hose und bist in einer super Position. Und dann kann es dir gehen wie Fernando, der beim letzten Re-Start umgedreht wird. Wäre das Auto beschädigt und er hätte nicht weiterfahren können, wäre das Podium weg gewesen. Es ist so ein zweischneidiges Schwert. Ich kann beide Seiten verstehen: Es ist so ein bisschen diese amerikanische Entertainment-Ebene, die mit rein kommt. Aber für uns, die sehr viel Zeit, Energie und Geld investieren, ist mit dieser Variable nicht immer so einfach umzugehen.“
Ferrari-Star Sainz wütet über Strafe
Das Ende vom Lied: ein unwürdiges Ende hinter dem Safety Car mit drei unglücklichen Rennfahrern. Carlos Sainz fiel durch die Fünf-Sekunden-Strafe für eine Berührung mit Landsmann Alonso beim vorherigen Re-Start von Platz vier auf Rang zwölf zurück und konnte sein Pech kaum fassen.
„Ich bin schwer enttäuscht. Das ist die schlimmste Strafe, die ich in meinem Leben gesehen habe. Wir müssen uns mit ihnen unterhalten und dann zurückkommen“, wütete der Ferrari-Star bei Sky. Die Sanktion fand sogar der betroffene Alonso „zu hart“.
Pierre Gasly, der bis kurz vor Schluss auf Rang fünf mit Ferrari kämpfte, hatte nach seiner Strafversetzung auf Platz 13 vor den TV-Kameras Tränen in den Augen. Und sein Teamkollege Esteban Ocon verlor den Punkt für Platz zehn.
Waren diese sportlichen Verlierer das kurze Spektakel wert?