Der Fall Alonso: Gesunder Menschenverstand darf keine Regeln ersetzen. Aber manchmal kann er bei der Einordnung helfen: Bestes Beispiel am Sonntagabend in Saudi-Arabien war George Russell.
Alonso stellt System in Frage
Der Mercedes-Star hatte gerade den dritten Platz von Fernando Alonso geerbt und konnte sich gar nicht so recht freuen. „Die Strafe ist ziemlich hart, die hätten ein Podium verdient gehabt“, gestand Russell mit dem Pokal in der Hand.
Ein paar Stunden später war er das Podium wieder los. Um 01.02 Uhr Ortszeit wurde Alonso rehabilitiert. Die Rennkommissare revidierten ihre Entscheidung und nahmen die 10-Sekunden-Strafe gegen den Spanier zurück.
Wie aber kam es zu der kuriosen Wende? Und welche Konsequenzen zieht die Formel 1 nun, um künftige Possen dieser Art zu vermeiden?
Alonso verlor vorübergehend seinen Podiumsplatz
Die Vorgänge im Zeitraffer: Aktiviert wurde der Strafen-Teufelskreis bereits am Start. Da stand der Aston Martin-Star nicht innerhalb der Gridbox. Seit 2023 ist das aber Pflicht.
„Ich muss mir noch einmal anschauen, wie es dazu kommen konnte“, gesteht der Spanier später. „Es war wohl mein Fehler. Da muss ich besser aufpassen.“
Ohne verbale Gegenwehr akzeptierte der Doppelweltmeister von 2005/06 das Urteil der Stewards und kam während der Safetycar-Phase an die Box. So konnte er seinen Start-Fauxpas praktisch ohne Zeitverlust wieder gutmachen. Auf Rang drei kam er vor George Russell zurück auf die Piste - und blieb dort bis zum Schluss.
Aston Martin: Konkurrenz moniert Wagenheber-Einsatz
Allerdings flatterte bereits eine Runde vor Zieldurchfahrt Post ins Email-System seines Teams. Die Gegner hatten die FIA darauf aufmerksam gemacht, dass Aston Martin den Wagenheber bereits während der 5-Sekunden-Strafe unters Auto geschoben hatte.
Laut § 54.4 des Sportlichen Reglements darf aber erst danach am Auto gearbeitet werden. Die Konkurrenz berichtete zudem von einer Abmachung der Arbeitsgruppe fürs sportliche Reglement, wonach das Berühren des Autos schon als „Arbeiten“ definiert wird.
Die Folge: Nach der Podiums-Zeremonie musste Alonso seine Trophäe wieder abgeben. Doch Aston Martin legte Einspruch ein.
Neue Beweise ändern die Lage
Parallel dazu schoss Alonso verbale Giftpfeile in Richtung Rennleitung: „Es ist nicht gut für die Fans, wenn es 35 Runden dauert, um eine Strafe auszusprechen und das Team darüber zu informieren. Wenn man damit bis nach der Podiumszeremonie wartet, dann stimmt irgendwas mit dem System nicht. Mir tun hier die Fans leid. Die FIA hat hier eine traurige Figur abgegeben. Da sollte man mit gesundem Menschenverstand handeln.“
Der alleine macht eine Strafe indes nicht rückgängig. Sehr wohl aber neue Beweise. Und die konnte das Team des britischen Traditionsherstellers erbringen. Aston Martin legte sieben Präzedenz-Fälle aus vergangenen Rennen vor, bei denen Mechaniker bei Zeitstrafen auch schon das Auto berührten - ohne Strafe!
Den Stewards blieb nichts anderes übrig, als ihr Urteil zu revidieren. In ihrer Begründung stellten sie vor allem die angebliche Abmachung infrage, wonach eine reine Berührung des Autos bereits unter Strafe steht. Die habe es nach den neuesten Erkenntnissen nie gegeben.
Weltverband FIA gibt kein gutes Bild ab
Großer Verlierer der Posse sind Alpine und die FIA. Alpine deshalb, weil deren Pilot Esteban Ocon in Bahrain denselben Strafen-Marathon durchmachte wie Alonso. Und der Weltverband FIA, weil die Rennleitung erst zu lange zögerte, um ein Urteil zu fallen und sich dann von der Konkurrenz auf die falsche Fährte locken ließ.
Fest steht: So ein amateurhaftes Verhalten rückt die FIA in ein schlechtes Licht. Aufgabe der Arbeitsgruppe fürs sportliche Regelwerk ist es deshalb, schnellstmöglich für Klarheit zu sorgen.
Der Weltverband FIA kündigte nach dem Wirrwarr von Dschidda eine „offene Herangehensweise an die Überprüfung und Verbesserung der Prozesse“ an. Der Fall soll am Donnerstag im zuständigen FIA-Gremium diskutiert werden, vor dem Großen Preis von Australien (2. April) werde eine Klarstellung erfolgen.