Ralf Schumacher weiß, was es braucht, um in der Formel 1 Rennen zu gewinnen.
„Mick hatte keine faire Chance“
Insgesamt sechs Siege konnte der jüngere Bruder von Rekordweltmeister Michael Schumacher in seiner F1-Karriere einfahren. Seit 2012 ist mit der aktiven Karriere Schluss, dennoch ist der 47-Jährige ein prägendes Gesicht der Szene geblieben, nicht zuletzt in seiner Rolle als TV-Experte für Sky ist er nah am Geschehen geblieben. Seine anhaltende Lust am Rennfahren bewies er soeben auch erst wieder mit einer erneuten Rückkehr in seinen alten Williams-Boliden. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Im SPORT1-Interview vor dem zweiten Rennwochenende in Saudi-Arabien spricht Schumacher über die Lage der Königsklasse, das vorläufige Aus für seinen Neffen Mick und dessen Zukunftsaussichten sowie einen persönlichen Verlust.
SPORT1: Herr Schumacher, unser Beileid. Als Hundebesitzer können wir Ihren Schmerz nachvollziehen, nachdem Ihre Hündin Jessy gestorben ist.
Ralf Schumacher: Danke. Es ging einfach nicht mehr, deshalb mussten wir eine schwere Entscheidung treffen. Ja, es ist sehr traurig, aber was einen trösten kann: Sie hat 22 Jahre lang ein sehr schönes Hundeleben gehabt.
SPORT1: Sie gelten als besonders tierlieb. Sie haben eine Art Streichelzoo in Ihrer Heimat Kerpen aufgebaut. Was muss man sich darunter vorstellen?
Schumacher: Ich bin ja mit vielen Tieren aufgewachsen. Das prägt natürlich. Und da dank der Grünen jetzt doch nicht mein ganzer Heimatort dem Braunkohlenabbau zum Opfer fiel, habe ich die Gelegenheit genutzt, mein Elternhaus wieder so herzurichten, wie es mal war. Ein Bauernhof mit vielen Tieren. Durch die neuen Pläne gibt es zum Glück auch die Kartbahn noch.
SPORT1: Haben sie mit dem Kartclub Kerpen oder der Bahn noch etwas zu tun?
Schumacher: Ja, aber nicht mehr offiziell. Ich war bis vor kurzem noch Jugendleiter, jetzt macht das ein anderer, was deshalb sinnvoll ist, weil ich ja nicht immer vor Ort sein kann. Aber ich bin froh, dass es die Kartbahn noch gibt. Sie wurde ja neu asphaltiert. Und Teile von ihr liegen auf dem Grund, der mir gehört. Ich wohne ja direkt nebenan. Wir versuchen den deutschen Nachwuchs zu fördern, was in Deutschland im Moment ja schwer genug ist.
Ralf Schumacher lässt die Lust am Rennfahren nicht los
SPORT1: Es soll ja sogar wieder einen Kart-WM-Lauf in Kerpen geben. Das wäre aus deutscher Sicht schön und wichtig. In diesem Zusammenhang: Sie arbeiten ja auch an einem Comeback, haben wir gehört.
Schumacher: Ich bin am Dienstag in Hockenheim in einem LMP3-Rennwagen gefahren. Das Auto ist etwa drei Sekunden schneller als ein DTM-Fahrzeug. Es ist eine Mischung aus einem Formel-Auto und einem Tourenwagen. Ich wollte einfach mal schauen, ob es noch geht. Erstaunlicherweise ging es noch ganz gut, zumindest auf diesem Fahrzeug. Ich werde jetzt noch zwei andere Autokategorien ausprobieren und dann entscheiden, wie es weitergeht. Sobald es was Spruchreifes gibt, werde ich das dann kommunizieren.
SPORT1: Den Beweis, dass Sie es noch können, haben Sie ja schon letztes Jahr in Spielberg während des Österreich-GP bereits abgeliefert: Sie fuhren bei den ersten Demorunden mit Ihrem BMW-Williams von 2003 Wahnsinnszeiten.
Schumacher: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Mit meinem alten Auto bin ich just for fun ein paar Runden gefahren. In Hockenheim beschäftigte ich mich dagegen ernsthaft zum Beispiel mit Set-up-Arbeiten am Wagen und fuhr den ganzen Tag.
SPORT1: Ihr Sohn David war ja auch beim Test in Hockenheim dabei.
Schumacher: Ja, das hat mich auch sehr gefreut. Er wollte halt mal wissen, was der alte Mann noch so kann. Er ist dann auch noch ein paar Runden mit dem Auto gefahren und hatte den gleichen Spaß wie ich. Ich jedenfalls kann jetzt noch viel besser nachvollziehen, warum Fernando Alonso mit seinen 41 Jahren immer noch fährt.
SPORT1: Gutes Stichwort: Alonso ist ja nicht so viel jünger als Sie mit seinen 41 Lenzen. Muss er Angst haben, in Zukunft wieder gegen einen Schumacher fahren zu müssen?
Schumacher: (lacht) Das glaube ich eher nicht. Für die Formel 1 bin ich dann doch wohl ein bisschen zu alt. Aber es ist bemerkenswert, was Fernando da abliefert. Er will ja nächstes Jahr um die WM fahren, unglaublich. Was mich sehr freut: Welche Leidenschaft und welchen Biss er noch hat.
SPORT1: Ihr Bruder war 43, als er 2012 in Monaco noch auf Pole fuhr...
Schumacher: ... ja, das zeigt doch nur, dass das Alter keine Bremse ist. Das war bei Michael so, bei Fernando jetzt, aber auch bei Sebastian Vettel im vergangenen Jahr. Er konnte auch mit einem schlechten Auto noch den Unterschied machen. Das Problem des Alters: Je älter du bist, desto mehr Aufwand musst du betreiben, um die notwendige Fitness zu erreichen. Das ist dann eine Motivationsfrage. Aber irgendwann hast du auch den Punkt erreicht, wo es nicht mehr geht. Dann tut man sich zu schwer gegen einen Fahrer in den Zwanzigern. Das ist aber auch gut so. Denn man soll der Jugend eine Chance geben. Es ist für die heutigen Formel-3 -und Formel-2-Piloten eh schon sehr schwer weiterzukommen.
Vettel? „Ich glaube, das Thema ist abgehakt“
SPORT1: Apropos Vettel: Bereut er womöglich, dass er zurückgetreten ist, wo er jetzt sieht, was mit dem Aston Martin möglich ist?
Schumacher: Ich glaube, das Thema ist für ihn abgehakt. Ich denke, er sitzt ganz relaxt auf dem Sofa und hat jetzt endlich Zeit, sich um seine Familie zu kümmern. Man darf ja eins nicht vergessen: Speziell die Ehefrau richtet ihr Leben über ein Jahrzehnt dem Partner aus. Irgendwann ist dann gut, dann muss man etwas zurückgeben. Ich denke, das hat Sebastian gut entschieden. (DATEN: Die Teamwertung der Formel 1)
SPORT1: Aston-Martin-Chef Lawrence Stroll wurde ja oft gescholten, dass er zu viel Druck mache. Gibt ihm der Erfolg jetzt nicht recht? Auch wenn ehemalige Red-Bull-Mitarbeiter mitgeholfen haben.
Schumacher: Das nennt man dann gute Personalpolitik, die Lawrence Stroll betrieben hat. Es zeigt aber: Dass auch ein so genanntes kleineres Team in der Formel 1 Erfolg haben kann, wenn man eine kernige Truppe hat, die Möglichkeiten, aber auch die Weitsicht hat, die richtigen Leute einzustellen.
SPORT1: Strolls ebenso so oft gescholtener Sohn Lance hat sich für viele ebenfalls rehabilitiert. Für einen Typen, der immer als verwöhntes Vatersöhnchen galt, hat er in Bahrain trotz Verletzungen an Handgelenk und Fuß die Zähne zusammen gebissen und ist Sechster geworden. Wie schätzen Sie ihn ein?
Schumacher: Ich habe da eine andere These zu. Ich glaube, der Vater wusste ganz genau, wie gut das Auto ist. Deshalb hat man alles dafür getan, dass Lance nach seinem Fahrradunfall irgendwie das erste Rennen bestreiten konnte, bevor ein Ersatzpilot gute Ergebnisse damit abliefert. Lance hat aber das Potential des Autos abgerufen und eine Superleistung abgeliefert. Dass er große Schmerzen hatte, sah man nach dem Rennen: Der Arme kam kaum aus dem Auto raus. Trotzdem ist meine Einschätzung: Er ist ein guter Rennfahrer, der Nachwuchsklassen gewonnen hat, aber das Potential Weltmeister zu haben, spreche ich im ab. Punkt!
„Mick hatte keine faire Chance, obwohl er Leistung gezeigt hat“
SPORT1: Kommen wir zum Mercedes-Werksteam. Da scheinen ja schon nach dem ersten Rennen die Paniklichter anzugehen.
Schumacher: Man hat an Teamchef Toto Wolffs Reaktion gesehen, dass er die Faxen dicke hat. Seine klaren Worte fand ich persönlich sehr gut. Er wird sich sicherlich in den Hintern beißen, dass er den Technikern geglaubt hat, die unbedingt an dem Fahrzeugkonzept festhalten wollten, das völlig unterschiedlich zu dem von den Klassenbesten Red Bull oder Aston Martin ist. Jetzt weiß er, dass dieses Konzept falsch war. Deshalb, glaube ich, wird es bei Mercedes personelle Konsequenzen geben.
SPORT1: Mercedes muss das Auto stark verbessern. Ist das nicht die Chance ihres Neffen Mick, sich jetzt als Test -und Ersatzfahrer von Mercedes zu profilieren?
Schumacher: Grundsätzlich muss er sehr viel lernen. Alles aufsaugen, was es bei Mercedes gibt. Er hat aber leider nicht die Möglichkeit, das Auto direkt auf der Strecke zu fühlen. Was er aber sehr wohl machen kann: Im Simulator zeigen, dass seine Arbeit Früchte trägt, seine getesteten Änderungen für die Stammfahrer Lewis Hamilton und George Russell Sinn machen und das Auto besser wird. Ansonsten muss er abwarten, dass er eine Chance auf einen Einsatz bekommt und dann zuschlagen. Er braucht gerade viel Geduld und auch ein wenig Glück, um wieder ein Cockpit zu bekommen. Im Prinzip ist er nur Passagier. Die Medien sollten nicht jetzt schon anfangen, Nico Hülkenberg, der Micks Cockpit bei Haas übernommen hat, mit Mick zu vergleichen. Klar hat Hülkenberg gut gegen seinen Teamkollegen Kevin Magnussen abgeschnitten. Aber erstens ist erst ein Rennen gefahren und zweitens hatte Mick in der zweiten Saisonhälfte 2022 Magnussen auch klar im Griff. Das sollte man nicht vergessen.
SPORT1: Die neue Netflix-Staffel der Doku „Drive to Survive“ hat Mick nicht sehr gut aussehen lassen, weil sich quasi alles um den Anfang vergangen Jahres drehte, als er Probleme hatte. Wie bewerten Sie das?
Schumacher: Betreffend Mick muss man zugeben: In der ersten Saisonhälfte war er zu langsam und hat auch zu viele Schäden produziert. Wenn das dann intern diskutiert wird, habe ich damit überhaupt kein Problem. Eddie Jordan wäre zu mir nicht anders gewesen, Frank Williams hatte da eine etwas andere Art, aber nicht weniger gemein. Patrick Head, für mich ein absolutes Genie was Technik betrifft, konnte ebenfalls sehr hart sein. Aber der kam dann zehn Minuten später mit einer Tasse Tee vorbei und hat sich damit quasi entschuldigt. Fairerweise muss man sagen: Ich ging anders damit um, habe Sachen, die mir nicht passten offen angesprochen. Dazu hatte ich Willi Weber und meinen Bruder an mein seiner Seite. Das war ein anderer Background. (Manager-Legende Willi Weber: Wie er mit einer Lüge über Michael Schumacher die Formel 1 umpflügte)
Fest steht: Als Fahrer muss man aber mit all dem leben. Man muss Leistung bringen, so ist die Formel 1. Mein Problem waren eher Nebensätze nach dem (kritischen; d. Red.) Interview wie: ‚Wenn es Mick bei uns nicht gefällt, muss er ja nicht bleiben.‘ Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Was kann Mick dafür, was da für ein Interview geführt wird? Und ich finde, dass Mick auch keine faire Chance hatte, obwohl er Leistung gezeigt hat. Das wird bei Netflix auch sehr deutlich.
SPORT1: Mit dem Wissen von heute: Hätten Sie vergangenes Jahr weniger offene Worte der Kritik gewählt?
Schumacher: Nein. Ich sehe das heute überhaupt nicht anders. Ich finde es eher schade, dass es soweit kommen musste. Ich finde: Als gestandener Mann und auch als Vater geht man mit einem jungen Menschen nicht so um. Ja, Druck muss und kann jeder aushalten in der Formel 1. Aber das war einfach zu viel. Und ich glaube auch - und das stört mich am meisten: Wenn mein Bruder vor Ort gewesen wäre, hätte sich Günther Steiner oft anders verhalten. Ich glaube einfach, Michaels Präsenz hätte schon genügt. Aber noch mal: Jeder macht das, wie er will. Aber Mick ist natürlich Familie und da muss man mich auch verstehen: Wenn man mit meiner Familie so umgeht, gefällt mir das als Ralf Schumacher eben nicht. Eins muss ich auch sagen: Obwohl Mick eigentlich keine faire Chance mehr in der zweiten Saisonhälfte hatte und dann noch mit dem Wissen, einen Teamchef zu haben, der ihn gar nicht mehr will - dafür hat er dann doch noch einen Superjob gemacht. Das hat mich schwer beeindruckt.
SPORT1: Das Team, das wieder Mal unter großem Druck steht, ist Ferrari. Die Scuderia hat mit dem Franzosen Fred Vasseur einen neuen Teamchef. Aber richtig nach vorne scheint es trotzdem nicht zu gehen?
Schumacher: Was das Chassis und den Motor betrifft, haben sie sehr wohl einen guten Job gemacht. Da stehen sie gut da. Es ging eher um Pleiten und Pannen bei Boxenstopps und der Strategie. Und, auch die Fahrer haben zu viele Fehler gemacht. Das alles muss Vasseur jetzt erst einmal aufarbeiten. Das braucht Zeit. Aber das Problem ist immer noch die Politik. Ich glaube, sie leiden immer noch unter der Ansage des 2018 verstorbenen Präsidenten Sergio Marchionne, der ein rein italienisches Team zum Glaubensbekenntnis bei Ferrari ausgerufen hatte. Ein Beispiel: Vasseurs Vorgänger Mattia Binotto, einer der von klein auf bei Ferrari gearbeitet hatte, sogar schon mit meinem Bruder, fehlte bestimmt nicht die technische Kompetenz, sondern das Durchsetzungsvermögen. Ich vermute, dass er zu sehr mit Ferrari verknüpft war, um richtige Entscheidungen, die auch mal unangenehm sein können, treffen zu können. Aber: Nicht Nationalität spielt eine Rolle, sondern Qualität. Die große Stärke in der erfolgreichen Ära mit meinem Bruder: Es gab unheimliche Kompetenz. Mein Bruder, Jean Todt, Ross Brawn oder Designer Rory Byrne, der auch mit dem sehr guten letztjährigen Auto noch zu tun hatte. Wichtig war, dass man ihnen alle Freiheiten gab, die sie brauchten.
SPORT1: Das heißt, Vasseur, ein unabhängiger Geschäftsmann mit mehr Distanz zu Ferrari als Binotto, hat Vorteile?
Schumacher: Ja, das sehe ich so. Er hat den Motorsport von der Pike auf gelernt. Und er scheint eine große soziale Kompetenz zu haben, der die richtige Ansprache findet, um aus jedem Mitarbeiter das Maximum herauszuholen. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass sie WM-Kandidat sein werden. Auch wenn es mir wegen der Spannung wünschen würde.
„Max Verstappen kann sich nur selbst schlagen“
SPORT1: Ein Lewis Hamilton auf Augenhöhe mit Max Verstappen wäre ebenfalls extrem wichtig für die Spannung. Aber auch danach sieht es nicht aus.
Schumacher: Man konnte in Bahrain aber sehen, wie motiviert Lewis noch ist, unbedingt diesen achten Titel zu erreichen. Er wirkte deshalb richtig frustriert, weil er mit dem Auto keine Chance hatte. Ich kann ihn verstehen: Ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Auto zu haben, mit dem man nicht gewinnen kann. Wird er deshalb aber Mercedes verlassen? Um sich zu verbessern, müsste er schon zu Red Bull wechseln. Das ist aber eher nicht realistisch.
SPORT1: Ist Max Verstappen in dieser Saison überhaupt zu schlagen?
Schumacher: Ich glaube nicht. Er kann sich nur selbst schlagen. Red Bull und er haben in Bahrain mit den anderen gespielt. Ich gönne Max aber aber den Erfolg. (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
SPORT1: Kann man ihn mit Ihrem Bruder oder Ayrton Senna vergleichen?
Schumacher: Ich halte von solchen Vergleichen nicht viel. Max ist Max, eine eigene Persönlichkeit. Ich mag wie er ist, wie er auftritt. Er ist authentisch, kann auch unbequem werden. Er hat null Starallüren. Außerdem ist mir seine Kleiderwahl lieber als die von manch anderen. Aber Spaß beiseite: Max kann eine neue Ära einläuten und das gönne ich ihm. Er hat sich alles hart erarbeitet und es absolut verdient. Er hatte es bestimmt als junger Kartpilot nicht immer einfach mit seinem Vater, der eher die harte Schule zur Erziehung seines Sohnes wählte. Es hat sich aber ausgezahlt.