Bei Red Bull läuft zurzeit alles nach Plan. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Marko: „Wollten wir uns nicht antun“
Nach dem WM-Titel im vergangenen Jahr schickt sich Max Verstappen an, den Erfolg in dieser Saison zu bestätigen. Nach 14 Rennen hat er bereits einen Vorsprung von 93 Punkten auf Teamkollege Sergio Pérez. (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Entsprechend zufrieden zeigt sich Motorsportchef Dr. Helmut Marko im Interview mit SPORT1. Dabei vergleicht er den Niederländer mit Ex-Weltmeister Sebastian Vettel und verrät, wer für ihn der Bessere ist.
Zudem spricht er über einen möglichen Verstappen-Abgang, die Gespräche mit Porsche und erzählt eine Anekdote zur umstrittenen Netflix-Doku.
Marko sieht keinen Vergleich zu 2011
SPORT1: Herr Dr. Marko, inwieweit erinnert Sie diese Saison an die Saison 2011?
Dr. Helmut Marko: 2011? Gut, ich weiß, was Sie meinen. 2010 haben wir mit Sebastian Vettel im letzten Rennen den ersten Titel gewonnen. 2011 war die Titelverteidigung dann eher ein Durchmarsch. Bei Max stimmt der Vergleich mit 2010 zwar ein wenig, aber 2011 und 2022 kann man nicht vergleichen.
SPORT1: Wieso das? Sein Sieg in Belgien war extrem überlegen. Er fuhr in einer eigenen Liga. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
Marko: Ja, aber das war zum größten Teil Max, der halt über allem schweben kann, besonders im Fahrersektor zwei in Spa. Und: Die Strecke passte von Anfang an zu unserem Auto. Das aber ist und war nicht immer so. 2011 war Ferrari als Gegner längst nicht so stark wie jetzt. Sie hatten Fernando Alonso, aber kein so gutes Auto. Dieses Jahr hatte Ferrari einige technische Defekte und traf bei der Strategie einige Entscheidungen, die uns in die Karten spielten. Aber vom reinen Speed her sind sie grundsätzlich - anders als 2011 - auf Augenhöhe mit uns. Aber wir haben halt Max.
SPORT1: Wie nah ist er schon an seiner Leistungsgrenze?
Marko: An seiner Leistungsgrenze ist er noch lange nicht angekommen. Er befindet sich immer noch in einer Lernphase. Auch wenn es unglaublich klingt: Max wird in Zukunft noch besser. Obwohl er schon auf extrem hohen Niveau fährt. Ein Beispiel: Er kann jetzt die gleichen Rundenzeiten oder schnellere mit weniger Risiko fahren. In Budapest konnte man nach dem Start seine Weiterentwicklung sehen. Er hatte Probleme beim Beschleunigen und ließ die anderen Autos einfach vorbeifahren, weil er wusste, er kriegt sie wieder. Vor zwei Jahren hätte er noch dagegengehalten - und ein schlechteres Endergebnis erzielt. Fazit: Wir sehen einen immer besseren Max, aber den besten haben wir noch nicht gesehen.
Legende schwärmt von Verstappen
SPORT1: Spielt bei seinem Reifeprozess auch eine Rolle, dass er den WM-Titel gewonnen hat?
Marko: Ja, es macht ihn ruhiger und entspannter. Weil er sein Ziel schon erreicht hat. Alles andere ist nur noch Zugabe.
SPORT1: Wie sehr merkt man seinen Reifeprozess auch im privaten Bereich? Beispielweise bei Gesprächen, die nichts mit Motorsport zu tun haben?
Marko: Er ist insgesamt viel souveräner geworden. Ein Beispiel: In Spa kam ein sehr gerührter Jacky Ickx zu mir und erzählte ganz stolz, wie Max auf ihn zuging und angeregte Konversation betrieb. Das hatte die belgische Rennikone nicht erwartet. Das zeigt natürlich auch, dass Max eine Menge über die Geschichte des Rennsports weiß. Da ist er Sebastian Vettel sehr ähnlich.
SPORT1: Wie gut ist Max Verstappen wirklich?
Marko: Er ist ganz sicher der schnellste Fahrer, den Red Bull je hatte.
Marko fühlt sich bei Senna-Vergleich bestätigt
SPORT1: Also auch schneller als Vierfach-Weltmeister Sebastian Vettel?
Marko: Genau. Max braucht keine Aufbauphase, um sofort am Limit zu sein. Er kann sofort Vollgas fahren. Das ist eben das unglaubliche Naturtalent und der daraus folgende exorbitante Grundspeed. Dazu kommt eine fantastische Fahrzeugbeherrschung - gerade im Grenzbereich. Deshalb habe ich ihn schon in seinen Anfangsjahren mit Ayrton Senna verglichen. Damit habe ich mir nicht nur Freunde gemacht. Mein guter Freund Gerhard Berger hat mir damals geschrieben, der Vergleich wäre viel zu weit hergeholt. Heute widerspricht er nicht mehr, wenn man Max mit Senna vergleicht.
SPORT1: Was waren die Stärken von Vettel?
Marko: Er war ein extrem akribischer Arbeiter mit einem enormen Grundspeed. Aber in dieser Beziehung ist Max halt nochmal eine Stufe weiter.
SPORT1: Hätten Sie damals gedacht, dass es nochmal eine Steigerung zu Vettel gibt?
Marko: Damals nicht. Da dachten wir, dass Sebastian das Beste vom Besten ist - aber dann kam Max.
Red-Bull-Chef findet Vettel-Rücktritt „konsequent“
SPORT1: Welche Ziele haben Sie noch mit ihm?
Marko: Weitere Titel zu gewinnen. Aber ich bezweifle, dass wir Max so lange fahren sehen, bis er alle Rekorde gebrochen hat. Auch wenn er es könnte. Er ist allerdings ein Typ, der sofort seinen Klimbim zusammenpackt und geht, wenn es ihm keinen Spaß mehr macht. Er bleibt dann für kein Geld der Welt. Und das kann schneller passieren, als alle glauben.
Marko: Der ist richtig und konsequent. Er ist ja zum großen Briefeschreiber geworden. Er hat mir einen sehr schönen und inhaltsvollen Brief zu seinem Abschied geschrieben. Daraufhin habe ich ihn angerufen und wir haben ein tolles Gespräch gehabt. Jedenfalls habe ich ihm gesagt, er hätte alles richtig gemacht und dass er sich jetzt in Ruhe zurücklehnen und nachdenken kann, was er in Zukunft machen will. Er hat kein schlechtes Bankkonto, er ist ein intelligenter junger Mann, da gibt es dann einige Möglichkeiten. Ich glaube aber nicht, dass er in irgendeiner Form in die Formel 1 zurückkehren wird. Es sei denn in einer Position, die wichtig und stark genug ist, um richtig was bewegen zu können.
SPORT1: Jetzt können Sie es ja sagen: Gab es bei Red Bull vor zwei Jahren Überlegungen, ihn nach seiner Ferrari-Zeit zurück zu Red Bull zu holen?
Marko: Wir haben darüber nachgedacht. Wir hatten ein Cockpit frei, das wir dann aber Sergio Pérez gegeben haben. Zwei Alpha-Tiere wie Sebastian und Max in einem Team - das wollten und konnten wir uns nicht antun. Mit Pérez war das einfacher. Eigentlich will man als Team ja Alphatiere haben - aber zwei so extreme wie Max und Sebastian wäre zu viel gewesen.
Darum holte Red Bull Verstappen
SPORT1: Was ist Ihre erste Erinnerung an Vettel?
Marko: An einen jungen selbstbewussten Burschen mit sehr viel Eisen im Mund. Dazu muss man wissen: Als er mit 17 Jahren 18 von 20 Rennen in der Formel BMW gewonnen hatte, trug er noch eine Zahnspange. Was mir imponiert hat: Statt sich über die 18 Siege zu freuen, haderte er mit den zwei Rennen, die er nicht gewann. Da dachte ich: Das ist einer für uns!
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SPORT1: Und wie war die erste Begegnung mit Max Verstappen?
Marko: Es gab einige Treffen mit Vater Jos und seinem Sohn, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Das entscheidende Meeting fand aber nach einem Formel-3-Rennen am Norisring statt. Dort war Max im Regen so dermaßen überlegen, dass es für mich keine Zweifel gab, ihn zu nehmen.
SPORT1: Jos hatte zu seiner aktiven Zeit ja den Ruf, ebenso temperamentvoll wie begnadet schnell zu sein. Was können Sie über ihn sagen?
Marko: Nur Gutes. Er hat seinen Sohn optimal auf alles vorbereitet und unsere Zusammenarbeit ist mehr als gut. Aber er ist immer für Überraschungen gut. (schmunzelt)
Marko schließt Schumacher-Wechsel aus
SPORT1: Max Verstappen hat in den Niederlanden ähnlich wie vor 30 Jahren Michael Schumacher in Deutschland einen sensationellen Motorsport-Boom ausgelöst. In Deutschland fällt die Formel 1 nach dem Rücktritt von Vettel in ein Loch. Was muss sich hier ändern, damit das wieder anders wird?
Marko: Ganz einfach: Man muss wieder ein junges Kart-Talent mit der notwendigen Arbeitsethik finden und fördern. Das Talent, der nötige Grundspeed ist aber das Entscheidende.
SPORT1: Aber Kartsport ist viel zu teuer geworden. Den können und wollen sich Eltern nicht mehr leisten...
Marko: Es gibt immer Mittel und Wege, glauben Sie mir. Aber es stimmt, es gibt in Deutschland und in Österreich niemanden, den man auf dem Radar haben könnte. Fest steht: Die Industrie oder wer auch immer muss Förderungsprogramme starten, dann wird es irgendwann wieder jemanden geben. Vergessen Sie nicht, wie lange es in Deutschland eine Flaute gab, bevor Michael Schumacher einen Sturm der kollektiven Begeisterung auslösen konnte.
SPORT1: Mick Schumacher ist die letzte übrig gebliebene deutsche Hoffnung. Was halten Sie von ihm?
Marko: Er hat schlecht begonnen, ist dann aber zur Superform aufgelaufen. Sein Speed in Silverstone zum Beispiel war extrem beeindruckend. Da fehlt noch ein wenig die Konstanz.
SPORT1: Wenn Gasly Alpha Tauri verlässt, wäre doch ein Platz für Mick Schumacher im Red-Bull-Programm frei ...
Marko: Erstens: Gasly hat für nächstes Jahr einen Vertrag mit uns. Zweitens: Unser Franz Tost hat eine Nähe zu ihm und glaubt an ihn, aber solange Mick Schumacher im Förderungsprogramm von Ferrari ist, werden wir uns nicht mit ihm beschäftigen.
Das ist dran an den Porsche-Gerüchte
SPORT1: Audi hat offiziell seinen Formel-1-Einstieg verkündet. Dabei ließ es sich Vier-Ringe-Boss Markus Duesmann nicht entgehen, auch gleich den Einstieg von Konzernschwester Porsche mitzuteilen, quasi in Zusammenarbeit mit Red Bull. Was können Sie dazu sagen?
Marko: Nett von ihm. Aber voreilig. Es gibt Gespräche, aber zu verkünden gibt es von unserer Seite noch gar nichts. Ich kann nur sagen: Die Formel 1 boomt im Moment derart, dass es für jeden Hersteller ein logischer Schritt ist, über einen Einstieg nachzudenken. Es gibt einige Hersteller, nicht nur deutsche, die sich ebenfalls dafür interessieren. Was Porsche betrifft: Wir reden nicht über ungelegte Eier.
SPORT1: Aber bevor die Eier kommen, muss man doch mit den Hühnern reden.
Marko: Tun wir auch. Die Herren Blume und Co. sind uns durchaus nicht unbekannt.
SPORT1: Zurück zum Formel-1-Boom: Sind Sie sich bewusst, dass Sie zum großen Teil auch dazu beigetragen haben?
Marko: Ja, wegen Max und weil wir mit ihm die doch eintönige Siegesserie von Mercedes beenden konnten. Und Netflix hat mit seiner Doku-Serie speziell in den USA geholfen.
SPORT1: Haben Sie die Netflix-Doku gesehen?
Marko: Nur fünf Minuten, danach bin ich eingeschlafen. Es ist mir alles zu aufgeblasen. Die richtige Plattform für Herrn Steiner und Co. - weniger für mich.