Sebastian Vettel platzte in Spielberg endgültig der Kragen. Desillusioniert verließ er das wie üblich am Freitag angesetzte Fahrerbriefing vorzeitig und nahm dafür auch den darauf folgenden Ärger in Kauf. 25.000 Euro auf Bewährung brummte ihm der Automobilweltverband FIA auf.
Das steckt hinter Vettels Aufstand
Dem Heppenheimer war es das aber wert. Er wollte mit seiner Aktion ein Zeichen gegen die Rennleitung der Formel 1 setzen, die seiner Meinung nach lieber unwichtige Dinge thematisiert, statt sich um das Wesentliche zu kümmern: zu gewährleisten, dass konstante Regeln gelten, nach denen sich die Piloten in Zweikämpfen zu richten haben.
Das Ziel: gerechte Strafen für Vergehen. Bisher regierte für Vettel und seine Kollegen in dieser Beziehung eher das Gesetz der Willkür. Auf die Frage, warum er das Meeting vorzeitig verlassen hatte, reagierte der Heppenheimer entsprechen gereizt: „Fragen sie die FIA!“
Vettel sauer auf die FIA
Die Offiziellen des Automobilweltverbandes aber gaben keine aufschlussreiche Antwort. SPORT1 erfuhr trotzdem den Grund. Trotz mehrfachen Nachfragens erhielt Vettel beim Briefing keine Antworten. Stattdessen wollte der deutsche Rennleiter Niels Wittich lieber andere Sachen besprechen – in den Augen der Fahrer handelt es sich dabei aber um belanglose Dinge.
Der viermalige Weltmeister ist dabei nicht der einzige, der die neue Rennleitung kritisiert. Auch Doppelweltmeister Fernando Alonso und Superstar Lewis Hamilton werfen der Rennleitung vor, mit lächerlichen Strafen für unwichtige Dinge immer wieder Machtdemonstrationen zu betreiben.
So schüttelten sie auch über die „Erziehungsmaßnahmen“ den Kopf, die Wittich und Co. nach dem Rennen in Spielberg gegen die drei Erstplatzierten anwandten.
Leclerc, Verstappen, Hamilton von FIA bestraft
Sowohl Sieger Charles Leclerc als auch der Zweitplatzierte Max Verstappen und der Dritte Lewis Hamilton wurden mit einer Strafe von 10.000 Euro auf Bewährung belegt. Der Grund: Alle drei hatten noch vor dem Wiegen Kontakt mit ihren Physiotherapeuten. Das ist verboten.
Besonders gegen den deutschen Rennleiter Wittich richtet sich die Kritik. Seit diesem Jahr besetzen Wittich und der Portugiese Eduardo Freitas im Wechsel den Posten des Renndirektors.
Dabei gilt Wittich als erster Nachfolger des ebenfalls schwer kritisierten Michael Masi, der nach den Vorfällen während des letzten Rennens in Abu Dhabi 2021 von der FIA seines Amtes enthoben wurde.
Nach dem Rennen in Miami tobte Fernando Alonso: „Es gab schon einige Vorfälle, die gezeigt haben, dass wir uns verbessern müssen. Man muss etwas Ahnung vom Motorsport haben, bevor man Rennleiter wird und versucht ein Rennen zu überwachen. Ich glaube nicht, dass diese Kenntnisse vorhanden sind.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Formel 1: Alonso schießt gegen Rennleitung
Hintergrund: Alonso hatte kurz vor Schluss die Schikane in Kurve 15 abgekürzt. Das half ihm, sich auf der folgenden Geraden aus dem DRS-Fenster seiner Verfolger zu befreien. Der Spanier verzögerte dann aber am Ende des Sektors wieder, um den regelwidrig gewonnen Vorsprung zurückzugeben.
Trotzdem setzte es nach dem Rennen eine 5-Sekunden-Strafe, die Alonso von Rang neun auf Platz elf aus den Punkten warf. Für ihn und sein Alpine-Team ein Unding. „Wir glauben, dass die Strafe unfair war. Das war einfach inkompetent von den Stewards. Ich glaube, dass sie generell in Miami nicht sehr professionell waren“, schimpfte Alonso noch zwei Wochen später in Barcelona – und spricht damit noch ein Problem an: das gleichbleibende Ansprechpartner fehlen.
Auch Lewis Hamilton zieht am selben Strang. Ihn stört, dass Wittich das Schmuckverbot gnadenlos umsetzen will, statt sich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
„Ich verstehe diese ganzen Kleinigkeiten nicht. Warum machen sie ausgerechnet jetzt die Unterwäsche und den Schmuck zum Thema? Ist es wirklich sinnvoll, dass wir darüber diskutieren?“, redete Hamilton Klartext.
Schumacher: „Drehten uns im Kreis“
Doch nicht nur die Veteranen der rasenden Zunft proben den Aufstand. Auch die jüngeren Kollegen unterstützen die Dienstältesten. So verteidigte etwa Mick Schumacher Vettels frühzeitiges Verlassen des Fahrerbriefings.
„Ich hatte den Eindruck, wir drehten uns bei manchen Themen im Kreis. Es zog sich länger hin als notwendig. Ich verstehe völlig, wie Sebastian reagiert hat. Und ich glaube, es gab einige Fahrer, die ebenfalls den Drang verspürt haben, die Besprechung zu verlassen.“
Selbst Hamiltons jüngerer Mercedes-Teamkollege George Russell sparte nicht mit Kritik. „Ich fordere mehr Konstanz bei den Strafen.“
Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone gibt den aufständischen Piloten recht. Ecclestone zu SPORT1: „Sebastian, Fernando und Lewis wissen genau, um was es geht. Seit dem Tod von Charlie Whiting machen sich die Rennleiter nur noch lächerlich. Charlie hat eine Lücke hinterlassen, die niemand auch nur annähernd füllen kann. Charlie hat sich nie mit unwichtigem Unsinn beschäftigt, sondern sah immer nur das Wesentliche, das gut für den Sport ist. Er brauchte keine dummen Strafen, die nur aus persönlicher Eitelkeit ausgesprochen werden. Er ließ lieber mal Fünf Gerade sein, um den Sport weiterzubringen. Außerdem kannte er Fahrer und Teamchefs aus dem Effeff. Er wusste genau, wie man mit ihnen umzugehen hatte.“
Ecclestone unterstützt Vettel
Der Brite starb während des Australien GPs 2019 überraschend an einer Lungenembolie. Seit 1997 hatte er die Königsklasse als Renndirektor fest im Griff. Trotz mancher emotionalen Diskussion respektierten ihn Fahrer und Teamchefs.
Bester Beweis ist die extrem emotionale Trauerrede, die Sebastian Vettel für den Briten hielt. Seine Worte waren unter den aktuellen Umständen prophetisch: „Du warst nicht unser Schutzengel, da Engel nur gelegentlich auftauchen. Nein, Du warst unser Wächter, der jeden Tag gearbeitet hat, als Wache jedes Mal, wenn wir auf die Strecke gefahren sind. Du wirst in unseren Leben immer eine große Rolle spielen. Mehr als wir das wissen. Mehr als wir ausdrücken können. Mehr als wir uns das vorstellen können.“
Dabei war es gerade der Hesse, der mit Whiting auch mal aneinander geriet. „Ich habe eine Nachricht für Charlie: Fuck off! Wirklich: Fuck off!“, funkte er in Mexiko 2016. (DATEN: Die Teamwertung der Formel 1)
Der damalige Ferrari-Pilot war während des Rennens mental im roten Bereich, weil Max Verstappen für das Abkürzen einer Kurve zunächst keine Strafe erhalten hatte.
Allein: Bernie Ecclestone äußert nicht nur Kritik an der Rennleitung, sondern hält der FIA auch eine Lösung für ihr Kompetenzproblem vor Augen. Ecclestone zu SPORT1: „Gebt Herbie Blash jetzt alle Macht als Rennleiter und lasst ihn nicht nur als Chefberater arbeiten. Herbie war nicht nur ein sehr guter Kumpel von Charlie Whiting, sondern auch über 20 Jahre sein Assistent. Ihn würden die Fahrer genauso akzeptieren wie Charlie.“
Berger kritisiert Rennleiter Wittich
Übrigens: Experten wie Gerhard Berger haben die Probleme mit Niels Wittich kommen sehen. Der Ex-Formel-1-Star musste sich 2021 in seiner Funktion als DTM-Chef öfter kritisch mit den oft kleinkarierten Entscheidungen Witticha auseinandersetzen, der damals Rennleiter der beliebten Tourenwagenserie war.
Berger zu SPORT1: „Ich wundere mich gerade nicht über die Diskussionen in der Formel 1,“ grinst der Österreicher süffisant. „Sagen wir mal so: Ich kenne die Stärken von Niels Wittich, aber auch seine Schwächen.“ (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Fest steht: Mohammed bin Sulayem, der im Dezember 2021 Nachfolger von Jean Todt als FIA-Präsident wurde, ist mehr denn je gefordert.
Bisher verfolgte der ehemalige Rennfahrer aus Dubai eher der Politik der Balance und verstand sich als erfolgreicher Vermittler zwischen seiner Rennleitung und den Superstars der Königsklasse, denen er die größte Popularität der Serie verdankt. Ecclestone zu SPORT1: „Er muss jetzt klare Zeichen setzen. Denn lange geht die Konfrontation mit den Fahrern nicht mehr gut.“