Ein lange schlafender Riese wird wacher und wacher: Nicht zuletzt dank des Netflix-Hits „Drive to Survive“ erfährt die Formel 1 gerade in den Staaten einen ungeahnten Zuschauer-Boom.
Die dunkle Seite des US-Spektakels
Die US-amerikanischen F1-Eigentümer von Liberty Media haben sich dabei schon lange auf die Fahnen geschrieben, den heimischen Markt besser auszuschöpfen: Der Vertrag mit Austin/Texas wurde um fünf Jahre verlängert, kürzlich ein weiteres Rennen im Spielerparadies Las Vegas (ab 2023) angekündigt. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Zunächst steht aber Libertys neustes Prestigeobjekt an: Vom 6. bis zum 8. Mai gastiert die Formel 1 erstmals in Miami. Jahrelang haben die F1-Macher versucht die Königsklasse in den Sunshine State zu holen, geklappt hat das am Ende nur mit massiven Zugeständnissen. (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Denn ursprünglich sollte in Downtown Miami gefahren werden - direkt am Wasser, über Brücken und im Schatten der imposanten Skyline. Ein Rennen rund um den Bayfront Park, wo auch die Formel E schon Station machte, wäre ein einzigartiges Spektakel gewesen, vergleichbar höchstens mit dem Marina Bay Circuit in Singapur.
Formel 1: Miami-GP mit bitterem Beigeschmack
Klagen von Anwohnern und Geschäftsbetreibern blockierten die Pläne jedoch. Um den Grand Prix zu retten, zog man über zehn Kilometer außerhalb der glitzernden Küstenmetropole nach Miami Gardens, einem eher sozialschwachen Viertel mit überwiegend afroamerikanischer Bevölkerung, von der 20 Prozent unterhalb der Armutsgrenze lebt.
Auch dort ließen die Klagen gegen das Rennen nicht lange auf sich warten. Allein: Hier wurden sie größtenteils abgewiesen. Zuletzt scheiterte ein Last-Minute-Versuch, das Rennen wegen potenzieller Lärmbelästigung doch noch zu stoppen.
Nun findet der Grand Prix, den in Miami irgendwie niemand so richtig haben will, also statt: Auf dem so genannten Miami International Autodrome.
Miami-Strecke erinnert an ungeliebtes Sotschi-Rennen
SPORT1 hat sich die Strecke bereits vor Ort angeschaut, die Ernüchterung ist dabei groß.
Rund um das Areal überwiegen riesige graue Asphaltflächen: Fast-Food-Lokale, Walmart-Filialen und Tristesse geben sich die Klinke in die Hand.
Beim Kurs selbst sieht das leider wenig anders aus. Höhenunterschiede gibt es keine, von den modernen F1-Strecken erinnert der 5,410 Kilometer lange Kurs noch am ehesten an das ungeliebte Sotschi-Autodrom, das mit seinen grauen Betonkanälen durch die verwaiste Olympiaanlage führt.
Unweigerlich werden auch Erinnerungen wach an Caesars Palace: Auf dem Parkplatz des gleichnamigen Casinos in Las Vegas hielt die Königsklasse in den Jahren 1981 und 1982 jeweils ihr Saisonfinale ab, bis heute gilt der Kurs als eine der schlechtesten Formel-1-Strecken aller Zeiten (buckelige Piste, Wüstensand, extreme Hitze).
Auch in Miami wird auf einem riesigen Parkplatz gefahren, dem des Hard Rock Stadiums, wo sonst die Miami Dolphins in der NFL spielen.
Ist die Formel 1 nur Nebensache in Miami?
Für die F1-Premiere anno 2022 wird das eigentlich langweilige Areal nun mit allerhand Event-Locations aufgehübscht: Die komplette Strecke entlang ziehen sich Hospitality-Zelte von Sponsoren und Teams, dazu kommen ein künstlich aufgeschütteter Strand und Swimmingpools.
Es sieht mehr aus wie in einem eilig errichteten Luxus-Hotelresort als wie eine Rennstrecke. Hier werden am Wochenende die Deals gemacht, während ganz nebenbei auch noch ein Autorennen stattfindet. (DATEN: Die Teamwertung der Formel 1)
Namensgebender Hauptsponsor des Rennens ist schließlich eine große Kryptowährungs-Plattform. Auffällig: Mit über 600 Dollar liegen selbst die günstigsten Tickets an der Strecke weit über dem F1-üblichen Durchschnittspreis, sogar im Vergleich zu Glamour-GPs wie in Monte Carlo. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
Das beste Beispiel, dass dank der großen Werbetrommel beim Miami GP irgendwie etwas anderes drinsteckt als draufsteht, ist der künstlich angelegte Yachthafen. Im Netz kursieren dieser Tage Bilder, die ein paar Boote neben blau bemaltem Asphalt zeigen.
Der Spott lässt nicht lange auf sich warten: „Ein Fake-Yachthafen, um Monaco nachzumachen. Das gibt es nur in S*****-Florida“, twittert ein User.
Ein anderer teilt neben besagtem Bild eines vom Original in Monaco. Unterschrift: „Was man bestellt hat... und was man bekommt.“
Zuletzt fuhr die Formel 1 übrigens 1959 in Florida auf dem Flugplatzkurs von Sebring. Wäre sie mal lieber dahin zurückgekehrt.