Manchmal kommt es anders, als man denkt. Beim Vorsaison-Interview mit SPORT1 war Sebastian Vettel noch optimistisch.
Corona-Ausfall! Jetzt spricht Vettel
Ihm geht‘s trotzdem soweit gut, sagt er in der ersten Frage, die wir heute aus aktuellem Anlass nachgeschoben haben. (Formel 1: Großer Preis in Bahrain am Sonntag ab 16 Uhr im LIVETICKER)
Außerdem spricht der 34-Jährige darüber, was die neuen Formel-1-Regeln für seine Aussichten mit Aston Martin bedeuten, wann er über ein Karriereende nachdenken würde und welche Hoffnung er mit Blick auf Mick Schumacher hat.
SPORT1: Herr Vettel, wie geht es Ihnen nach dem positiven Corona-Test?
Sebastian Vettel (34): Es ist, wie es ist. Leider kann ich jetzt am ersten Grand Prix in Bahrain nicht teilnehmen. Mir geht es aber den Umständen entsprechend gut. Ich werde jetzt alles dafür tun, so schnell wie möglich wieder fahren zu können. Ich stehe mit den Ingenieuren in Kontakt und helfe von zuhause aus, so gut es geht. Ich drücke dem Team und Nico (Hülkenberg, der Ersatzfahrer, Anm. d. Red.) für das Auftaktrennen die Daumen. Die Freude auf das erste Rennen ist trotzdem da. Auch wegen der spannenden Ungewissheit, wo das Team leistungsfähig steht. Das erfahre ich jetzt leider nicht im Auto, sondern vorm Bildschirm.
Ukraine-Krieg belastet Vettel
SPORT1: Bevor wir zur sportlichen Perspektive kommen: Wie sehr belastet Sie immer noch der Krieg in der Ukraine? Bei den letzten Tests in Bahrain haben Sie mit ihrem Helmdesign ein klares Statement gegen Krieg abgegeben.
Vettel: Natürlich belastet das einen. Muss es auch. Jeden Morgen wacht man mit neuen Horrormeldungen auf und fasst sich nur noch ungläubig an den Kopf. Jeder Krieg ist einer zu viel, aber ein Krieg mitten in Europa? Wer hätte sich das vor wenigen Monaten noch vorstellen können?
SPORT1: Sind Formel-1-Fahrer nicht eher bekannt dafür wegzuschauen und ihre Komfortzone lieber nicht zu verlassen?
Vettel: Das gilt nicht für mich. Schweigen hilft nicht. Sportstars haben Verantwortung, was ihre Vorbildfunktion betrifft. Also muss man sich dieser Verantwortung auch stellen. Ich jedenfalls weiß, was ich tun muss.
Vettel nach F1-Tests optimistisch
SPORT1: Auch wenn es unbequem wird? Es kann doch nicht allen Entscheidungsträgern gefallen haben, wie Sie ständig für größere Nachhaltigkeit der Königsklasse plädieren und für Gleichberechtigung eintreten.
Vettel: Ich bin jetzt in einem Alter, wo man Dinge klarer sieht. Wo man klarer sieht, wer man ist und was einem wichtig ist. Das ist ein ganz normaler Entwicklungsprozess. Wenn es jemanden nicht passt, was ich sage oder mache, kann der gerne zu mir kommen und darüber diskutieren. Wir leben zum Glück in einer Demokratie, in der jeder seine Meinung äußern darf.
SPORT1: Kommen wir zu Ihrem Job. Was kann man in dieser Saison von Ihnen und Ihrem Team erwarten?
Vettel: Grundsätzlich bin ich ganz zufrieden mit den Tests. Das Auto macht im Grunde, was ich will, und das ist schon mal positiv. Auch die Zuverlässigkeit stimmt. Das ist nicht unwichtig, wenn es ein extrem neues Reglement gibt und die Geburt eines Auto quasi mit einem weißen Blatt Papier beginnt. Doch wo wir genau stehen, kann ich noch nicht einschätzen. Wir sind in diesem Jahr bei den Tests wahrscheinlich einen etwas anderen Weg gegangen als die anderen Teams und haben erst mal nur nach uns geschaut. Genaues wissen wir erst im ersten Qualifying, wenn alle die Hosen herunterlassen. Aber da sprechen wir ja auch nur vom ersten von 23 Rennen. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
Aston Martin will Auto weiterentwickeln
SPORT1: Das Sie nun vom Sofa aus verfolgen müssen. Was erwarten Sie vom weiteren Saisonverlauf?
Vettel: Durch die neuen Regeln steht jedes Auto beim ersten Rennen erst am Anfang. Ziel muss es sein, das Auto konsequent weiterzuentwickeln und die Schwächen abzustellen, die man dann noch hat.
SPORT1: Kann man im positivsten Fall mit Siegen rechnen?
Vettel: Das hoffe ich natürlich, aber realistisch ist das nicht. Man muss ja sehen, wo wir herkommen. Die neue Teamstruktur ist langfristig angelegt und zielt darauf ab, in zwei oder drei Jahren um den Titel fahren zu können. Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn es schon früher passiert. Ich denke, dass das Mittelfeld enger zusammenrücken wird, es aber am Ende schwer wird, eine ganze Saison mit Mercedes, Red Bull oder Ferrari auf Augenhöhe zu sein. Träumen darf man zwar, aber man sollte dabei nie sein realistisches Ziel aus den Augen verlieren. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Karriereende? So denkt Vettel
SPORT1: Sie sind jetzt 34, wie lange wollen Sie noch fahren?
Vettel: Solange ich die Leidenschaft für meinen Job verspüre, solange ich mich für das begeistern kann, was ich mache. Im Moment brenne ich noch wie immer.
SPORT1: Machen Sie Ihre Zukunft als Formel-1-Fahrer auch vom Erfolg abhängig?
Vettel: Etwas schon. Aber Erfolg hat nichts nur mit Siegen zu tun. Ich muss Fortschritt erkennen, immer ein Licht am Ende des Tunnels sehen. Erst wenn ich mir die Frage stellen muss, ob sich der ganze Aufwand noch lohnt, ob das Ganze noch Sinn für mich ergibt, denkt man übers Aufhören nach.
„Mick ist ein toller Mensch“
SPORT1: Sie sprachen am Anfang von der Verantwortung, die Sportstars haben. Was ist mit ihrer Verantwortung gegenüber jungen Kollegen, die wie Sie auch Deutscher sind? Würden Sie einem Mick Schumacher auch dann noch mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn er plötzlich ein direkter Konkurrent um Podiumsplätze ist? (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Vettel: Ja. Mick ist ein toller Mensch, der viel Talent hat. Ich glaube nicht, dass er meinen Rat braucht, aber wenn er zu mir kommt, werde ich immer ein offenes Ohr für ihn haben. Bei allem Konkurrenzkampf: Es gibt Werte, die wichtiger sind im Leben. Egal, wie die sportliche Situation ist. Man muss ja auch nicht gleich Geheimnisse des Autos verraten, um ehrliche Ratschläge zu geben. Im Übrigen hoffe ich sogar, dass wir beide irgendwann einmal um Podiumsplätze kämpfen können. Das ist doch am Ende sportlich genau das, was wir alle wollen.