Eigentlich gelten Kurse wie Monaco, Spa-Francorchamps oder Suzuka als Mütter aller Rennstrecken. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
„Durchgeknallt“: Die gefährlichste F1-Strecke
Kurven wie die 130 R in Suzuka oder die berüchtigte Eau Rouge in Spa lehrten die Formel-1-Stars Jahrzehnte lang das Fürchten. Bis 2021. Seitdem hat der Jeddah Corniche Circuit in Saudi-Arabien die Traditions-Pisten als Angststrecken abgelöst.
Berühmtestes Opfer des 6,175 Kilometer langen Stadtkurses: Mick Schumacher. Der Haas-Pilot verlor im Qualifying in Kurve elf die Kontrolle über seinen weißen Rennwagen und krachte seitlich mit voller Wucht und bei hohem Tempo in die Mauer. Die TV-Aufnahmen seines Unfalls erinnern an eine Flipperkugel bei Tempo 300.
Latifi und Schumacher mit Unfällen
Wie durch ein Wunder kam Schumi junior mit dem Schrecken davon, musste lediglich zur Kontrolle ins Krankenhaus. Aufs Rennen wird er aus Sicherheitsgründen verzichten. Der durchgeschüttelte Kopf braucht nach dem Mauer-Ping-Pong Erholung.
Schumacher war nicht der Einzige, dem der Highspeed-Kanal zum Verhängnis wurde. Zuvor war auch Nicholas Latifi in die Begrenzung geknallt. Und: Gleich mehrere Piloten drifteten in den Tempo-Passagen wild über die Kerbs und konnten ihre Rennwagen nur mit Mühe zurück in die Spur bringen. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
Aber was macht den Stadtkurs so gefährlich? Es ist die Mischung aus Speed und Enge. Monaco hoch zehn quasi. Mit maximal 335,1 km/h wurde Pole-Mann Sergio Perez auf seiner schnellsten Runde geblitzt. Sein Durchschnittstempo entlang der meist superschnellen 16 Links- und elf Rechtskurven: 252 km/h. Nur Italiens Tempo-Tempel in Monza ist noch schneller, hat aber zumindest jede Menge Kiesbetten.
Fahrer können sich in Jeddah kaum ausruhen
„Es gibt nur zwei Stellen, wo man sich als Fahrer ein wenig ausruhen kann“, verrät der deutsche Streckenbauer Hermann Tilke gegenüber SPORT1, „ansonsten folgt Kurve auf Kurve. Eine davon ist überhöht, mit einem Winkel von zwölf Grad. Der Fahrer ist also stetig gefordert. Genau das war unser Anspruch.“ (DATEN: Die Teamwertung der Formel 1)
Das Problem in Jeddah: Links und rechts stehen die Mauern extrem nah. Auslaufzonen? Fehlanzeige. Mick Schumacher bekam das schon 2021 zu spüren, als er im Rennen crashte. Außerdem blockierte ein Massenunfall damals die gesamte Breite der Bahn und löste eine von vielen roten Flaggen aus.
Ex-Weltmeister Nico Rosberg war schon bei der Premiere fassungslos: „Diese Bahn ist verrückt“, kommentierte er vor knapp vier Monaten. „Die Strecke ist unfassbar schnell, und du hast an vielen Stellen so gut wie null Sturzraum. Im hinteren Bereich der Piste schaltest du vom achten Gang kurz zurück in den siebten, der Bogen geht fast voll, und du steuerst direkt auf eine Mauer zu. Das ist komplett durchgeknallt. Zahlreiche Kurven sind blind, du kannst also beim Einlenken nicht den Ausgang der Kurve sehen.“
Rosberg würde in Saudi-Arabien nicht fahren wollen
Der Deutsche konnte es kaum fassen, dass dieser Betonkanal eine Rennstrecke sein soll. „Das ist alles so durchgeknallt, dass ich wirklich froh bin, nicht mehr in einem Formel-1-Cockpit zu sitzen“, gab er zu.
Auch Mick Schumachers Onkel Ralf kritisierte heute bei Sky: „Wenn man auf den Kerbs abhebt, hat man hier keine Chance. Da sollten die Verantwortlichen vielleicht mal drüber nachdenken.“ 2022 kommt die geringe Bodenfreiheit der Autos hinzu.
Jeddah ein Stadtkurs am Limit
Aufgrund des sogenannten Ground-Effects, mit dem die Rennwagen auf den Asphalt gesogen werden, liegen die Autos extrem tief. Das wurde auch Schumi jr. zum Verhängnis. Sein Haas setzte hinten rechts mit dem Unterboden auf dem Randstein auf und wurde so zum unkontrollierbaren Geschoss.
„Es ist ein schmaler Grat, ein Stadtkurs am Limit“, sagt McLaren-Teamchef Andreas Seidl. „Gleichzeitig müssen wir ehrlich sein: Die Fahrer lieben die Strecke. Die FIA und der Promoter haben eine guten Job gemacht. 100 Prozent Sicherheit gibt es nicht, wenn die Mauern so nah sind.“ (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Die gute Nachricht: Mick Schumacher profitierte von der verbesserten Sicherheit der neuen Formel-1-Wagen. „Der Sicherheitsstandard ist sehr hoch“, betont sein Teamchef Günther Steiner. „Die Autos wurden nach dem Grosjean-Unfall (in Bahrain 2020; d. Red.) noch mal verstärkt.“
Unter anderem muss das Heck bei einem so heftigen Aufprall jetzt abreißen, was es im Fall von Schumi junior auch tat. Steiner: „Das hat geholfen. Und Glück braucht man auch.“
F1-Zukunft in Saudi-Arabien?
Den Schutzengel hatte Schumacher am Samstag an seiner Seite. Doch schon morgen geht es für seine Kollegen weiter mit der Hatz durch den Betonkanal der gefährlichsten Formel-1-Strecke der Welt.
Ob es das letzte Mal ist, bleibt abzuwarten. Wie die Formel-1-Gemeinde seit Freitag weiß, ist ja nicht nur die Strecke gefährlich. Auch vor Raketenangriffen muss sich der Königsklassen-Tross in Jeddah in Acht nehmen.
Ob die Kombination aus „durchgeknallter“ Piste und unkontrollierbarer Umgebung für die Formel 1 in Zukunft noch haltbar ist, wird sich zeigen. Bis dahin helfen hoffentlich weiter die Schutzengel.