Die Formel 1 ist zurück! Am Wochenende startet die Formel 1 mit dem Großen Preis von Österreich in Spielberg in die Saison (1. Training / Fr., 11 Uhr im LIVETICKER). Dann wird sich zeigen, welches Team am besten aus der Coronapause durchstartet.
Marko: Vettel hat Glauben verloren
"Wir haben aus unseren Fehlern gelernt", sagt Helmut Marko im exklusiven SPORT1-Interview.
Der 77 Jahre alte Motorsportberater von Red Bull spricht über die Rennabläufe in Pandemie-Zeiten, was er der Konkurrenz um Lewis Hamilton bei Mercedes und Sebastian Vettel bei Ferrari zutraut - und natürlich Max Verstappen im eigenen Red Bull.
SPORT1: Herr Marko, wie schwierig ist es für Red Bull, diese Doppelveranstaltung auf die Beine zu stellen?
Helmut Marko: Am Anfang war die Idee. Als die erste Schockstarre wegen der Pandemie abgeklungen war, war uns klar, dass das Leben unter den gegebenen Umständen nicht stillstehen darf. Für uns war im Mai die Zeit zu handeln. Als Herr Mateschitz grünes Licht gab, begannen wir sofort die Gespräche mit Liberty, dem Rechteinhaber der Formel 1. Wir mussten der Bundesregierung ein Konzept vorlegen, das alle Sicherheitsmaßnahmen gewährt und somit akzeptiert werden konnten. Wichtig dabei: Es durfte keine Zuschauer geben, die Formel 1 musste ihr Personal circa um die Hälfte einschränken. Und: Es musste eine lückenlose Erfassung der notwendigen Corona-Tests gewährleistet werden.
SPORT1: Wie muss man sich das Renn-Wochenende für die Beteiligten vorstellen?
Marko: Jedes Team reist für sich und bleibt dann für sich - auf der Rennstrecke, dann in den Hotels. Ohne negativen Testbescheid kommt gar keiner aufs Gelände. FIA und Liberty haben ein lückenloses System entwickelt, das strengstens kontrolliert wird. Es wird auch zwischen den beiden Rennen zwei Tests geben, weil unsere Rennen ja auch als Test für die kommenden Veranstaltungen gelten. Da darf nichts schiefgehen.
SPORT1: Das Rennen in Österreich galt bisher als eines der besten, weil die Fans für eine einzigartige Atmosphäre sorgen. Die fehlen jetzt aber...
Marko: Ja, das ist sehr schade, aber unter diesen Umständen ist eine Veranstaltung mit Fans nicht möglich. Die Alternative wäre kein Rennen gewesen. Die Bundesliga hat ja gezeigt, dass man mit Mut, Konsequenz und der Situation angepassten Konzepten den Sport durchaus erfolgreich weiterführen kann.
SPORT1: Wie wichtig war es demnach für Sie, dass die deutsche Bundesliga früh wieder zu spielen begann?
Marko: Das war eine Initialzündung. Davor ziehe ich meinen Hut. Die Macher dort haben gezeigt, dass man das Beste aus der Situationen machen muss. So sehen wir das auch.
SPORT1: Wie schätzen Sie die Leistungsstärke der Teams zum Saisonauftakt ein?
Marko: Bewertet man die Testfahrten in Barcelona vom Februar, so ist Mercedes leicht vorn. Dann kommen wir und dann - mit etwas Abstand - Ferrari. Wir erwarten einen Zweikampf um den Titel zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen. In dieser Saison darf man sich keinen Fehler erlauben, was gar nicht einfach ist, da man auf Grund der unsicheren Kalender-Situation bei jedem Rennen wiederum mehr riskieren muss, um keine Punkte zu verschenken.
Marko: Bisher stehen acht Rennen sicher fest, 15 sind geplant. Wie viel es am Ende werden, weiß aber noch niemand ganz genau. Jedes Rennen ist quasi wie ein Endspiel, das man gewinnen will. Wir bei Red Bull haben aus unseren Fehlern aus dem letzten Jahren gelernt. Da waren wir erst ab der Mitte der Saison richtig konkurrenzfähig.
SPORT1: Was konnte Red Bull nach den Tests in Barcelona am Auto entwickeln?
Marko: Seit der Öffnung im Werk in Milton Keynes konnten wir die Zeit gut nutzen, fuhren in einem Drei-Schicht-Betrieb. In Österreich kommen wir zum Saisonstart mit dem dritten Update seit Barcelona. Aber es ist nur Theorie: Wir konnten wie alle anderen unsere Daten nur auf Simulationen beziehen, aus CFD-Analysen und Windkanaltests. In Spielberg kommt die Wahrheit auf die Straße. Aber wir sind guter Dinge, auch wegen Honda. Sie waren schon vergangene Saison sehr gut, und sie lernen ständig dazu. Der Maßstab ist aber immer noch Mercedes. Die haben ja auch nicht geschlafen, wollen mit Lewis Hamilton den siebten Titel. Wir wollen Weltmeister werden, mit Max den jüngsten Titelträger haben. So haben wir beide einen internen Druck.
SPORT1: Was ist mit Ferrari und Sebastian Vettel?
Marko: Abschreiben darf man beide nie. Aber ich habe den Eindruck, dass Sebastian in dieser Saison kein Auto hat, mit dem er um den Titel mitfahren kann. Ich hoffe, ich täusche mich. Für die Spannung und die Formel 1 ist es sicher gut, wenn mehr als zwei Teams um den Titel fahren.
SPORT1: Hat es Sie überrascht, dass sich Vettel und Ferrari trennen?
Marko: Nicht wirklich. Es hat sich in den letzten Monaten abgezeichnet. Ich glaube, er hat den Glauben an Ferrari irgendwie verloren.
SPORT1: Auch wegen Charles Leclerc?
Marko: Ja, aber nicht nur, weil er ein so großes Talent ist. Es wurde im Umfeld von Leclerc eine Menge Politik gemacht, das mag Vettel nicht. Der will Gas geben, gewinnen und keine Energie mit unnötiger Teampolitik verschwenden. Ich hoffe, Ferrari gibt ihm in seiner letzten Saison die Möglichkeit, sein Können unter Beweis zu stellen.
SPORT1: Kann es sich die Formel 1 2021 leisten, Vettel zu verlieren, der vier WM-Titel mit Red Bull gewann und immer noch jüngster Weltmeister aller Zeiten ist?
Marko: Genau das wollen wir ja mit Max ändern (lacht). Im Ernst: Natürlich wäre es ein enormer Verlust. Alleine die Gerüchte, dass er 2021 neben Hamilton bei Mercedes fahren könnte, haben medial für ein Erdbeben gesorgt. Das sagt ja wohl alles. Ich befürchte nur, dass Mercedes-Teamchef Toto Wolff sich dieses Jahrhundert-Duell nicht antut. Dann muss Sebastian wohl ein Jahr Pause machen und seine Chancen für 2022 abwägen. Jung genug ist er ja noch dafür.
SPORT1: Red Bull könnte seinen verlorenen Sohn doch wieder aufnehmen? Ein Mega-Duell Verstappen gegen Vettel wäre ja auch interessant...
Marko (lacht): Wir haben Verträge mit Max Verstappen und Alexander Albon. Das ist im Moment der Stand der Dinge. In der Formel 1 kann sich aber immer etwas ändern. Nach dieser Saison, wann immer sie wie zu Ende geht, wissen wir mehr.