Er kann es doch noch! Sebastian Vettel hat im Reifenpoker von Singapur seinen ersten Grand-Prix-Sieg seit 392 Tagen gefeiert - und aus seiner größten sportlichen Krise heraus die Auferstehung in der Formel 1 geschafft.
Vettel meldet sich mit Sieg zurück
Der angezählte Ex-Champion triumphierte in einer zeitweise unvorhersehbaren Strategieschlacht unter Flutlicht vor seinem wütenden Teamkollegen Charles Leclerc. Der junge Monegasse, zuletzt Sieger in Spa und Monza, fühlte sich vom Team um den Sieg gebracht. Der Machtkampf bei Ferrari dürfte damit endgültig entbrannt sein.
Vettel: "Es fühlt sich süß an"
"Es fühlt sich süß an. Es war ein großartiges Rennen", sagte Vettel, der zuletzt beim Großen Preis von Belgien 2018 triumphiert hatte und sich jüngst schon mit Rücktrittsgerüchten konfrontiert sah. Die vergangenen Wochen seien "nicht einfach für mich gewesen, aber ich habe so viel Unterstützung bekommen, so viele Briefe und Nachrichten von Menschen, die mir Mut zugesprochen haben. All das habe ich heute ins Auto gepackt", führte Vettel nach seinem 53. Grand-Prix-Sieg und dem fünften in Singapur (Rekord) aus.
Neben Sieger Vettel stand ein sichtlich angefressener Leclerc auf dem Podium. Der junge Monegasse, erster Verlierer einer aufreibenden Strategieschlacht unter Flutlicht, fühlte sich nach seinen Triumphen in Spa und Monza vom Team um den Hattrick gebracht, während Vettel seine sportliche Auferstehung und den ersten Ferrari-Doppelsieg seit fast 26 Monaten auskostete.
"Ich freue mich sehr für Seb, er hat es verdient", sagte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto bei RTL: "Es gab so viele Rennen, in denen er gut gefahren ist und es trotzdem nicht gereicht hat. Das war jetzt wichtig. Wir haben bei der Rennstrategie die richtigen Entscheidungen getroffen und beide Autos nach vorne gebracht." Leclerc werde "verstehen, worum es ging. Er ist ein Teamplayer", führte Binotto aus.
Ferrari feiert dritten Sieg in Folge
Trotz des dritten Ferrari-Sieges in Folge und des ersten Doppelerfolgs der Scuderia seit Ungarn 2017 dürfte der WM-Titel aber an Lewis Hamilton gehen. Der amtierende Champion im Mercedes verpasste als Vierter zwar das Podest, welches der Niederländer Max Verstappen (Red Bull) komplettierte. (Teamwertung der Formel 1)
Hamilton liegt bei sechs ausstehenden Rennen mit 296 Punkten in der Fahrerwertung aber immer noch komfortabel vor seinem diesmal fünftplatzierten Mercedes-Teamkollegen Valtteri Bottas (Finnland/231) sowie Leclerc (200), Verstappen (200) und Vettel (194). Renault-Pilot Nico Hülkenberg fuhr als Neunter in die Punkte. Der 32-Jährige aus Emmerich ist noch ohne Cockpit für die kommende Saison.
Die Pole-Position vom neuen Ferrari-Star Leclerc vor Hamilton und Vettel hatte vor dem 15. Saisonlauf alle überrascht. Ein umfangreiches Aerodynamik-Update katapultierte die 2019 insgesamt enttäuschende Scuderia am Samstag fast schon sensationell an die Spitze auf einer Strecke, die auf dem Papier vor allem Mercedes liegen sollte. (Fahrerwertung der Formel 1)
Leclerc schont die Reifen
Nachdem Leclerc beim Start die Führung vor Hamilton und Vettel souverän verteidigte, ließ es der Monegasse auf dem engen Stadtkurs bewusst langsam angehen. Auf diese Weise schonte er die Reifen und minimierte wegen des dicht beisammen liegenden Feldes das Risiko, dass die Konkurrenz versucht, durch einen früheren Boxenstopp an ihm vorbeizukommen.
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Zwischenzeitlich fuhr der Ferrari-Pilot pro Umlauf 13 Sekunden langsamer als bei seiner Pole-Zeit. Schnellster Mann im Feld im ersten Rennviertel war so Hülkenberg, der nach einer Berührung mit dem McLaren von Carlos Sainz bereits nach einer Runde zum Reifenwechsel an die Box kam und hinter dem Feld freie Fahrt hatte.
Als erster Fahrer aus der Spitzengruppe steuerte Vettel nach 19 Runden die Box an. Der Heppenheimer legte danach eine Top-Zeit hin - und kam so an Leclerc vorbei, der nur eine Runde später zum Reifenwechsel kam. Leclerc reagierte im Funk fassungslos: "Was zur Hölle?!" Später polterte er: "Ich verstehe diese Strategie überhaupt nicht."
Hamilton hat mit abbauenden Reifen zu kämpfen
Der Poker der Top-Teams spitzte sich weiter zu. So verlor Hamilton, der nach Leclercs Reifenwechsel die Führung übernommen hatte, aufgrund plötzlich stark abbauender Pneus so viel Zeit, dass er nach seinem Stopp in Runde 26 hinter Vettel, Leclerc und Verstappen zurückfiel. Vor Bottas kehrte Hamilton nur wieder auf die Strecke zurück, weil der Finne für den WM-Leader vom Gas gehen musste.
In Runde 31 überholte Vettel den Italiener Antonio Giovinazzi im Alfa Romeo, der seine Reifen noch nicht gewechselt hatte, und übernahm die Führung. Das Feld rückte zusammen, als wenig später das Safety-Car ausrückte - wie bei allen vorherigen elf Rennen in Singapur.
Der Ferrari-Kommandostand geriet zunehmend in Sorge und sagte Leclerc vor dem zweiten von drei Re-Starts, er solle "nichts Dummes" machen. Der gab zurück: "Ich will alles". Später erklärte er: "Ich werde nichts Dummes machen oder den Doppelsieg gefährden. Ich denke nur, dass es unfair ist."