Die Schachwelt kommt nicht zur Ruhe.
Schach-Zoff eine große Verschwörung?
In den Streit zwischen Magnus Carlsen und Hans Niemann ist nun auch Großmeister Maxim Dlugy hineingezogen worden. In einem Interview mit Chess24 hatte der Norweger Carlsen indirekt die Anschuldigung aufgebracht, dass Dlugy für Niemanns eventuelles Fehlverhalten mitverantwortlich sei.
„Ich muss sagen: Ich bin ziemlich beeindruckt von Niemanns Spiel und denke, dass sein Mentor Maxim Dlugy einen großartigen Job gemacht haben muss“, stellte er eine Beziehung zwischen Niemann und dem 56-Jährigen her.
Nun reagierte der US-Amerikaner mit einem Statement. „Obwohl ich also absolut nichts mit dem mittlerweile berüchtigten Match zwischen Magnus (Carlsen, Anm. d. Red.) und Hans (Niemann, Anm. d. Red.) zu tun hatte, bin ich nun gezwungen, mich gegen völlig absurde und verleumderische Anschuldigungen zu verteidigen, die gegen mich erhoben werden.“
Maxim Dlugy: „Nichts mit Hans‘ Erfolg zu tun“
Zwar gebe es laut seiner Aussage eine Beziehung zwischen Niemann und ihm, jedoch betonte Dlugy mit Blick auf das Spiel zwischen diesem und Carlsen: „Ich hatte nichts mit Hans‘ Erfolg in seiner Partie gegen Magnus zu tun, im Gegensatz zu dem, was Magnus angedeutet hat, da ich Hans nicht auf seine Partien vorbereite. Das ist seine eigene Aufgabe und möglicherweise die Aufgabe seines aktuellen Trainers.“
Er kennt Niemann seit etwa acht Jahren und begann im Oktober 2014 mit ihm zu arbeiten. Nach dessen Umzug nach Connecticut war dieses Arrangement jedoch beendet. Dlugy bestätigte, dass es in den Folgejahren immer wieder zu Treffen gekommen sei, diese über gemeinsame Schachpartien und einzelne Tipps jedoch nicht hinausgegangen seien.
„Seit 2014 habe ich Hans auch keine Ratschläge zur tatsächlichen Spielvorbereitung für andere Turniere gegeben, weder online noch OTB (On The Board = Präsenzspiel, Anm. d. Red.), da meiner Meinung nach nur ein hauptamtlicher Trainer über genügend Wissen verfügt, um dies auf professionelle Weise zu tun.“
Schuldbeweis durch öffentlichen Druck
Vielmehr sehe er seine Person als Mittel zum Zweck, um die von Carlsen nicht ausgesprochenen, aber eindeutig in den Raum gestellten Betrugsvorwürfe zu untermauern. Er beschrieb, dass er im Jahr 2017 zweimal bei Turnieren gegen die Fair-Play-Richtlinien verstoßen habe. Dabei habe einer seiner Schüler bei Dlugys Partien - zusammen mit anderen Schülern - Züge gerufen. Dieser Schüler hatte diese Züge jedoch mit einem Schach-Computer generiert.
„Dass an den Anschuldigungen aus dem Jahr 2017 etwas dran war, wurde mir erst ein paar Monate später klar, als ich den betreffenden Schüler beim Schummeln erwischte“, betonte er seine Unwissenheit und fügte hinzu: „In meinem Fall hatte ich wirklich keinen Grund zu glauben, dass ich tatsächlich geschummelt hatte, und ich war fest davon überzeugt, dass ich nicht geschummelt hatte.“
Diese Vorwürfe hatte Dlugy in einem E-Mail-Verkehr zugegeben, für diesen wurde ihm jedoch absolute Vertraulichkeit zugesichert. Dass diese nun ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ans Licht kommen, lässt in Dlugy einen Verdacht aufkommen.
In seinen Augen wolle Carlsen im Streit mit Niemann dessen „Schuld durch Assoziation beweisen“. Er selbst habe zwei Vergehen bereits per E-Mail eingestanden. Wenn er nun Niemanns Mentor sei, könne man eine direkte Linie ziehen, dass dieser dann auch betrügen müsse.
Zusammen mit Niemanns Eingeständnis, im Alter von 12 und 16 Jahren bereits betrogen zu haben, könne man damit genug Druck in den sozialen Medien aufbauen, um den Betrug in diesem Fall zwar nicht eindeutig zu beweisen, aber zumindest als angenommenen Fakt hinzustellen. (BERICHT: Neue Dimension im Schach-Skandal?)
Auch der Schweizer Schachmeister Richard Forster beklagte dies im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung. „Man muss nicht zwischen den Zeilen lesen, sondern es reicht, den 20-seitigen Bericht (von chess.com, Anm. d. Red.) beim Nennwert zu nehmen, um zu verstehen, dass die mediale Hetze durch den Bericht keineswegs legitimiert wird.“
Finanzielle Interessen von Carlsen und chess.com?
Und noch einen weiteren schwerwiegenden Verdacht bringt Dlugy auf. Wirtschaftliche Interessen könnten der Grund dafür sein, dass besagte Mails ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit gelangten.
Steckt hinter dem Schach-Zoff also eine große Verschwörung mit schwerwiegenden Implikationen auch finanzieller Art?
Immerhin habe chess.com ein großes Interesse daran, Carlsens Version zu stützen, meint Dlugy, da das Unternehmen ein Übernahmeangebot für die Aktien der Play Magnus Group abgegeben hat.
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Damit entstünde ein starker Konkurrent für den Schach-Weltverband FIDE. „Chess.com hat künftig eine potenziell enorme Verhandlungsposition“, wagte der englische Schachhändler und -veranstalter Malcolm Pein einen Blick in die Zukunft.
Da in der FIDE immer mehr die Verbände Indien, China und Russland an Bedeutung gewinnen und der Russe Arkadi Dworkowitsch im August als FIDE-Präsident wiedergewählt worden ist, stellte der französische Schachunternehmer Bachar Kouatly in der FAZ fest: „Der Westen spielt keine Rolle mehr.“
Für westliche Sponsoren seien die Plattformen mit Carlsen - und damit bei einer Übernahme von chess.com - die interessantere Alternative.
Vielleicht auch interessant genug, um diesen Skandal zu provozieren. Zumindest hat die FIDE sowohl gegen Niemann als auch gegen Carlsen ein Untersuchungsverfahren eingeleitet: Ausgang offen.