Erst gibt es die Sensation, dann den Eklat.
Schach-Eklat wird immer irrer
Beim Sinquefield Cup, einem seit 2013 ausgetragenen Schachturnier im Saint Louis Chess Club, verlor Superstar Magnus Carlsen in der dritten von neun Runden gegen den US-Amerikaner Hans Niemann.
Damit hatte der 19-Jährige Carlsens mehr als nur beeindruckende Siegesserie von 53 Erfolgen in klassischen Partien sensationell beendet. Der Norweger verkündete nach der Niederlage seinen Rückzug vom Turnier per Twitter. Nachdem die offizielle Karenzzeit von zehn Minuten abgelaufen war und Carlsen tatsächlich nicht zu seiner vierten Partie erscheinen war, erklärte der Schiedsrichter dessen Gegner Shakhriyar Mamedyarov zum Sieger.
Carlsen, der erst im Juni als Weltmeister abgedankt hatte, war in seinen Gedanken aber wohl immer noch bei der Partie zuvor. Seinem Tweet, in dem er den Rückzug ankündigte, fügte er ein Youtube-Video von José Mourinho an. Darin sagt der Portugiese: „Ich bevorzuge es, nicht zu reden. Wenn ich etwas sage, bin ich in großen Schwierigkeiten.“
Während die Kommentatoren Peter Svidler und Yasser Seirawan von dessen Nichterscheinen überrascht waren, war für viele Experten und Spieler klar: Mit dieser drastischen Aktion und dem Tweet samt Mourinho-Video wirft er Niemann indirekt Betrug vor.
Analkugeln? Sogar Musk reagiert
Im Netz wird bereits über die Möglichkeiten diskutiert, wie ein möglicher Betrug vonstattengegangen sein könnte. Der kanadische Großmeister Eric Hansen bringt in einem Twitch-Livestream nun sogar die Möglichkeit ins Spiel, dass Niemann mithilfe von Analkugeln die richtigen Spielzüge angezeigt worden sein könnte. „Ich weiß es nicht, aber es wäre möglich. Ich bin jedoch kein Experte“, sagte der 30-Jährige.
Auf diese Theorie reagierte sogar Elon Musk. Der Tesla-Boss twitterte ein Zitat des deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer: „Das Talent trifft ein Ziel, das kein anderer trifft; das Genie trifft ein Ziel, das kein anderer sieht“, in Klammern ergänzte er: „Weil es in deinem Hintern steckt.“
Prominente Unterstützung für Magnus Carlsen
Aber bereits vor der medialen Aufmerksamkeit sorgte der Vorfall für großes Aufsehen in Schachkreisen. Großmeister Hikaru Nakamura etwa analysierte die Partie im Nachgang und fand Ungereimtheiten. „Ich denke, dass Magnus glaubt, dass Hans wahrscheinlich in dem Spiel betrogen hat. Wenn er nicht wirklich davon überzeugt wäre, würde er so etwas niemals machen.“
Auch der israelische Schach-Großmeister Emil Sutowsky sieht die Reaktion Carlsens als Anklage gegen dessen Gegner. „Ganz gleich, wie Carlsens Turniere bisher verlaufen sind, er hat nie aufgegeben“, erinnerte er per Twitter an frühere Niederlagen des Norwegers und fügte hinzu: „Er muss einen zwingenden Grund gehabt haben, oder zumindest glaubt er, dass er ihn hat.“
In dieselbe Kerbe schlug auch Nakamura. „Mit seinem Rückzug macht er das (den Betrugsvorwurf, Anm. d. Red.) jetzt deutlich, ohne dass er es öffentlich sagt.“
Schach-Experte Torstein Bae nahm Landsmann Carlsen ebenfalls in Schutz. „Magnus hat etwas getan, was er noch nie getan hat. Auf dem Top-Level haben wir so etwas noch nicht gesehen“, sagte er. Daher sei es in seinen Augen am wahrscheinlichsten, dass er Niemann Betrug vorwerfe.
Niemann: Es gab bereits früher Betrugsvorwürfe
Doch es gibt auch einen prominenten Verteidiger des Youngsters. Großmeister Levon Aronian bat darum, keine unbewiesenen Behauptungen aufzustellen. „Es passiert sehr oft, dass Vorwürfe gegen junge Spieler erhoben werden, wenn sie sehr gut spielen. Alle meine Kollegen sind im Grunde paranoid. Ich war sehr oft derjenige, der ihnen gesagt hat: Kommt schon, Leute. Auch junge Spieler können sehr gut spielen.“
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Der Betroffene selbst zeigte sich von der Entscheidung Carlsens überrascht. „Aber immerhin konnte ich ihn schlagen, bevor er gegangen ist“, sagte er lediglich.
Nachdem der US-Amerikaner sich zunächst nicht äußern wollte, zeigte er sich dann überraschend ehrlich. „Ich habe bei zufälligen Spielen auf chess.com geschummelt. Ich wurde konfrontiert. Ich habe gestanden. Und das ist der größte Fehler meines Lebens“, beichtete er bei dem Turnier und bestätigte die Gerüchte, das er illegalerweise einen Schach-Computer benutzt habe.
Zeitgleich erläuterte er aber auch: „Ich habe noch nie bei einem Spiel am Brett gemogelt. Und außer als ich 12 Jahre alt war habe ich noch nie bei einem Turnier mit Preisgeld geschummelt.“
Um den Gerüchten, dass er gegen Carlsen nicht betrogen hat, entgegenzuwirken, würde der 19-Jährige sogar zu ungewohnten Mitteln greifen. „Wenn Sie wollen, dass ich mich komplett nackt ausziehe, dann werde ich es tun. Es ist mir egal, denn ich weiß, dass ich unschuldig bin“, meinte er.