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Jürgen Hingsen: Wie eine Ikone zum "Depp der Nation" wurde

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Jürgen Hingsen: Wie eine Ikone zum "Depp der Nation" wurde

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Als eine Ikone zum „Depp“ wurde

Vor 35 Jahren wollte Leichtathletik-Legende seine Karriere bei Olympia 1988 in Seoul mit Zehnkampf-Gold krönen. Stattdessen wurden Millionen Fans Zeuge eines Albtraums.
Jürgen Hingsen im Jahr 1982 mit seiner damaligen Freundin Jeannie
Jürgen Hingsen im Jahr 1982 mit seiner damaligen Freundin Jeannie
© IMAGO/Sven Simon
Vor 35 Jahren wollte Leichtathletik-Legende seine Karriere bei Olympia 1988 in Seoul mit Zehnkampf-Gold krönen. Stattdessen wurden Millionen Fans Zeuge eines Albtraums.

Dieter Adler, dem legendären Leichtathletik-Reporter der ARD, war die Angst vor dem sich anbahnenden Super-GAU schon anzumerken.

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„Jetzt gilt es wirklich Daumen halten und hoffen, dass er nicht die Dummheit begeht, ganz früh wieder in den Start hineinzugehen“, kommentierte er, als Jürgen Hingsen zum dritten und letzten Mal im Startblock stand: „Jetzt muss er - Gott behüte - auf ein Zehntel verzichten, um nicht gleich am Ende aller Hoffnungen, aller Träume zu sein.“

Es war der 28. September 1988, Olympia in Südkorea, im Seoul Sports Complex stand der 100-Meter-Lauf auf dem Programm, der den Zehnkampf einläutete.

Hingsen, Silber-Gewinner in Los Angeles 1984, hatte diesmal Gold im Visier - doch nach zwei Fehlstarts hing die Mission schon am seidenen Faden, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

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Ein dritter Fehlstart drohte nun, das bittere Fiasko zu besiegeln. Und es passierte genau das. Hingsen wurde disqualifiziert.

Jürgen Hingsen wurde bei Olympia 1988 „Depp der Nation“

Hingsen, einer der besten deutschen Sportler der Achtziger, hatte eigentlich vor, bei dem heute vor 35 Jahren beendeten Wettbewerb seine Karriere zu krönen.

Stattdessen schied er gleich zu Beginn aus und wurde zum „Depp der Nation“, wie er selbst es wahrnahm. „Ich habe noch heute Albträume“, sagte er noch Jahre später der Hamburger Morgenpost.

Schöngeredet hatte der heute 66-Jährige das Desaster nie: „Ich kann nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, sagte er seinerzeit im ZDF. Er könne „voll verstehen, dass die Zuschauer, die da sitzen, sich nachts den Kaffee zurechtgestellt haben und den Mist gesehen haben, frustriert und total verärgert sind. Ich bin es auch.“

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Es hat nachhaltig tragische Züge, dass das bittere Ärgernis bei vielen stärker in Erinnerung ist als die weit zahlreicheren großen Erfolge der Legende.

Weltrekord-Coup 1982 machte Hingsen zum Star

Der aus Duisburg stammende 2-Meter-Hüne sorgte am 14. und 15. August erstmals weltweit für Furore, als er bei einem Meeting in Ulm den Weltrekord des damals seit zwei Jahren ungeschlagenen Superstars Daley Thompson knackte.

Dass der Brite sich die Bestmarke kurz darauf zurückholte, tat dem Hype wenig Abbruch: Der Modellathlet mit der damals modischen Schnurrbart-Minipli-Kombi schwang sich zu einem Star auf, der in Deutschland weit über den Sport hinaus bekannt wurde.

Hingsen bestätigte seine Leistung mit dem zweiten Platz bei der EM in Athen 1982, auch bei der WM in Helsinki 1983 und bei Olympia in L.A. 1984 holte er Silber, wie auch 1986 bei der Heim-EM in Stuttgart.

Die persönliche Bestleistung Hingsens aus dem Jahr 1984 - damals ein weiterer Weltrekord - blieb 39 Jahre lang deutscher Rekord, bis Leo Neugebauer in diesem Jahr ein neues Level erreichte.

Rivale Daley Thompson belächelte „Hollywood Hingsen“

Hingsen blieb auch international im Gedächtnis als der große Rivale der Ikone Thompson, allerdings auch als derjenige, der den Briten nie in einem Wettkampf besiegen konnte. Bei allen Großevents, bei denen Hingsen Zweiter wurde, triumphierte Thompson.

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Legendär war auch der nur vordergründig freundliche Spitzname, den Thompson seinem Widersacher verpasste: „Hollywood Hingsen“, Anspielung auf Hingsens gebräunten Look und sein selbstbewusstes Auftreten, war mehr milder Spott als Kompliment.

Tatsächlich hatte Hingsen eine private Verbindung nach Kalifornien: Seine langjährige Ehefrau Jeanne, mit der er zwei Kinder hat, stammte von dort. 2004 ließ sich das Paar nach 21 Jahren scheiden.

Auch Schauspieler war Hingsen wirklich: Eine tragende Filmrolle - in Deutschland, nicht in der US-Traumfabrik - hatte Hingsen 1984 in dem Klamaukstreifen „Drei und eine halbe Portion“ mit Karl Dall, Patrick Bach und Gewichtheber-Legende Rolf Milser. Ob Daley Thompson ihn gesehen hat, ist nicht überliefert.

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Gold-Gewinner Christian Schenk gestand 2018 Doping

Was das Desaster von Seoul für Hingsen noch bitterer: Die Chance auf den großen Coup war damals groß wie nie zuvor, da Thompson verletzungsbedingt abgesagt hatte.

Auch Hingsen allerdings ging angeschlagen, mit einer angerissenen Patellasehne nach Seoul, was nach eigener Einschätzung Teil seines Fehlstart-Verhängnisses war.

„Beim Hochsprung wusste ich genau, da werde ich nur zwei Sprünge durchhalten. Von daher musste ich beim 100-Meter-Lauf, der ersten Disziplin, schon alles auf eine Karte setzen“, blickte er 2000 im Spiegel zurück: „Ich hatte mir vorgenommen, einen fantastischen Start hinzulegen und war halt dreimal eine Tausendstel zu früh.“

Profiteur und Gold-Gewinner von Seoul war am Ende DDR-Leichtathlet Christian Schenk - der vor fünf Jahren gestand, gedopt gewesen zu sein. Weil der Fall verjährt war, blieb er in den Rekordbüchern.

Hingsen fieberte am TV mit Leo Neugebauer mit

Hingsen beendete 1989 seine Karriere, blieb dem Sport aber verbunden, auch und gerade mit diversen wohltätigen Projekten.

Im Sommermärchen-Jahr 2006 lenkte Hingsen als Botschafter Aufmerksamkeit auf die Fußball-WM der Menschen mit Behinderung. 2015 schloss er sich mit dem alten Sport- und Schnauzbart-Rivalen Thompson zusammen, um für das Männergesundheit-Projekt „Movember“ zu werben.

Vor einem Monat fieberte der heute 66 Jahre alte Hingsen bei der Leichtathletik-WM als Fan am Fernseher mit seinem Erben Neugebauer mit - und ist sicher, dass der deutsche Zehnkampf trotz des verpassten Medaillen-Coups bei diesem in guten Händen ist.

„Er wird nächstes Jahr wieder voll angreifen, hat ein hammermäßiges Potenzial“, zeigte sich Hingsen überzeugt.