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Zerstört sich die deutsche Leichtathletik selbst? "Das kann alles kein Zufall sein“

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Zerstört sich die deutsche Leichtathletik selbst? "Das kann alles kein Zufall sein“

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Zerstört sich die deutsche Leichtathletik?

Kurz vor den Weltmeisterschaften in Budapest müssen etliche deutsche Leichtathletik-Stars passen. Ist die Häufung an Verletzungen nur Zufall? Nein, findet eine renommierte deutsche Ex-Trainerin, die den DLV angreift.
Malaika Mihambo hat sich bei den Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten doch schwerer verletzt als erhofft.
Kurz vor den Weltmeisterschaften in Budapest müssen etliche deutsche Leichtathletik-Stars passen. Ist die Häufung an Verletzungen nur Zufall? Nein, findet eine renommierte deutsche Ex-Trainerin, die den DLV angreift.

Als Malaika Mihambo am 10. Juli bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel zu ihrem vierten Versuch ansetzte, brach sie mit schmerzverzerrter Miene den Anlauf ab und griff sich an den linken Oberschenkel.

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Wie sich erst einige Tage später herausstellte, erwiesen sich die ersten Vermutungen, es könne sich möglicherweise nur um einen Krampf handeln, als Zweckoptimismus. Längst ist klar, dass Deutschland bei den Weltmeisterschaften in Budapest (19. Bis 27. August) auf seine mit Abstand erfolgreichste Athletin verzichten muss.

Dabei ist die hochdekorierte Weitspringerin lediglich der prominenteste Ausfall einer schwindelerregend langen Liste, die dem deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) immens zu schaffen macht.

Muskelverletzungen ziehen sich bei den DLV-Stars ebenso durch die Saison, wie Bänderrisse oder Schulterblessuren. In Kassel erwischte es auch 400-Meter-Läuferin Laura Müller, die sich im Vorlauf die Achillessehne riss und kurze Zeit später operiert wurde.

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Deutsche Sprintstaffel der Frauen schwer betroffen

Ein ähnliches Schicksal erlebte Mittelstrecklerin Hanna Klein, die noch im Winter den Hallen-EM-Titel über 3000 Meter gefeiert hatte. Zwar wurde bei ihr „nur“ ein Einriss der Achillessehne festgestellt, dies veranlasste sie aber, die Saison ebenfalls vorzeitig zu beenden. Und auch Robert Farken, Deutschlands mit Abstand bester 1500-Meter-Läufer, wird nach langwierigen Beschwerden an der Achillessehne in Budapest fehlen.

Das deutsche Lazarett umfasst derzeit etwa 20 Top-Athleten und -Athletinnen, die für die Titelkämpfe in Ungarn ausfallen - sei es, weil sie akut verletzt sind oder an den Folgen einer Verletzung leiden. Unter anderem betroffen ist die 4x100-Meter-Staffel der Frauen, die nach den Ausfällen von Alexandra Burghardt, Lisa Mayer und Jennifer Montag kaum noch zu den Medaillenkandidatinnen zu zählen ist.

Auf der WM-Ausfallliste steht auch der Speerwerfer Johannes Vetter, der bis vor zwei Jahren alles in Grund und Boden geworfen hatte und nur knapp am legendären Weltrekord von 98,48 Meter von Jan Zelezny gescheitert war.

Der 30-Jährige plagt sich mittlerweile seit eineinhalb Jahren mit einer Schulterverletzung herum, die ihn komplett ausbremste - und noch immer gibt es keine genaue Diagnose. Vor Schmerzen habe er bis vor einigen Wochen „nicht einmal einen Stein intuitiv ins Wasser werfen“ können, sagte er bei leichtathletik.de. Immerhin meldete sich Vetter kürzlich mit seinem ersten 80-Meter-Wurf (80,82 Meter) - allerdings immer noch nicht schmerzfrei - zurück, der aber für die WM-Qualifikation nicht mehr ausreichte.

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Die erstaunliche Verletzungsflut der DLV-Stars macht hellhörig: Liegt beim DLV möglicherweise etwas im Argen? Sind Trainings- und Wettkampfbelastungen nicht austariert? Kommt es möglicherweise zu Überlastungen?

Neuausrichtung beim DLV bringt noch keine Verbesserung

Der neue Sportdirektor des DLV, Dr. Jörg Bügner, versprach im Zuge der Neustrukturierung, sich jede Verletzung noch einmal genau anzuschauen. „Dass vor den Deutschen Meisterschaften die Belastungsschraube bei einigen Athleten überdreht wurde, ist mir nicht bekannt“, sagte er bei SPORT1. „Wir werden dies aber im Nachgang noch einmal kritisch analysieren - jeden einzelnen Fall. Vielleicht muss man dann an der ein oder anderen Stelle noch einmal eine differenzierte Anpassung vornehmen.“

Eine, die bei der Verletzungsprophylaxe auf einen enormen Erfahrungs- und Wissensschatz zurückgreifen kann, ist Gertrud Schäfer. Für die heute 78 Jahre alte Trainerin, die die Siebenkämpferin Sabine Braun 1991 und 1997 zu WM-Gold, 1990 und 1994 zu EM-Gold und 1992 zu Olympia-Bronze führte, fehlt es im Verband an der nötigen Expertise.

„Man hat zwar ein medizinisches Team auf die Beine gestellt“, sagt Schäfer. „Das hat aber nicht zur Reduzierung der Verletzungen geführt. Es muss irgendwie einen Fehler im System geben. Das ist sehr bitter und kann alles kein Zufall sein.“

Die Verletztenstatistik im DLV komme ihr wie „ein Flächenbrand vor. Das übertrifft bei weitem meine Annahme. Wir fahren nur auf platten Reifen.“

Schier: „Verletzung hängt mit falschem Training zusammen“

Macht sich die deutsche Leichtathletik, überspitzt gefragt, selbst kaputt? Die deutsche 400-Meter-Meisterin Skadi Schier bestätigt zumindest Schäfers Vermutungen. „Bei mir hängt Verletzung meist mit falschem Training und falscher Vorbereitung zusammen“, verriet sie nach ihrem Sieg in Kassel im SPORT1-Interview. „Auch die Ernährung spielt eine Rolle, es kann vieles sein.“

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Bereits vor fünf Jahren hatte die Diplom-Sportlehrerin Schäfer eine Ein-Jahres-Verletztenanalyse erstellt - und einige fatale Korrelationen herausgearbeitet. „Man konnte anhand der Verletzungen die verursachenden Trainerinnen und Trainer erkennen. Man hätte schon da aktiv werden sollen und müssen.“

Als Hauptschwäche der vielen Verletzungen sieht Schäfer das Unterlassen von entsprechend temporären Tests hinsichtlich Überbelastung von Strukturen. „Es ist im Grunde alles Notwendige bekannt, wenn man denn entsprechend gebildet und ausgebildet ist.“

Schäfer fordert externe Kräfte beim DLV

Das Übungsmaterial müsse endlich angeglichen werden, findet Schäfer - und sie ist fassungslos, dass innerhalb des DLV-Teams offenbar längst überholte Trainingsmethoden noch immer nicht eingemottet wurden: „Spätestens jetzt sollte doch jedem klar sein, dass das Krafttraining der Gewichtheber nicht die erste Wahl in der Leichtathletik sein kann.“

Die bange Frage sei nun, wie das Dilemma zumindest im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris 2024 behoben werden könne. „Kann sich der DLV am eigenen Schopfe aus dem Dilemma ziehen?“ Nein, findet Schäfer, die dafür plädiert, „starke externe Kräfte zu integrieren.“

Dabei meint sie Trainer, genauso wie Wissenschaftler, Ärzte und frühere Sportler, die nicht stromlinienförmig nach DLV-Gusto arbeiten. Ihr Vorschlag: „Kompromisslose Querdenker wie Harald Schmid (früherer 400-Meter-Hürdenstar) gehören an die Hebel der Macht.“

Wie es funktionieren kann, beweist der neue deutsche Zehnkampf-Star Leo Neugebauer, einer der wenigen deutschen Hoffnungen für Budapest. Das Sportstipendium in den USA liefert dem deutschen Rekordhalter professionelle Rahmenbedingungen, die in Deutschland kaum zu finden sind - unter anderem mit physiotherapeutischer und ärztlicher Rundum-Begleitung.

Wie kann sich die Situation hierzulande verbessern? „Mediziner und Physiotherapeuten sollten auch Trainerschulungen regelmäßig durchführen.“, sagt Schäfer. Möglicherweise hätte auch Johannes Vetter viel schneller geholfen werden können.

„Solche Diagnosen (wie bei Vetter, d. R.) sollten möglichst in kurzer Zeit feststehen“, fordert sie. „Dann folgt die akribische Forschung nach den Ursachen. Ich verstehe diese langwierigen Prozesse und die Verschwendung kostbarer Zeit überhaupt nicht. Gibt es da keine Spezialisten im medizinischen DLV-Team? Wenn nicht, rüstet bitte mit hervorragenden Medizinern nach!“