Es war ein bitterer Abend für die Niederlande zum Auftakt der Leichtathletik-WM in Budapest. Statt zwei Goldmedaillen holten sie am Ende nur Blech - und hatten dabei mächtig Pech.
“Ich stehe immer noch unter Schock“
Über 10.000 Meter wirkte Sifan Hassan bereits als sichere Siegerin, ehe das Unglaubliche geschah. Im direkten Duell mit der Äthiopierin Gudaf Tsegay kam sie ins Straucheln und fiel kurz vor dem Ziel auf die Tartanbahn. Der erhoffte Titel war somit futsch.
Es war jedoch nicht das einzige Drama für Oranje, denn zum Abschluss der Abend-Session wiederholte sich die Szenerie nochmals - lediglich die Protagonistinnen waren andere.
Femke Bol stürzte im Rennen der 4x400m-Mixed-Staffel in Führung nur wenige Meter vor dem Ziel. Alexis Holmes zog an ihr vorbei und sicherte den USA Gold, während die Niederlande nachträglich disqualifizierte wurde, da Bol beim Sturz den Staffelstab verloren hatte.
„Vielleicht war es der Tag des nationalen Sturzes für die Niederlande“, sagte Hassan im Anschluss dem niederländischen Online-Portal nu.nl.
Hassan nimmt Schubs-Vorwurf nach Sturz zurück
Sie selbst hatte direkt nach dem Rennen beim ZDF noch einen üblen Verdacht geäußert: „Ich bin geschubst worden von der Äthiopierin, da muss es doch ein Video geben. Aber so ist der Sport.“
Dieser Theorie schenkt Frank Busemann hingegen wenig Wahrheitsgehalt. „Sie ist eingangs der Zielegeraden nach außen gezogen. Sie ist immer weiter rausgelaufen, und Tsegay musste aufpassen, dass sie ihr nicht in die Hacken tritt. Dann hat Hassan meiner Meinung nach den Arm ein bisschen ausgefahren“, schilderte der ehemalige Zehnkämpfer in der ARD. „Wenn du blau bist, reicht ein kleiner Stupser schon, den du nicht erwartest, und dann fällst du auf die Nase. Für sie fühlte sich das so an, als sei sie von hinten geschubst worden.“
Genau diesen Eindruck bestätigte sie dann auch mit etwas Abstand selbst. „Ich habe versucht, sie ein bisschen zu blockieren, weil ich das Gefühl hatte, dass sie an mir vorbeiziehen wollte“, erläuterte die gebürtige Äthiopierin und nahm damit ihre ursprüngliche Anschuldigung zurück.
Sie ist „ein bisschen traurig“ über den Ausgang des Rennens, aber ein solcher Sturz kann immer mal passieren. Mit dem Verarbeiten des Missgeschickes will sie ein Vorbild sein: „Ein Kind will immer gewinnen, aber es ist wichtig für ein Kind zu wissen, dass man nicht immer gewinnen kann. Und das auch zu akzeptieren.“
Bol nach Sturz bei Leichtathletik-WM ratlos
Komplett ratlos war hingegen ihre Landsfrau. „Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung“, erzählte Bol dem englischen Sender BBC auf die Frage, wie es zu dem Sturz gekommen sei.
Sie meinte zwar, dass sie „müde Beine“ hatte, aber es sei auch schon schlimmer gewesen. Der niederländischen Zeitung Volkskrant lieferte sie einen anderen Erklärungsansatz. „Vielleicht hat sie mich erschreckt“, behauptete die 400m-Hürden-Sprinterin mit Blick auf die heranstürmende Holmes.
Dieser doppelte Sturz ließ viele Experten sprachlos zurück. So sagte die ehemalige britische Mehrkämpferin Jessica Ennis-Hill, die beim BBC das Rennen kommentierte: „Ich stehe immer noch unter Schock, mein Herz klopft. Ich kann nicht glauben, dass wir das gerade hintereinander gesehen haben.“
Experte Busemann sagte: „Unfassbar! Sie hat schwere Beine gekriegt. Sie war selbst überrascht von diesen dicken Beinen. Das sieht man bei Spezialistinnen äußerst selten, dass sie ihre Koordination nicht richtig im Griff haben.“
Niederlande will Sturz-Drama vergessen lassen
Bei den Betroffenen selbst saß der Schock nach den Vorfällen noch tief. „Ich konnte kaum glauben, dass es auch für Femke schief ging“, äußerte Hassan ihr Bedauern und fügte hinzu, „dass dies so kurz hintereinander passierte, war wie ein Drehbuch“.
Bol hat auch den Sturz ihrer Landsfrau gesehen: „Ich habe aber nicht gedacht: Das mache ich auch.“ Vorwürfe macht ihr aber keine ihrer Teamkolleg:innen, die ebenfalls in die Röhre schauten. So sagte Lieke Klaver am Sonntagmorgen nach ihrem Vorlauf über 400 Meter in der Mixed Zone unter anderem zu SPORT1: „Morgen werden wir alle gut laufen und Femke wird die 400 Meter Hürden gewinnen.“
Auch Hassan will das Drama nicht zu hoch hängen. „Keiner ist tot. Man muss es akzeptieren. Es ist schwer, aber man muss es tun“, relativierte sie. Sie selbst hat über 5.000 und 1.500 Meter noch die Chance auf WM-Gold. Die will sie wie Bol dann aber auch nutzen.