Claudine Vita machte einen aufgeräumten Eindruck, sie hatte ja auch allen Grund dazu.
Vom Flüchtlingskind zum WM-Star?
Gerade hatte die deutsche Diskuswerferin bei der Leichtathletik-WM im brüllend heißen Stadion von Budapest die Scheibe auf 64,51 Meter geschleudert und sich locker für das Finale am Dienstag qualifiziert. (Leichtathletik-WM: Teilnehmer, Favoriten, TV-Übertragung)
Nun stand die 26-Jährige in der Mixed Zone und erklärte, dass sie den zweiten Wurf mit einer Portion Wut aus dem Käfig geworfen habe, weil beim Einwerfen noch der Wurm drin war und der erste Versuch unter 60 Meter landete.
Von den drei Deutschen war Vita die einzige, die die geforderten 64 Meter übertraf. Allerdings schafften auch Kristin Pudenz und Shanice Craft den Endkampf, weil nur fünf Athletinnen über die Marke warfen - und dann aufgestockt wurde.
„Ich weiß, was meine Eltern in Kauf genommen haben“
Vor einem Jahr feierte Vita ihren bislang größten Erfolg, als sie bei der EM in München die Bronzemedaille gewann. Es war der Lohn für die Mühen eines bemerkenswerten Lebenslaufes, der 1996 in einem Asylbewerberheim im brandenburgischen Fürstenwalde begann.
Ihre Eltern waren 1989 vor dem Bürgerkrieg in Angola - der zwischen 1975 und 2002 rund 800.000 Menschen das Leben gekostet hatte - nach Deutschland geflüchtet. Sie wuchs zusammen mit ihren vier Geschwistern unter harten Bedingungen auf.
Über 20 Jahre später sind die Erinnerungen an ihre Kindheit nur noch verschwommen, wie sie im Gespräch mit SPORT1 erzählt. Dennoch sei es so, „dass das für mich nochmal eine Extramotivation ist, weil ich weiß, was meine Eltern in Kauf genommen haben, was sie zurückgelassen haben.“
Die schwierige Kindheit als Antrieb, sich niemals zufrieden zu geben - für Vita ist das zu einer Art Lebensmotto geworden. „Das war für mich schon immer mein Motor, das war schon immer mein Antrieb. Egal wie hart eine Einheit ist.“
Vita zieht Extra-Motivation aus ihrer Kindheit
Bei einem Tief würde die Erinnerung helfen, schnell wieder aus dem Motivationsloch zu kommen, erzählt sie. „Weil ich einfach das Gefühl habe, dass ich meinen Eltern etwas zurückgeben möchte. Sie sind superstolz auf mich, egal ob ich eine Meisterschaft oder einen kleinen Dorfwettkampf bestreite, wie auch immer.“
Diese Motivation werde immer ihr Antrieb bleiben - einer, der im entscheidenden Augenblick möglicherweise den Unterschied machen kann.
Angesprochen auf die derzeitige Einwanderungspolitik in Deutschland, kommt Vita ins Grübeln, weil sie nichts Falsches sagen will.
„Es ist ja immer schwierig sich politisch zu äußern, weil einem manchmal die Worte im Mund umgedreht werden“, schickt sie voraus. „Ich denke bezüglich der Einwanderungspolitik sind sicherlich gewisse Sachen noch verbesserungsfähig.“ (Alles zur Leichtathletik-WM 2023)
„Es sollte alles strukturiert ablaufen“
Den Gedanken, anderen Menschen helfen zu wollen, findet sie „prinzipiell richtig. Aber wie man es dann macht, sollte noch besser strukturiert werden, dass es nicht unkontrolliert ist und aus dem Ruder läuft, sondern dass man wirklich einen Überblick hat: Wer ist da? Wie können wir dieser Person oder dieser Familie helfen? Und dass die Hilfe dann auch entsprechend bei den richtigen Stellen ankommt.“
So wie damals bei ihren Eltern, die Glück gehabt hätten, auf die richtigen Leute zu treffen, die sie nach ihrer Flucht unterstützten. „Ohne sie hätten wir es definitiv nicht geschafft, noch hier zu sein“, ist Vita überzeugt.
Vita weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, morgens ohne Angst vor einem Krieg aufzuwachen - und sie möchte, dass ihre Heimat mit gutem Beispiel vorangeht.
„Ich finde, jeder Mensch sollte das Recht und die Möglichkeit haben, dort zu leben, wo er in Frieden leben kann“, sagt sie. „Deswegen ist es mir wichtig, dass die Leute ihre Hilfe bekommen, aber es sollte natürlich alles strukturiert ablaufen.“
Ein Leben in Frieden und Freiheit - was ist schon ein Diskusfinale dagegen? Claudine Vita und ihre Familie haben längst ihren wichtigsten Kampf gewonnen.