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Leichtathletik-WM: Dieser Ort verdeutlicht einen deutschen Systemfehler

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Leichtathletik-WM: Dieser Ort verdeutlicht einen deutschen Systemfehler

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Der Ort, der Deutschland fehlt

Unweit der deutschen Grenze bilden die Niederlande ihre Sportler unter Top-Bedingungen zu Medaillenkandidaten aus. Ein Blick ins Trainingszentrum Papendal zeigt, was der westliche Nachbar Deutschland voraus hat.
Alica Schmidt macht bei den Deutschen Meisterschaften sportlich auf sich aufmerksam. Währenddessen ist das Thema Doping aktuell wieder en vogue in der Leichtathletik, zum Leidwesen von Schmidt.
Unweit der deutschen Grenze bilden die Niederlande ihre Sportler unter Top-Bedingungen zu Medaillenkandidaten aus. Ein Blick ins Trainingszentrum Papendal zeigt, was der westliche Nachbar Deutschland voraus hat.

Als Sifan Hassan am Samstagabend, dem ersten Tag der Leichtathletik-WM, wenige Meter vor dem Ziel des 10.000 Meter-Laufes mit dem Kopf auf die Tartanbahn knallte, gab es bei den sportbegeisterten Niederländern einen kollektiven Aufschrei.

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Etwa 30 Minuten später, nachdem Femke Bol als Schlussläuferin der Mixed-Staffel haargenau das gleiche Schicksal ereilte, witterten manche sogar eine Verschwörung.

„Das war ein echtes Desaster, nicht nur für die Sportlerinnen selbst, sondern auch für unser Land“, sagt Rypke Bakker, der für die niederländische Website nu.nl in Budapest von den Titelkämpfen berichtet, im Gespräch mit SPORT1. „Vor allem bei Bol haben wir uns darüber gewundert, weil sie ansonsten immer den Sieg nach Hause rennt, wenn sie auf der Zielgeraden vorne ist.“

Das Doppeldrama, das den Oranje-Athleten zwei sichere Medaillen kostete, wird in der Schlussabrechnung fehlen - und dennoch könnten die Niederlande am Ende ihre beste WM-Bilanz der Geschichte bejubeln.

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Denn während die verletzungsgebeutelte deutsche Mannschaft schon Finalteilnahmen feiert, hat unser westlicher Nachbar so viele Eisen im Feuer, dass selbst ein sportliches Unglück wie das vom Samstag zu verkraften ist. Am Donnerstag dürfte Bol ihre Goldmedaille im Finale über 400 Meter Hürden doch noch holen, weitere Chancen lauern unter anderem in der 4x400m-Frauenstaffel.

Oranje-Power - aber nur bei den Frauen

Dass es fast nur Frauen sind, die für die Oranje-Medaillen sorgen, darüber rätseln sie in den Niederlanden schon eine ganze Weile.

„Warum bei uns die Frauen erfolgreicher als die Männer sind, ist schwer zu erklären“, sagt Bakker. „In den 80er- und 90er-Jahren war es noch andersrum, deswegen freuen wir uns, dass Niels Laros (18 Jahre alter 1.500-Meter-Läufer) das Finale geschafft hat.“ Laros, erster Niederländer, der nach zehn Jahren mal wieder in einem WM-Endlauf stand, verbesserte am Mittwochabend bei der überraschenden Niederlage von Superstar Jakob Ingebridsen den nationalen Rekord auf 3:31,24 Sekunden.

Hollands geballte Frauen-Power bringt den deutschen Leichtathletik-Verband mit seinen Entscheidern immer mehr in Bedrängnis: Wie kann es sein, dass ein Land mit einer geringeren Einwohnerzahl als Nordrhein-Westfalen den großen Nachbarn im Medaillenspiegel abhängt?

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Der Hauptgrund liegt nur 20 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. In Arnheim befindet sich das Sportzentrum Papendal, eine Medaillenschmiede made in Holland. „Hier machen wir unsere Stars“, erzählte unlängst der Zentrumsleiter Jochem Schellens der Rheinischen Post.

Paradiesische Zustände in Papendal

Während im deutschen Sport das Prinzip des Föderalismus gilt - verschiedene Förderzentren in verschiedenen Bundesländern -, versammeln die Niederlande ihre besten Sportler an einem Ort und bieten ihnen paradiesische Bedingungen. „Alles, was du brauchst, ist innerhalb von einem Quadratkilometer erreichbar“, erklärt Schellens. „Das Trainingszentrum, Behandlung, Essen - alles ist auf kürzester Distanz.“

Das zieht sich vom Physiotherapeuten, über den Biomechaniker bis zum Ernährungswissenschaftler - es wird bis ins kleinste Detail darauf geachtet, dass die Athleten ideale Bedingungen vorfinden, um dann zu performen, wenn es darauf ankommt.

Ganz nebenbei wird in Papendal Inklusion jeden Tag gelebt, da das Leistungszentrum auch die Paralympischen Sportler einschließt.

Ein Dutzend Sportarten haben ihren Trainingsstandort in Arnheim, die Athleten können sich weitgehend ungestört auf die Großveranstaltungen vorbereiten. „Früher war es so, dass die Sportler einen Beruf ausüben mussten, um über die Runden zu kommen“, erzählt Bakker. „Das hat sich 2001 geändert, als das Leistungszentrum aufgebaut wurde. Auf einmal waren Gelder da, um gute Trainer zu holen.“

Deutschland hinkt der Entwicklung um Jahrzehnte hinterher

Von solchen Bedingungen können die meisten DLV-Asse nur träumen, in Deutschland hinkt man dieser Entwicklung um Jahrzehnte hinterher. Ketzerisch formuliert befindet sich die deutsche Leichtathletik (und nicht nur die) auf dem Stand der Niederlande der 90er Jahre.

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Für die frühere deutsche Weltklasse-Leichtathletin Heike Drechsler hat der deutsche Sport in vielen Bereichen die Entwicklung verschlafen. „Wenn man sich an den Besten orientiert, kann das nie verkehrt sein“, antwortet sie bei SPORT1 auf die Frage, ob die Niederlande ein Vorbild sein könnten.

„Das Problem ist: Wie findet man die guten Trainer? Welches Budget haben wir, um in die Trainerausbildung und den Aufbau der Zentren zu investieren?“, fragt Drechsler. Es werde eine gewaltige Anstrengung vonnöten sein, um den Abstand auf die enteilte Medaillenschmiede in Holland zu verkürzen.

Drechsler glaubt, dass es für Deutschland nur noch eine Chance gibt: dann, wenn Deutschland die Olympischen Spiele ins Land holen würde.

Als Papendals Paradebeispiel gilt längst Femke Bol, die trotz ihres Missgeschickes in der Staffel Vorzeigeathletin und ganzer Stolz des Landes ist. Die Europameisterin von München wechselte 2019 zu Laurent Meuwly nach Arnheim, der aus einer talentierten Läuferin ein echtes Juwel formte.

„Die Elite pusht sich gegenseitig nach oben“

Der Schweizer Erfolgstrainer gilt als großer Befürworter der Zentralisierung, nach seinem Dafürhalten wird viel Potenzial verschenkt, wenn die Athleten zu lange in ihren Ausbildungsvereinen verharren. Während Meuwly als niederländischer Nationaltrainer fungiert, kümmert sich etwa der ehemalige polnische Weltklasse-Leichtathlet Marcin Lewandowski um die Mittelstreckenathleten.

„Weil die besten Athleten auf die besten Trainer treffen, pusht sich die Elite gegenseitig nach oben“, erklärt Bakker. „Auch internationale Athleten folgen immer öfter dem Ruf Papendals - und so kommt das eine zum anderen.“

Dabei macht das Leistungszentrum keineswegs die Türen für andere Sportler zu, wie der Journalist erklärt. „Selbst wenn du nicht dort lebst, bist du als Athlet willkommen, wenn du ein Problem hast, zum Beispiel medizinischer Natur.“

In Deutschland sind solche Strukturen nicht im Ansatz vorhanden. Hier sind die meisten Leichtathleten Einzelkämpfer, trainieren quer durchs Land verteilt von Kienbaum bei Berlin bis Freiburg im Breisgau. Von einem Staffeltraining übers ganze Jahr können die DLV-Sprinter nur träumen, während dies für ihre Oranje-Kollegen Alltag ist.

Und so dürften die Niederlande dem großen Nachbarn im Osten mal wieder eine lange Nase zeigen, wenn am Sonntagabend in Budapest Bilanz gezogen wird. Bis dahin dürfte die Sportnation Holland das Sturzdrama vom Samstag überwunden haben.