Sebastian Coe sorgt sich. Nicht nur um die Zukunft der deutschen Leichtathletik. Nein, die Aussichten für seine gesamte Sportart bereiten dem Präsidenten des Weltverbandes World Athletics (WA) nach Ende der WM in Ungarn heftiges Kopfzerbrechen.
Leichtathletik vor großem Einschnitt?
Die Leichtathletik müsse „für die nächsten 30, 40 Jahre zukunftsfähig“ gemacht werden, forderte Coe in den Tagen von Budapest. Die Wettbewerbe müssten „spannender“ und „unterhaltsamer“ werden.
„Signifikante“ Änderungen forderte er, damit die Leichtathletik nicht an Bedeutung verliert. Und zwar in vielfacher Hinsicht, vor allem aber aufgrund des Klimawandels.
Leichtathletik: Große Veränderung wegen des Klimawandels deutet sich an
Der WA-Boss ist überzeugt, dass die globale Erwärmung „den globalen Sport zwingen“ werde, „seinen Kalender zu überdenken. Wenn man ein Gewissen gegenüber den Athletinnen und Athleten hat, wird man sich fragen müssen, wie künftige Austragungsorte aussehen könnten“, sagte Coe in der ARD.
Konkret heißt das: Die Ausdauerdisziplinen könnten zukünftig von der WM in den Sommermonaten entkoppelt und in kühlere Jahreszeiten und an andere Austragungsorte verlegt werden. Ein bedeutender Einschnitt.
Schon die WM nicht unbeeinflusst
Bei der WM in Budapest herrschten an allen Tagen hohe Temperaturen weit jenseits der 30 Grad. Der Weltverband musste kleine Änderungen am Zeitplan vornehmen. Die Marathon-Rennen und die Geh-Wettbewerbe über 35 km waren von Beginn an in den frühen Morgenstunden angesetzt, um die heißen Phasen des Tages zu umgehen.
Dennoch waren die Bedingungen „grenzwertig“, wie etwa Geher Christopher Linke feststellte. Die nächsten Weltmeisterschaften in Tokio, wo bei Olympia 2021 ebenfalls eine große Hitze-Diskussion ausgebrochen war, werden in zwei Jahren bewusst erst Mitte September ausgetragen, um die richtig heißen Monate in Japan zu umgehen.
„Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir mutige und schwierige Entscheidungen getroffen haben. Möglicherweise müssen wir im Hinblick auf den Klimawandel dasselbe tun“, sagte Coe.
Vorbild „Drive to Survive“: Netflix-Doku über Leichtathletik-Stars in Arbeit
Inmitten diese Gedanken mischt sich die immer wieder aufkommende Diskussion über die allgemeine Ausrichtung der Leichtathletik. Die olympische Kernsportart wird heute - weitgehend - noch so ausgetragen wie vor 50 Jahren. Für Coe ein großes Problem.
Als „viel zu konservativ“ beschrieb der Weltverbandschef seine Sportart zuletzt im Spiegel-Interview. Mehrstündige Sessions über mehrere Tage, „ich befürchte, ein solches Format passt einfach nicht mehr zum Lebensstil jüngerer Menschen“, sagte Coe. „Verständlicher“ und „zugänglicher“ müsse die Leichtathletik deshalb werden. Eine Netflix-Dokumentation wie in der Formel 1 ist bereits in Arbeit.
Alica Schmidt findet das gut. Die deutsche 400-m-Sprinterin zählt zwar sportlich nicht zu den Aushängeschildern der deutschen Leichtathletik, hebt die Aufmerksamkeit mit ihren 4,4 Millionen Instagram-Followern trotz der kaum zu leugnenden persönlichen Markeketingabsichten aber auf ein neues Level.
„Je mehr Einblicke und je höher das Interesse an der Leichtathletik, desto eher kann Begeisterung beim Publikum entfacht werden“, sagte Schmidt dem Münchner Merkur/tz. Dokumentationen, wie es sie über Dreifachweltmeister Noah Lyles bereits gibt, seien auf dem Weg zu mehr Präsenz ein „wahnsinnig wichtiger Schritt“, sagt Schmidt.
Bei der neuen Doku über die Tour de France habe sie dies selbst erlebt. „Ich kannte keinen einzigen Sportler bei der Tour“, berichtete Schmidt: „Nachdem ich die Serie gesehen habe, habe ich die gesamte Tour mitverfolgt, ich wurde da richtig in den Bann gezogen.“