„Ich glaube nicht, dass wir aktuell zu schlecht sind. Vielleicht ist die internationale Konkurrenz einfach zu stark.“
Auf dem Weg zur Bedeutungslosigkeit
Was Christopher Linke nach seinem 5. Platz im 20 Kilometer Gehen aussprach, lässt sich ohne Weiteres als deutsche Kurzbilanz der Leichtathletik-WM in Budapest ziehen.
Viele Athleten haben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten wacker geschlagen, einige – wie Linke und Zehnkämpfer Leo Neugebauer - waren sogar richtig gut. Und dennoch taucht Deutschland im Medaillenspiegel kein einziges Mal auf. Salto nullo, um im Jargon zu bleiben.
In Budapest zeigte die internationale Konkurrenz dem deutschen Team gnadenlos die Hacken, gleichzeitig wurde deutlich, wie wenig die Erfolge der EM 2022 in München im Weltmaßstab wert sind.
Was ist Deutschland bereit zu investieren?
Ist das DLV-Debakel also, wie Linke es andeutet, nur eine Frage der Perspektive? Sollten wir uns an persönlichen Bestleistungen berauschen? Ist ein Finaleinzug die neue Medaille?
Die Antwort ist simpel: Es kommt ganz darauf an, was wir bereit sind zu investieren. Wesentlich kleinere Nationen wie Norwegen oder die Niederlande haben uns längst überflügelt, weil sie Geld in die Hand genommen und ihre Strukturen im Sport professionalisiert haben.
Während die Niederlande unweit der deutschen Grenze vor über 20 Jahren ein hochmodernes Trainingszentrum aufgebaut haben, damit sich die Athleten ohne Nebengeräusche auf ihre Sportlerkarriere konzentrieren können, müssen sich ihre deutschen Kollegen oft mit Hemmnissen herumschlagen, die teilweise nur Kopfschütteln auslösen.
Eine besondere Posse leistete sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Anfang des Jahres, als durch eine Kommunikationspanne mit der Sporthilfe 77 deutschen Topathleten auf einmal der Geldhahn zugedreht wurde, weil der Perspektivkader um diese Anzahl erweitert worden war – ohne der Sporthilfe vorher Bescheid zu geben.
Statt der eigentlich zugesicherten 700 Euro monatlich müssen sich die DLV-Talente nun mit 300 Euro begnügen, die der Verband noch zusammenkratzte. Dass diese Summe nicht annährend ausreicht, um sich auf den Sport zu konzentrieren, ist selbsterklärend.
Selbsterklärend sei, zusammen mit anderen Faktoren, auch die deutsche Horrorbilanz von Budapest, findet der DLV – schließlich habe man verletzungsbedingt auf die größten Medaillenkandidaten (Malaika Mihambo an vorderster Front) verzichten müssen.
Eine Utopie? DLV hält an Top-5-Ziel fest
Allerdings scheiden sich auch an dieser Legitimation die Geister, denn es gibt einige Indizien, dass die erschreckende Größe des deutschen Lazaretts teilweise selbstverschuldet ist. Bei SPORT1 attestierte die renommierte Ex-Trainerin Gertrud Schäfer dem DLV gravierende Fehler beim Gesundheitsmanagement, sei es durch falsches und verletzungsanfälliges Training oder unzureichende Diagnosen.
Der Verband lässt die Kritik an sich abprallen und hält am ausgerufenen Ziel fest, bis 2028 wieder in die weltweiten Top-5-Ränge zurückzukehren, wie Präsident Jürgen Kessing am Sonntag bestätigte. Vielmehr als ein Pfeifen im Walde lässt sich daraus allerdings nicht heraushören.
Kritiker wie Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse fordern längst den Rücktritt der DLV-Führung um Kessing und Generaldirektor Idriss Gonschinska - und einen Systemwechsel.
Dazu müsste Deutschland aber bereit sein, seine Athleten (vor allem finanziell) so zu unterstützen, dass sie zumindest ähnliche Voraussetzungen haben wie ihre internationalen Konkurrenten.
Falls nicht, müssen wir uns darauf einstellen, dass Budapest die neue Realität im deutschen Sport ist.