Es tut weh, richtig weh. Noch immer. „Ich war so dicht dran an Gold, so dicht“, sagt Fred Kerley über seine Olympia-Pleite in Tokio: „Ich habe etwas erreicht, aber Silber ist nicht genug - ich wollte Gold.“
Diese Geschichte ist hollywoodreif
Nun sinnt der US-Sprinter bei der Heim-WM in Eugene (15. bis 24. Juli) umso mehr auf Revanche: Beim ultimativen Showdown über 100 m zählt für Kerley nur der Titel.
„Niemand auf dieser Welt wird mein Selbstvertrauen brechen. Ich glaube an mich“, sagt Kerley, der mit seinen 9,76 Sekunden in diesem Jahr die Nummer eins der Welt ist und beim Sprint-Spektakel als Topfavorit gilt.
Seine Devise lautet: „Ich gehe nie mit dem Gedanken in ein Rennen, dass ich verlieren werde.“
Kerley bei Olympia von Jacobs geschlagen
Auch nicht an diesem 1. August vor einem Jahr in Tokio. Es sah gut aus, Kerley lag vorne - doch dann kam Marcell Jacobs.
Der Italiener, damals noch ein No-Name, düpierte alle und gewann in 9,80 Sekunden. Kerley rannte 9,84 Sekunden, Silber - er war und ist immer noch enttäuscht.
Ob Jacobs (10,04) nach einigen Verletzungssorgen rechtzeitig in Topform ist? Kann das ewige Talent Trayvon Bromell (9,81) endlich einen großen Titel holen? Gelingt dem jamaikanischen Jungstar Oblique Seville (9,86) die Sensation? Darf Afrikas schnellster Mann Ferdinand Omanyala doch starten?
Interessiert Kerley alles nicht, der denkt nur an sich. Und seine Mission.
„Ich bin in der Kirche aufgewachsen“, sagt Kerley, gläubiger Christ aus Texas: „Man muss den Glauben haben, um nach oben zu kommen. Man muss daran glauben, dass man gewinnen wird. Man muss daran glauben, dass man Großes vollbringen wird - und ich glaube, dass ich Großes vollbringen werde.“
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Kerley mit schwerer Kindheit
Es ist Kerleys erste WM als Hauptdarsteller auf der ganz großen 100-m-Bühne, 2017 und 2019 war er noch über die 400 m dabei, wurde Siebter und Dritter.
Erst nach einer Verletzung konzentriert sich der 27-Jährige seit dem Vorjahr auf die 100 und 200 Meter. Mit Gold wäre Kerley ganz oben angekommen.
Es wäre eine Geschichte, wie sie nicht nur die US-Amerikaner lieben.
Denn die Kindheit war alles andere als leicht für den Star. Laut eigener Aussage landete sein Vater hinter Gittern und seine Mutter wurde auch nicht fertig mit den fünf Kindern.
Als Kleinkind wurde Kerley zusammen mit seinen vier Geschwistern von seiner Tante Virginia adoptiert, sie zog damit 13 Kinder groß, nicht immer wurden alle satt.
Kerley von Tante adoptiert
Auf der Webseite des US-Leichtathletikverbands danken die Verantwortlichen der Tante: „Seine Tante ist die einflussreichste Person in seinem Leben. Sie verzichtete manchmal auf Essen, um sicherzustellen, dass die Kinder etwas zu essen bekamen. Er spricht jeden Tag mit ihr.“
Und der 27-Jährige weiß ganz genau, was er für ein Glück mit einer Tante hat.
„Eine unglaubliche Frau mit der besten Persönlichkeit, die man sich wünschen kann. Freundlich und fürsorglich, hart aber fair. Ohne sie wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht hier. Ich wäre definitiv kein Weltklasse-Athlet, und wer weiß, wo ich im Leben gelandet wäre“, schreibt er in einer im Internet veröffentlichten Kurzbiografie.
Sie trägt in Anlehnung des Spitznamens seiner Tante den Titel: „Meme and me“.
Kerley lässt sich „Meme“ auf Arm tätowieren
Der Name geht Kerley seit einigen Jahren übrigens auch unter die Haut.
Als er sich an der High School sein Schlüsselbein brach und zweifelte an seiner sportlichen Laufbahn, ließ er sich „Meme“ auf seinen Arm tätowieren: „Damit sie immer bei mir ist.“
Inzwischen sind bei dem Tattoo-Fan einige weitere Werke hinzugekommen. „Wo ich herkomme, lässt sich jeder tätowieren. Wenn man anfängt, wird man süchtig. Jetzt habe ich zehn.“
Kerley musste fast ins Gefängnis
Die Tattoos erinnern ihn auch an die schwere Zeit als Kind, in der er mit dem Gesetz in Konflikt geriet und ebenfalls fast im Gefängnis landete.
Über den Sport und dank seiner Tante schaffte er es ans College und legte einen steilen Aufstieg hin.
Vermutlich will keiner diesen Titel so sehr wie Kerley - und in der ersten Runde zeigte er mit mit bärenstarken 9,79 Sekunden, dass WM-Gold nur über ihn führt.
„Ich weiß, was ich für die Goldmedaille tun muss“, sagt er: „Und ich weiß, dass 2022 eines der besten Jahre meines Lebens sein wird.“
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)