Die Geschichte von Samuel Fitwi liest sich wie ein Drehbuch: Der Junge, der vor der Unterdrückung in Eritrea floh, fand in der Eifel nicht nur eine neue Heimat, sondern auch sein außergewöhnliches Talent.
Zu schnell für einen Fußballer
Heute gehört der 28-Jährige zur Elite des deutschen Laufsports - eine Leistung, die ihm niemand ohne Weiteres zugetraut hätte.
Fitwi wurde 1996 in Eritrea geboren und floh 2013 aus seiner Heimat. In Eritrea herrscht eine Militärdiktatur, in der Zwangsdienste das Leben der Menschen dominieren.
Ohne seine Familie einzuweihen, brach Fitwi damals auf: Zwei Jahre dauerte die gefährliche Reise, die ihn zu Fuß durch die Wüste, in einem überfüllten Boot übers Mittelmeer und schließlich nach Deutschland führte.
Die Fahrt mit dem Schlepper-Boot blieb ihm besonders in Erinnerung. Denn: Dieses lief mit Wasser voll und drohte zu sinken. Zusammen mit etwa 100 anderen Flüchtenden musste er das Wasser aus dem Boot schöpfen.
„Wir sind so acht Stunden lang mit dem Boot gefahren und wurden dann irgendwo im Mittelmeer von einem italienischen Schiff gerettet“, erinnerte sich Fitwi im SWR.
Fitwi wird beim Fußball entdeckt
Im beschaulichen Oberbettingen in der Eifel fand er schließlich ein neues Zuhause. Dort begann er, Fußball zu spielen, und fiel mit seiner außergewöhnlichen Ausdauer und Schnelligkeit auf.
„Er war zu schade zum Fußballspielen. Er ist ein Leichtathlet“, stellte sein damaliger Fußballtrainer Hans-Jakob Meyer fest. Nach dem Cooper-Test im Sportunterricht wurde dann auch seinem Gastvater Christian Linden klar: Samuel Fitwi hatte ein Talent, das es zu fördern galt.
Seine Laufkarriere begann erst 2019, als ihn sein jetziger Trainer Yannik Duppich unter seine Fittiche nahm. Seither hat sich Fitwi kontinuierlich verbessert. Der Durchbruch gelang ihm dann 2023, als er sich auf den Marathon spezialisierte.
Sein bisher größter Erfolg: der deutsche Marathon-Rekord, den er im Dezember 2024 in Valencia mit einer Zeit von 2:04:56 Stunden aufstellte - zwei Sekunden schneller als die vorherige Bestmarke von Amanal Petros.
Einbürgerungsprozess wird beschleunigt
Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Fitwi 2019 bekommen. Normalerweise dauert eine Einbürgerung acht Jahre, aber seine Erfolge hatten den Prozess beschleunigt.
Denn: Nur mit dem deutschen Pass konnte er sich bei internationalen Wettkämpfen anmelden. Der Deutsche Pass hat für ihn alles geändert. „Ich bin stolz, schwarz-rot-gold zu tragen“, erklärte er.
Spätestens seit dem deutschen Marathon-Rekord hat sich Fitwi endgültig in die deutsche und internationale Elite vorgekämpft. Seine Leistungen blieben jedoch lange im Schatten etablierter Größen wie Richard Ringer oder Petros. Doch diese Zeiten sind nun endgültig vorbei.
Training mit der internationalen Elite
Der Schlüssel zu seinem Erfolg liegt in seiner außergewöhnlichen Arbeitsmoral und der perfekten Vorbereitung. Bis zu sechs Monate im Jahr trainiert er in Addis Abeba. Auf etwa 3.000 Metern Höhe absolviert er dort ein Trainingslager mit den besten der Welt und profitiert von der dünnen Höhenluft.
Doch auch die Nähe zu seiner Heimat spielt eine Rolle für die Wahl seines Trainingslagers. In der äthiopischen Hauptstadt lebt nämlich auch seine Ehefrau Filmawit, die ebenfalls aus Eritrea geflohen war.
Trotz seiner beeindruckenden Erfolge ist Samuel Fitwi auf dem Boden geblieben. Nach seiner Flucht nach Deutschland begann er eine Ausbildung zum Maler und finanzierte seine ersten Wettkämpfe selbst.
„Er war ganz anders, wenn er läuft - mit diesem Willen im Gesicht, das kannte ich vorher nicht“, erinnerte sich sein ehemaliger Chef Ari Göbels, der Fitwi einen Tag in der Woche für das Training freistellte.
Fitwi: „Bin noch sicher nicht am Limit"
Heute lebt Fitwi in Gerolstein, wo er sich seinen Lebensunterhalt durch Sponsoren, kleine Preisgelder und die Unterstützung der Deutschen Sporthilfe verdient. „Die Vulkaneifel ist einfach besonders. In der Natur zu laufen ist einfach sehr schön und sehr angenehm", schwärmte der Rekordhalter von seiner neuen Heimat.
Aber auch die Verbindung zu Eritrea hat er nie verloren: Jeden Sonntag telefoniert er mit seiner Familie, die dort ohne Internet und unter strengen staatlichen Kontrollen lebt. Seine Eltern haben ihn bis Olympia nie live laufen sehen, nur Fotos verbanden sie bis dahin mit seinem Erfolg.
Und Fitwi ist überzeugt, dass er noch viel erreichen kann. „Ich bin sicher noch nicht am Limit. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass ich mich noch weiter steigern kann“, verriet er selbstbewusst. Als Nächstes stehen der Silvesterlauf in Trier und möglicherweise ein Frühjahrs-Marathon an.
Was auch immer die Zukunft bringt, eines ist sicher: Die Geschichte von Samuel Fitwi ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Und sollte er seine Laufkarriere eines Tages beenden, stehen ihm die Türen in seinem alten Malerbetrieb offen, denn auch in dieser Tätigkeit hat er ein angeborenes Talent.