Vor nicht einmal einem Jahr stand für Sarah Vogel die Sportwelt noch offen. Nach vielversprechenden Auftritten in der Hallen-Saison hatte die Stabhochspringerin, die als eines der größten Talente im deutschen Sport galt, die Olympischen Spiele in Paris im Visier.
Einmal Hölle und zurück
Vogel hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe an Verletzungen hinter sich, es gab sogar eine ZDF-Doku mit dem Titel „Unbeugsam“ über ihren monatelangen Kampf gegen die Zeit. Doch Olympia blieb letztlich ein Traum, weil im Frühjahr ihr Körper plötzlich komplett streikte.
„Ich konnte teilweise gar nicht mehr aufstehen“
Bei SPORT1 erzählte sie im vergangenen Juni erschreckende Details über ihre Beschwerden. Vogel musste nicht nur ihren Sport aufgeben, sondern konnte selbst einfachste Dinge nicht mehr ausüben.
„Ich hatte die ganze Zeit über ziemlich starke Erschöpfungssymptomatiken, konnte mich nicht mehr bewegen, teilweise gar nicht mehr aufstehen, kaum sprechen, kaum essen. Ich war in einem ziemlich schlechten allgemeinen Zustand“, schilderte sie damals. Mehr noch: Es sei ein kompletter „System-Kollaps“ gewesen.
War in jenen Tagen an einer Fortsetzung der sportlichen Karriere nicht zu denken, so sieht die Welt der Sarah Vogel ein halbes Jahr später wieder deutlich freundlicher aus. Einmal Hölle und zurück - so lässt sich der Kampf der Leichtathletin um die Rückkehr ihr altes Leben am anschaulichsten beschreiben.
„Ich treibe wieder Sport, habe mittlerweile auch den Stab in der Hand. Die Umfänge und Intensitäten sind natürlich noch reduziert, aber ich mache wieder so gut wie alle Übungen und stehe sogar an der Anlage“, sagt die 22-Jährige bei SPORT1. „Es wird aber sicher noch dauern, bis die körperliche Form wieder da ist.“
Nach wie vor kognitive Einschränkungen
Dass sie überhaupt wieder sportlich aktiv ist, grenzt an ein Wunder. Noch im Sommer war sie nicht in der Lage, zu kochen oder Autozufahren, weil die Ärzte bei Vogels Krankheitsbild an ihre Grenzen stießen.
„Ich habe dann ziemlich viele alternativmedizinische Ansätze verfolgt, weil die Schulmedizin nicht mehr weiterkam“, erzählt sie. „Es passiert viel auf Entspannungsebene und mit allen möglichen Heilpflanzen. Da habe ich ein bisschen abseits des Stroms meinen Weg gesucht.“ Mittlerweile ist sie bei einer Heilpraktikerin, die jedoch auch schulmedizinisch arbeitet, das betont Vogel. „Es ist kein Ersatz, aber eine sinnvolle Ergänzung.“
Die Stabhochspringerin verbrachte die vergangenen Monate mit allen möglichen Reha-Übungen, was sich letztlich auszahlte. „Es ging jetzt gut voran, auch deutlich besser als man es vor einem halben Jahr noch vorhersehen konnte. Ich bin noch nicht 100 Prozent wie früher, weil der Körper noch Zeit braucht, aber es wird langsam.“ Dass sie jetzt „einfach nur ein untrainierter Mensch“ sei, ist für sie von unschätzbarem Wert.
Und doch ist Sarah Vogel noch nicht über den Berg, wie sie schildert. Die größten Schwierigkeiten bereitet ihr die Kopfarbeit - etwa, wenn sie für ihr wieder aufgenommenes Studium lernen muss. „Am stärksten habe ich noch kognitive Einschränkungen. Ich kann noch nicht so gut lange und komplexe Texte für die Uni lesen“, sagt sie. “Aber im Alltag kann ich wieder nahezu alles machen. Vielleicht noch keine fünfstündige Wanderung, aber ich kann zum Beispiel wieder auf den Weihnachtsmarkt gehen.“
„So wie die kleinen, zwölfjährigen Kinder“
Dennoch gebe es auch jetzt noch Tage, „an denen es nach wie vor schwer ist oder an denen man sich nicht sicher ist, wie es sich entwickelt.“ Und weiter erklärt sie: „Ich kann nicht in die Zukunft schauen und ich weiß nicht, wie es wird – aber jetzt ist es für mich leichter, darauf zu hoffen, dass es wieder gut wird.“
Deswegen versuche sie, sich auf die Fortschritte zu konzentrieren und sich das „defizitäre Denken, das man als Sportlerin hat, abzugewöhnen. Und stattdessen zu sehen, was ich kann, was ich habe und was schon wieder geht.“
Und so tastet sich Vogel mit kleinen Schritten wieder an ihr altes Leben heran - auch das als Leistungssportlerin. „Ich habe es ganz langsam gemacht, bin erst mal nur in die Halle gegangen, um den anderen zuzuschauen, mich überhaupt wieder daran zu gewöhnen und mit den Eindrücken klarzukommen“, erinnert sie sich.
Über die Latte sei sie noch nicht gesprungen, dazu benötige sie zunächst wieder die Grundlagen. „Ich musste tatsächlich die ganzen Anfängerübungen, die man beim Stabhochsprung lernt, neu erlernen. So wie die kleinen, zwölfjährigen Kinder“, lacht sie. „Ich bin jetzt langsam da angekommen, dass ich die Füße wieder hochstrecke, aber die Latte lag noch nicht da.“
In der Weihnachtszeit will Sarah Vogel zusammen mit ihrer Familie erst einmal durchatmen. „Und dass ich mit dem neuen Jahr einen Neuanfang starte.“ Die Latte wird dann sicher auch bald aufgelegt.