Bei ihren letzten beiden Wettkämpfe als U18-Athletin hat die deutsche Hammerwerferin Nova Kienast am vergangenen Wochenende für einen Knall gesorgt.
Deutschlands neue Hammer-Sensation
Zunächst schleuderte die 17-Jährige das Drei-Kilo-Gerät bei einem Meeting in Phoenix auf 78,16 Meter, tags darauf schaffte sie in Tucson sogar 78,34 Meter! Beide Weiten lagen deutlich über dem bis dahin bestehenden U18-Weltrekord von 76,04 Metern.
Kienast, die von einer neurologischen Gabe profitiert, hatte sich Ende September zum kanadischen Meister-Coach Dylan Armstrong aufgemacht und trainiert seitdem unter ihm.
Olympia-Gold-Schmied soll deutsches Talent formen
Armstrong, der den kanadischen Hammerwerfer Ethan Katzberg zu Olympia-Gold in Paris geführt hatte, soll seinen neuen Schützling auch mit der ein Kilo schwereren Erwachsenen-Kugel in ähnliche Gefilde führen - der Anfang ist jedenfalls gemacht.
Im SPORT1-Interview erzählt die 17-Jährige, welche besonderen Trainingsformen sie so stark machen, wie sie ihre beiden Weltrekorde erlebte und dass sie sich ein ganz besonderes Ziel für die kommende Saison vorgenommen hat.
SPORT1: Frau Kienast, hätten Sie im Vorfeld damit gerechnet, dass Ihre Karriere als U18-Athletin mit solch einem Paukenschlag enden würde?
Kienast: Ich glaube, das war so ein Fifty-Fifty Ding. Ich hatte schon seit langer Zeit dieses große Ziel, dass ich den Rekord brechen möchte. Im vergangenen Winter hatte ich aber keine gute Vorbereitung und war deswegen im Sommer einfach noch nicht dazu in der Lage. Dann hat mir Dylan gesagt, dass er sehr wohl glaubt, dass ich ihn verbessern kann, und wir darauf hintrainieren können. Das haben wir dann seit Ende September in Kanada gemacht.
„Den Weltrekord hatte ich schon im Training gebrochen“
SPORT1: Wie lief das genau ab?
Kienast: Wir haben den Drei-Kilo-Hammer (ein Kilo leichter als im Erwachsenen-Bereich, d. Red.) absichtlich im Training drin gelassen und auch noch mal drei Wettkämpfe geplant. Meinen ersten Wettkampf hatte ich in Kanada, das hat aber nicht funktioniert. Ich hatte keinen gültigen Wurf, weil ich alle Versuche übertreten habe. Ich konnte die Würfe einfach von der Kraft her nicht stehen.
SPORT1: In Arizona lief es am vergangenen Wochenende dann aber nach Plan, oder?
Kienast: Ja, einen Monat später habe ich gemerkt, dass ich noch mal mehr Kraft habe, entsprechend konnte ich die richtig weiten Würfe auch stehen. Vor meinem ersten Wettkampf in Phoenix hatte ich den Weltrekord bereits im Training gebrochen, da ging ein Wurf auf 76,10 Meter. Aber die 78 Meter waren schon ein kleiner Schock für mich.
SPORT1: Wie haben Sie Ihre Weltrekord-Würfe erlebt?
Kienast: Als ich den in meinem ersten Versuch geworfen habe, dachte ich: „Okay, der ist vielleicht über 76 Meter.“ Als dann aber die 78 Meter durchgerufen wurden, hat mich das schon überrascht. Am nächsten Tag, bei meinem zweiten Wettkampf in Arizona, wusste ich schon, dass ich sogar noch ein bisschen weiter werfen kann – auch, weil ich ein bisschen mehr Selbstbewusstsein hatte. Und dieser Druck, dass ich den Rekord noch unbedingt brechen will, war dann ja weg. Aber ich wollte trotzdem noch mal sehen, wie weit es gehen kann.
SPORT1: Es waren Ihre letzten Wettkämpfe als U18-Athletin. Ab jetzt müssen Sie den ein Kilo schwereren Hammer meistern…
Kienast: Genau. In der U20 geht‘s dann los mit dem Erwachsenengewicht, also dem Vier-Kilo-Hammer, mit dem ich im Training schon geworfen habe. Auch um einiges weiter als letztes Jahr im offiziellen Wettkampf (63,81 Meter, d. Red.).
„Mein großes Ziel ist die WM in Tokio“
SPORT1: Verraten Sie uns, wie weit es schon gegangen ist?
Kienast: (lacht) Nein, das mache ich immer ungern. Ich sage das immer erst, wenn ich es offiziell geworfen habe. Ich starte aber sehr früh im Jahr schon in meine Wettkampfsaison rein, weil ich versuche, mich auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten.
SPORT1: Auf die Erwachsenen-WM in Tokio im September?
Kienast: Genau, mein großes Ziel ist, dass ich es nach Tokio schaffe.
SPORT1: Das wäre als dann 18-Jährige eine echte Ansage, wenn Sie das schaffen würden…
Kienast: Die Direktnorm liegt bei 73, 80 Meter, darüber kommen aber die Wenigsten rein. Es gibt ein Punktesystem der World Athletics, wo deine fünf besten Wettkämpfe zu Punkten umgerechnet werden. Wir haben mal aus Spaß die Liste vom letzten Jahr angeschaut, da hätte man konstant ca. 70 Meter werfen müssen, um es zur WM zu schaffen. Deswegen starte ich schon relativ früh mit meinen ersten Wettkämpfen, um dann zu versuchen, diese Punkte zu erreichen.
„Dass das Training so gut anschlägt, hat mich überrascht“
SPORT1: Dann bleiben Sie erst mal in Kanada, oder?
Kienast: Das ist noch ein bisschen unklar. Bis zu meinem Abitur im kommenden Mai bin ich zwischen zwei Kontinenten ein bisschen gespalten. Das Problem ist, dass es in Deutschland nicht so viele Wettkämpfe mit einem hohen Punkteranking gibt. Wenn ich es zur WM schaffen will, dann muss mich die Schule an irgendeinem Punkt – so wie jetzt auch schon - wieder ins Ausland zu den Wettkämpfen und zu den Trainingslagern lassen, weil es andernfalls nicht möglich ist. Sonst kann ich wirklich nur versuchen, die Direktnorm zu werfen.
SPORT1: Seit dem 27. September sind Sie in Kamloops beim kanadischen Meistertrainer Dylan Armstrong. Was können Sie von seinem Training berichten?
Kienast: Das Training mit Dylan läuft wirklich super. Ich bin jetzt in einer Trainingsgruppe mit Ethan Katzberg (Hammerwurf-Olympiasieger in Paris, d. Red.) und noch zwei weiteren Athleten. Es ist ein sogenanntes Reaction-Based-Training, so nennt er das. Dylan findet genau diese neuronalen Reaktionen heraus und wie viele Sessions man für ein Programm braucht. Am Anfang habe ich es noch nicht so ganz verstanden, weil es sehr kompliziert und vielschichtig ist. Aber es scheint bei mir sehr gut zu funktionieren.
SPORT1: Wie hat man sich das genau vorzustellen?
Kienast: Ich habe immer ein Programm für eine bestimmte Anzahl an Sessions. Danach wechselt das Gewicht meines Hammers, anschließend habe ich immer noch „Special-Strength“. Da muss ich noch mit einem deutlich schwereren Hammer werfen oder mit einem anderen Wurfgerät. Dann habe ich noch Krafttraining mit wurfspezifischen Übungen. Ich hatte schon eine positive Erwartung, aber dass das Training bei mir so gut anschlägt, hat mich überrascht. Meine einzige Sorge ist, ob es mir die Schule hoffentlich weiterhin ermöglicht, nächstes Jahr wieder mit Dylan ins Trainingslager und zu den wichtigen Wettkämpfen fahren zu können.
Tipps von Olympiasieger Ethan Katzberg
SPORT1: Bekommen Sie auch Tipps von Olympiasieger Katzberg, wenn Sie mit ihm trainieren?
Kienast: Ja. Ich war vor den Wettkämpfen in Arizona sehr nervös, weil ich bei meinem Wettkampf in Kanada ja keinen Wurf gestanden hatte. Ich wusste also, dass es meine letzten beiden Chancen sein werden, diesen Rekord zu knacken oder zumindest meine persönliche Bestweite zu verbessern. Weil Ethan in Wettkämpfen immer sehr ruhig ist, habe ich mir von ihm Tipps geholt, woran er denkt. Und das sind dann meistens ganz simple Dinge. Er sagt sich auch bei Olympia nicht: „Ich werfe hier gerade Hammer auf einer ganz großen Weltbühne.“ Für ihn ist es genau dasselbe, wie im Training auch. Diese Dinge können helfen, sich zu erden.
SPORT1: Bei Ihnen hat es offenbar funktioniert...
Kienast: Ja, genau. Ich habe mir Gedanken gemacht, was ich mir für simple Dinge sagen kann. Und sobald man gut im Wettkampf wirft, ist die Aufregung sowieso weg. Deswegen muss ich mich damit nicht lange auseinandersetzen.
SPORT1: Welche Höhepunkte stehen kommendes Jahr an?
Kienast: Nächstes Jahr findet die U20-EM statt (vom 7. bis 10. August im finnischen Tampere, Anm. d. Red.). Das ist der Hauptfokus in meiner Saison. Dann gibt es die Deutschen Meisterschaften der U20, aber auch von den Erwachsenen, bei denen ich gerne starten würde. Und dann wäre eben noch als Bonus die Weltmeisterschaft im September in Tokio.
SPORT1: Spätestens zum Abitur sind Sie dann dauerhaft wieder in Deutschland, oder?
Kienast: Genau. Ab April oder Mai bin ich in Deutschland, wir trainieren dann für zwei oder drei Monate in Koblenz.